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MELDUNG/1684: Schleichfahrt droht auf Grund zu laufen (SB)



Miguel Cotto hält die Konkurrenz zum Narren

Im Juni 2014 wurde Miguel Cotto durch einen Sieg über Sergio Martinez neuer WBC-Weltmeister im Mittelgewicht. Seither zehrt er kampflos von dem durchaus umstrittenen Ruf, der führende Akteur in dieser Gewichtsklasse zu sein. Wäre er das tatsächlich, bräuchte er Gennadi Golowkin nicht aus dem Weg zu gehen, der Superchampion der WBA wie auch Pflichtherausforderer beim Verband WBC ist. Inzwischen stimmen die meisten Experten und wohl auch Zuschauer darin überein, daß der Puertoricaner eher seinen Gürtel niederlegen als gegen den Kasachen antreten würde. Schon Cottos Triumph über den Argentinier entbehrte nicht eines bitteren Beigeschmacks, da der ehemals beste Mittelgewichtler nach schweren Knieverletzungen, nachfolgenden Operationen und einer langen Zwangspause körperlich derart eingeschränkt wirkte, daß er dem Herausforderer ein ungewohnt statisches Ziel bot. [1]

Statt die Kritik durch Kämpfe gegen anspruchsvolle Gegner verstummen zu lassen, blieb Cotto auf seinem Gürtel sitzen und ließ Verhandlungen mit namhaften Rivalen durch überhöhte Forderungen scheitern. Vor sechs Monaten schien sich ein hochdotiertes Duell mit Saul "Canelo" Alvarez im New Yorker Madison Square Garden anzubahnen. Obgleich der Mexikaner offenbar bereit war, auf jegliche Bedingungen des Titelverteidigers einzugehen, unterzeichnete dieser die Verträge nicht. Statt dessen heuerte er bei Roc Nation an und erneuerte seine Absage an Golowkin, den er wider besseres Wissen als zu unpopulär abtat, um sich mit ihm abzugeben. Da es inzwischen die Spatzen von den Dächern pfeifen, daß Cotto Angst vor dem Kasachen hat, holte der Puertoricaner in seiner jüngsten Stellungnahme zu einem verbalen Rundumschlag aus. Er lasse sich von niemandem vorschreiben, wie er seine Karriere zu gestalten und gegen wen er anzutreten habe.

Unterdessen hat ihm der Verband eine freiwillige Titelverteidigung zugestanden, bevor er entweder gegen Golowkin antreten oder den Gürtel zurückgeben muß. Cottos Wahl fiel auf den relativ ungefährlichen Daniel Geale, mit dem er am 6. Juni und damit fast ein Jahr nach dem Titelgewinn im Barclays Center in Brooklyn in den Ring steigt. Der mit 34 Jahren gleichaltrige Australier war früher Champion der WBA und IBF. Während für den Puertoricaner 39 Siege und vier Niederlagen zu Buche stehen, hat der Herausforderer 31 Kämpfe gewonnen und drei verloren. [2]

Geale wird bei den vier maßgeblichen Verbänden WBO (4), WBC (6), WBA (7) und IBF (8) an recht guten Positionen geführt, was jedoch nicht darüber hinwegtäuschen kann, daß seine vergleichsweise geringe Schlagwirkung nicht ausreicht, um es mit den gefährlichsten Konkurrenten aufzunehmen. Allein mit schnellen Füßen ist ein starker Gegner nicht zu besiegen, wie sein Kampf gegen Golowkin im Juli 2014 zeigte. Der Australier rannte zwei Runden lang davon, bis ihn der Kasache schließlich im dritten Durchgang stellte und auf die Bretter schickte. Im Dezember meldete sich Geale mit einem einstimmigen Punktsieg gegen seinen australischen Landsmann Jarrod Fletcher zurück.

Miguel Cotto verlangt Daniel Geale eine Gewichtsgrenze von 157 US-Pfund (71,2 kg) ab, die den Australier benachteiligen dürfte. Warum es einem amtierenden Weltmeister überhaupt gestattet sein soll, ein Limit unterhalb der üblichen 160 Pfund für das Mittelgewicht zu fordern, wenn er seinen Gürtel verteidigt, bleibt schleierhaft. Damit nimmt die um sich greifende Praxis vieler namhafter Akteure, immer häufiger Gewichtsgrenzen nach Gutdünken zu vereinbaren, geradezu groteske Züge an.

Der Sender HBO hat sich endlich auf die Hinterbeine gestellt und Cotto angedroht, man werde nicht einmal seinen nächsten Kampf übertragen, sollte er nicht zuvor eine nachfolgende Titelverteidigung gegen Saul Alvarez vertraglich vereinbaren. Und selbst das sei keine Garantie, daß man Geale ins Programm aufnehmen werde. Um dieser Aufforderung nachzukommen, müßte der Puertoricaner den Titel niederlegen, was ihn jedoch nicht des Problems entheben würde, gegen "Canelo" den kürzeren zu ziehen, der bekanntlich gewaltig zuschlagen kann.

Miguel Cotto und sein ebenso kompetenter wie ausgefuchster Trainer Freddie Roach haben die Lesart in die Welt gesetzt, ihre Zusammenarbeit habe dem Puertoricaner einen zweiten Frühling beschert. Der Sieg und Titelgewinn gegen Sergio Martinez war insofern ein geschickter Schachzug, als man den damals noch hochgeschätzten Argentinier in einer geschwächten körperlichen Verfassung entthronen und seinen Status übernehmen konnte. Einen zweiten Beleg für die These, Cotto kämpfe so gut wie in früheren Zeiten, blieb das Gespann aus Boxer und Trainer schuldig.

Der WBC-Champion verdankt seinen hohen Marktwert vor allem der begeisterungsfähigen puertoricanischen Fangemeinde, die bei seinen Auftritten in New York problemlos die größten Arenen füllt und für lukrative Fernsehquoten sorgt. Ewig kann er jedoch mit diesem Pfund nicht wuchern, da früher oder später auch die Geduld seiner Anhängerschaft ein Ende hat. Während sich Gennadi Golowkin die stärksten Kontrahenten aussucht, die gegen ihn anzutreten wagen, halten Cotto und Roc Nation die Branche so lange zum Narren, bis ihnen das ewige Ausweichmanöver auf die eigenen Füße fällt.


Fußnoten:

[1] http://www.boxingnews24.com/2015/04/cotto-chooses-not-to-face-triple-g-will-fight-geale-next/#more-188491

[2] http://www.boxingnews24.com/2015/04/miguel-cotto-vs-daniel-geale-at-157lb-catch-weight-on-june-6th-in-brooklyn-new-york/#more-190713

16. April 2015


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