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MELDUNG/1724: Wer ist die Zukunft des Schwergewichts? (SB)



Deontay Wilder und Anthony Joshua trennen Welten

"Er will Geschichte schreiben - aber nicht mit mir!" erteilt WBC-Weltmeister Deontay Wilder dem Herausforderer Eric Molina eine Absage, was dessen Ambitionen für den 13. Juni betrifft. Der Champion weiß neben dem Heimvorteil in Birmingham, Alabama, so gut wie alle weiteren Argumente auf seiner Seite. Er ist in 33 Profikämpfen ungeschlagen, mußte dabei nur ein einziges Mal über volle zwölf Runden boxen und schlägt trotz seiner Größe von 2,01 m ungewöhnlich schnell und vor allem mit einer Wirkung zu, die im aktuellen Schwergewicht ihresgleichen sucht. Einzig Wladimir Klitschko rangiert noch mit seiner Gürtelsammlung vor dem US-Amerikaner, der im nächsten Jahr seinen Weg kreuzen dürfte. [1]

Demgegenüber nimmt sich Molina mit seinen 23 Siegen und zwei Niederlagen wie auch dem neunten Platz in der WBC-Rangliste recht bescheiden aus, wenngleich auch er ordentlich zuschlagen kann. Die meisten Wetten dürften denn auch der Frage geschuldet sein, wie wenige Runden Wilder braucht, um den Herausforderer auf die Bretter zu schicken. Der Kampf wird von Showtime übertragen und dürfte dem Sender eine ansehnliche Quote bescheren, da die jahrelang vergebens beschworene Hoffnung, endlich wieder einen US-amerikanischen Champion aller Klassen hervorzubringen, schließlich doch erfüllt worden ist. Zudem verkörpert Deontay Wilder all das, was man von einem Schwergewichtler moderner Fasson erwartet. Wenn jemand die lange Ära Klitschko beenden und alle vier maßgeblichen Titel samt dem Gürtel der kleineren IBO zusammenführen kann, dann am ehesten dieser neue Stern am Boxhimmel, so die Prognose nicht allein US-amerikanischer Fans und Experten.

Skeptische Einwände, Wilder verdanke seine makellose Bilanz einer Serie handverlesener Gegner, sind spätestens seit dem Sieg über Bermane Stiverne aus dem Feld geschlagen. Zwar brach sich der Herausforderer die Schlaghand am Eisenschädel des Kanadiers, doch boxte er den Titelverteidiger mit dem linken Jab und einer taktischen Meisterleistung gekonnt aus. Zweifel an den technischen Fertigkeiten und konditionellen Qualitäten des neuen WBC-Weltmeisters wurden seither nicht wieder laut. Dieser macht zudem bei Auftritten in der Öffentlichkeit eine ausgezeichnete Figur, wobei er wie ein eloquenter Gegenentwurf zu den eher hölzernen Einlassungen Klitschkos wirkt.

Molina, der einer Familie mexikanischer Einwanderer entstammt und in Texas lebt, bringt die Unterstützung der hispanischen Fangemeinde mit, so daß mit einem ausverkauften Haus und einer stattlichen Quote bei der Fernsehübertragung zu rechnen ist. Indessen müßte der Herausforderer schon über sich hinauswachsen und der Weltmeister einen ganz schlechten Tag haben, damit es zu einem überraschenden Verlauf dieses Duells kommen könnte. Eric Molina ist ein guter Schwergewichtler, der jeden Gegner auf die Bretter schicken kann, sofern er ihn oft genug trifft. Wilder schlägt seine Kontrahenten zumeist mit einem Volltreffer oder mit relativ wenigen Ansätzen zu Boden, weshalb der Herausforderer schlichtweg nicht dazu kommen dürfte, den Favoriten häufig genug zu treffen.

Auch welche Weise Wilder diese außergewöhnliche Schlagwirkung entfaltet, entzieht sich gängigen Erklärungsversuchen und bleibt ohnehin zumeist völlig unhinterfragt. Wahrgenommen wird immerhin, daß er trotz seiner imposanten Größe nur knapp 100 kg wiegt und deshalb regelrecht schlank wirkt. So drängt sich ein Vergleich mit dem muskelbepackten Anthony Joshua auf, der schon jetzt um die 112 kg auf die Waage bringt und mit Sicherheit weiter zulegen wird. Der 25jährige Brite wirkt steif, schlägt langsam und lediglich aus dem Arm, was für alternde und zweitklassige Gegner ausreicht, aber weit hinter das Können Wilders zurückfällt. Der daraus abgeleitete Schluß, daß Schlagwirkung offensichtlich nichts mit Muskelmasse und Eisenstemmen zu tun haben kann, führt zumindest auf eine interessante Spur. Bedauerlicherweise brechen die Überlegungen zumeist an dieser Stelle ab, weil ersatzweise bloße Mutmaßungen und inhaltsleere Konzepte nachgeschoben werden. Während die einen verkünden, "Power" müsse man eben haben, da man sie nicht künstlich herbeiführen könne, meinen andere, es komme auf eine Hebelwirkung an.

Wladimir Klitschko, der den 25jährigen Joshua zeitweise als Sparringspartner verpflichtet hatte, bezeichnete den jungen Briten kürzlich als die Zukunft des Schwergewichts. Da diese Äußerung im Interview mit einer britischen Zeitung fiel, könnte man vermuten, daß der Ukrainer seinem Gesprächspartner Honig um den Bart schmierte. Andererseits lobte er Joshua nicht zum ersten Mal, den er von den Sparringseinheiten her recht gut kennen dürfte. Positiv hatte sich Klitschko übrigens vor einigen Jahren auch über Deontay Wilder geäußert, nachdem er ihn ebenfalls zum Sparring herangezogen hatte. Der US-Amerikaner hat sich seither beträchtlich weiterentwickelt, was nicht gleichermaßen für Anthony Joshua gelten muß. [2]

Vielleicht wollte Klitschko in beiden Fällen einfach nur zuvorkommend sein oder die Erwartungen seiner Gesprächspartner gleichsam als Gunsterweis vom Thron herab bedienen. Möglicherweise hat er beim Sparring tatsächlich bei Wilder und Joshua den einen oder anderen Anhaltspunkt für seine Prognose entdeckt. Von Bedeutung ist letzten Endes lediglich, was die beiden aus ihren Fähigkeiten machen, und in dieser Hinsicht hat der Brite mit seinen dreizehn Siegen noch einen langen Weg vor sich. Seine bislang gefährlichsten Gegner, auf die er im olympischen Boxturnier 2012 in London traf, brachten ihn so schwer in Bedrängnis, daß er sich nur knapp und mit Hilfe ihm gewogener Punktrichter durchsetzen konnte. Damals brachte er noch gut zehn Kilo weniger auf die Waage und wirkte etwas beweglicher als heute, da ihn sein anwachsender Muskelpanzer inzwischen sichtlich einschränkt. Daß er diese Last offenbar mit Effizienz verwechselt und vermehrt, statt sie loszuwerden, gibt wenig Anlaß zur Spekulation, er sei die Zukunft des Schwergewichts.


Fußnoten:

[1] http://www.bhoxingnews24.com/2015/06/deontay-wilder-eric-molina-is-not-going-to-make-history-against-me/#more-194213

[2] http://www.boxingnews24.com/2015/06/klitschko-anthony-joshua-is-the-future-of-the-heavyweight-division/#more-194230

6. Juni 2015


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