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MELDUNG/1844: Ein Blitz aus heiterem Himmel? (SB)



WBC erkennt Miguel Cotto überraschend den Titel ab

Wenige Tage vor dem spektakulären Kampf gegen Saul "Canelo" Alvarez hat der Verband World Boxing Council (WBC) Miguel Cotto den Titel im Mittelgewicht aberkannt. Wie der Puertoricaner bei seiner Ankunft im Mandalay Bay in Las Vegas erklärte, wo das hochklassige Duell am kommenden Samstag über die Bühne gehen wird, sei es lediglich ums Geld gegangen. Er sei keineswegs enttäuscht über diese Entscheidung des WBC.

Nach Angaben des Experten Dan Rafael von ESPN hatte der Verband von den beiden Boxern jeweils 300.000 Dollar Gebühren sowie von den Promotern Roc Nation Sports (Cotto) und Golden Boy (Alvarez) je 25.000 Dollar dafür verlangt, daß ihr Auftritt als Titelkampf zugelassen wird. Diese Verfahrensweise ist branchenüblich und Kern des Geschäftsmodells der Verbände, was deren Neigung zu einer inflationären Vergabe diverser Gürtel erklärt, deren jeweilige Bedeutung nur Experten geläufig ist, die breite Mehrheit des Sportpublikums aber verwirrt oder schlichtweg kaltläßt.

Wie es weiter heißt, habe sich Alvarez einverstanden erklärt, die Gebühr in der verlangten Höhe zu begleichen, Cotto jedoch versucht, den Preis herunterzuhandeln. Nachdem sich WBC-Präsident Mauricio Sulaiman und der Puertoricaner in einem Telefongespräch nicht einigen konnten, sei Cotto der Titel aberkannt worden. Offenbar war seitens des Verbands nur soviel zu erfahren, daß der Puertoricaner dem Reglement des WBC nicht entsprochen habe. Warum sich die Verbandsführung in diesem Fall nicht auf Verhandlungen eingelassen hat, obgleich dies in der Vergangenheit bei bedeutenden Kämpfen unter Beteiligung Oscar de la Hoyas, Floyd Mayweathers und Manny Pacquiaos gang und gebe war, blieb unklar.

In Reaktion auf eine kritische Äußerung von "Canelos" Promoter, der das Verhalten Cottos gerügt hatte, erwiderte dieser, ihn interessiere Oscar de la Hoyas Meinung nicht, der sich um seine eigenen Angelegenheiten kümmern und seine Nase nicht in die Geschäfte anderer Leute stecken solle. Er halte die Höhe der Gebühr für absurd und ziehe es vor, das Geld auf dem eigenen Konto zu lassen.

Miguel Cotto kritisierte das Gebaren der Verbände mit den Worten, diese hielten sich in jeder Gewichtsklasse gleichzeitig vier Weltmeister, um bei jedem Titelkampf einen Prozentsatz abzukassieren. Dann müßten andere für die Fehler der Verbände bezahlen, was er schlichtweg für unfair halte. Das WBC habe ihm erklärt, daß sein Angebot unangemessen sei, und ihn als Weltmeister abgesetzt. Das kümmere ihn jedoch nicht, da er diesen Titel nicht brauche. Er habe zu Hause jede Menge Gürtel und zudem genug Geld gespart, um sich jeden Gürtel kaufen zu können, den er sich wünsche, und in seinen eigenen vier Wänden den Champion wovon auch immer abzugeben.

Was die Gürtelsammlung betrifft, hat Miguel Cotto nicht übertrieben, da er als erster puertoricanischer Boxer Weltmeister in vier Gewichtsklassen vom Halbweltergewicht bis zum Mittelgewicht geworden ist. Von Interesse sind nun die Konsequenzen der jüngsten Entwicklung: Sollte Cotto gewinnen, steigt Interimschampion Gennadi Golowkin zum WBC-Weltmeister auf und hätte damit drei der vier maßgeblichen Titel im Mittelgewicht zusammengeführt. Setzt sich Alvarez durch, wird er den WBC-Titel einfordern und die Führungsposition in dieser Gewichtsklasse für sich reklamieren. Ob er den Gürtel überhaupt bekommen kann, da sein Gegner ja nicht mehr Weltmeister ist, steht natürlich noch nicht fest. [1]

Aus Sicht des Kasachen wäre ein Erfolg Cottos daher von Vorteil, zumal Oscar de la Hoya klargestellt hat, daß er Saul Alvarez frühestens in eineinhalb Jahren gegen Golowkin kämpfen lasse werde. Andererseits liegt eine feste Zusage des WBC vor, daß der Sieger des bevorstehenden Kampfs den Titel entweder im nächsten Schritt gegen Golowkin verteidigen oder niederlegen muß. Der Kasache wird diesen Gürtel folglich auf jeden Fall bekommen, wobei der absehbar schnellste Weg eine Niederlage des Mexikaners am Samstag wäre.

Daß sich Mauricio Sulaiman auf die Hinterbeine gestellt und Miguel Cotto keine Extrawurst gebraten hat, kommt zwar zu einem außergewöhnlichen Zeitpunkt, aber womöglich doch nicht wie ein Blitz aus heiterem Himmel. Zumindest hat der Mexikaner bei der Wahl zum Nachfolger seines Anfang 2014 verstorbenen Vaters, der das World Boxing Council jahrzehntelang im Stil eines Patriarchen geführt hatte, frischen Wind angekündigt. Cotto und Alvarez sind überaus populäre Akteure, deren Kampf dem Boxgeschäft gut zu Gesicht steht. Andererseits dürfte Sulaiman daran gelegen sein, den Titel in der Folge nicht ewig blockiert zu sehen, weil niemand gegen Gennadi Golowkin antreten will. Frei nach dem Motto, die Besten sollen gegeneinander kämpfen, weil es das Publikum so am liebsten hat, sind nun Cotto und "Canelo" an der Reihe, doch dann schlägt die Stunde Golowkins. Er ist der beste Boxer des Mittelgewichts, was immer die Konkurrenz auch an Ausflüchten ins Feld führt, um ihm aus dem Weg zu gehen. Ob Sulaiman die Gelegenheit beim Schopf ergriffen hat, in Verfolgung eigener Interessen und der seines Verbands eine Weiche zu stellen, wird aber wohl sein Geheimnis bleiben.


Fußnote:

[1] http://espn.go.com/boxing/story/_/id/14158221/miguel-cotto-shrugs-wbc-belt-stripping-all-money

18. November 2015


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