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MELDUNG/1983: Altes Dilemma in neuem Gewand? (SB)



Das Duell der Superlative wirft seinen Schatten voraus

Der mit hohen Erwartungen befrachtete Kampf zwischen Sergej Kowaljow und Andre Ward im Halbschwergewicht soll am 19. November in der T-Mobile Arena in Las Vegas über die Bühne gehen und vom Sender HBO im Pay-TV übertragen werden. Der 33jährige Russe ist mit einer Bilanz von 29 Siegen und einem Unentschieden Weltmeister der Verbände WBA, WBO und IBF, weshalb er als führender Akteur dieser Gewichtsklasse gilt. Sein ein Jahr jüngerer Herausforderer aus Oakland ist in 29 Kämpfen ungeschlagen und dominierte vordem das Supermittelgewicht, wo er zuletzt keine angemessenen Gegner mehr fand und deshalb sein Glück im höheren Limit versucht.

Die moderne Austragungsstätte wurde im April eröffnet und präsentierte am 7. Mai ihre erste Boxveranstaltung, in deren Zentrum der spektakuläre Sieg des damaligen WBC-Weltmeisters im Mittelgewicht, Saul "Canelo" Alvarez, gegen den Briten Amir Khan stand, der in der sechsten Runde die Segel streichen mußte. Wenngleich weder Kowaljows Promoter Main Events noch Roc Nation Sports für Ward den Ort des Geschehens offiziell mitgeteilt haben, ist doch bekannt, daß der Nevada State Athletic Commission entsprechende Anträge beider Seiten vorliegen. Dies geht aus der veröffentlichten Tagesordnung des Aufsichtsgremiums für dessen nächste Sitzung in der kommenden Woche hervor.

Wie Promoterin Kathy Duva auf Nachfrage von ESPN.com erklärte, habe man einige Zeit zwischen New York und Las Vegas geschwankt, wo das Interesse an der Austragung des Kampfs gleichermaßen groß gewesen sei. Schließlich sei die Wahl auf die T-Mobile Arena gefallen, die aus einer Reihe von Gesichtspunkten, darunter ein leichterer Zugang und geringere Kosten für die Medien, am meisten Sinn mache. Auch Andre Ward, der seit Jahren als einer der besten Akteure aller Gewichtsklassen gehandelt wird, aber erstaunlicherweise noch nie in Las Vegas aufgetreten ist, sprach sich für die Spielerstadt aus, wo er im November den bedeutendsten Kampf seiner Karriere bestreiten wird.

Kowaljow und Ward haben jeweils einen Vertrag mit dem Sender HBO über drei Kämpfe abgeschlossen, dessen krönender Abschluß ihr Duell gegen Ende des Jahres sein soll. Beide müssen zuvor noch einen Auftritt im Sommer ungeschlagen überstehen, da eine unverhoffte Niederlage das Gesamtkonzept durchkreuzen würde, den herausragenden Akteur im Halbschwergewicht zu ermitteln. Andre Ward hat sich bei seinem Debüt im höheren Limit am 26. März klar nach Punkten gegen den bis dahin unbesiegten Sullivan Barrera durchgesetzt. Er soll voraussichtlich am 6. August in seiner Heimatstadt Oakland seinen nächsten Auftritt geben, für den allerdings noch immer kein Gegner benannt worden ist.

Das stimmt bedenklich, da die verbliebenen Wochen der Vorbereitung zusehends schrumpfen, so daß es kaum noch möglich sein dürfte, einen hochwertigen Kontrahenten zu verpflichten. Steigt Ward mit einem nicht sonderlich populären und relativ ungefährlichen Kandidaten in den Ring, wäre das mit zwei Nachteilen verbunden. Zum einen wäre es der Bewerbung des Novemberkampfs nicht gerade zuträglich, zum anderen braucht der Kalifornier eigentlich einen echten Prüfstein, um sich auf Kowaljow vorzubereiten.

Für den in Los Angeles lebenden Russen sieht die nahe Zukunft wesentlich überschaubarer aus. Er verteidigt seine drei Titel am 11. Juli in Ekaterinburg gegen Isaac Chilemba, womit er erstmal seit langem wieder in Rußland eine Arena mit seinen begeisterungsfähigen Landsleuten füllt. Der ursprünglich aus Malawi stammende 28 Jahre alte Herausforderer lebt in Südafrika und kann mit 24 Siegen, drei Niederlagen sowie zwei Unentschieden aufwarten. [1]

Zur achten Titelverteidigung tritt Sergej Kowaljow erst zum dritten Mal in seiner Profikarriere in seinem russischen Heimatland an. In Ekaterinburg kehrt er in dieselbe Arena zurück, die bei seinem letzten Auftritt in Rußland Schauplatz einer Tragödie war. Im Dezember 2011 besiegte er Roman Simakow in der siebten Runde, der drei Tage später den Verletzungen erlag, die er in diesem Kampf davongetragen hatte. Kowaljow hat es seither abgelehnt, sich dazu in der Öffentlichkeit zu äußern, und wird sicher auch im Vorfeld seines Auftritts mit Chilemba nicht davon abrücken. Wie er vielmehr erklärte, sehe er dem Auftritt in Rußland mit Freude entgegen. Es erfülle ihn mit Stolz, mit drei Titeln heimzukehren.

Der Weltmeister dreier Verbände hat sich zuletzt am 30. Januar in Montreal auch bei der Revanche gegen den früheren Champion Jean Pascal durchgesetzt, der diesmal noch weniger zu bestellen hatte, als bei ihrem ersten Aufeinandertreffen. Wenngleich er als Lokalmatador das Publikum auf seiner Seite wußte, zeichnete sich seine Unterlegenheit immer deutlicher ab, bis der Russe dem ungleichen Kampf in der sechsten Runde ein Ende machte. Berücksichtigt man, daß Pascal zwar nicht auf dem Niveau Sergej Kowaljows, Adonis Stevensons und wohl auch Andre Wards anzusiedeln ist, doch gleich dahinter nach wie vor zu den besten Halbschwergewichtlern gehört, unterstreicht dies einmal mehr, in welchem Maße sich Kowaljow weiterentwickelt hat. Galt er im Zuge seines Aufstiegs vor allem als robuster Boxer, der sich dank einer urwüchsigen Schlagwirkung seinen Weg durch die Konkurrenz bahnte, so belegte spätestens sein unangefochtener Sieg über den mit allen Wassern gewaschenen Bernard Hopkins, wie technisch und taktisch gereift der Russe inzwischen zu Werke geht.

Kathy Duva, die als Promoterin auch Isaac Chilemba unter Vertrag hat, trug maßgeblich dazu bei, Kowaljows Wunsch zu erfüllen, als amtierender Weltmeister vor russischem Publikum aufzutreten. Wie sie sagte, habe sich Sergej bei seiner Rückkehr einen anspruchsvollen Herausforderer gewünscht, der ihm dabei hilft, sich auf Andre Ward vorzubereiten. Also führe sie ihm einen Kontrahenten zu, der ihn durchaus auf die Probe stellen werde. Chilemba hat im November in Montreal einen Ausscheidungskampf gegen den Lokalmatador Eleider Alvarez verloren, der damit neuer Pflichtherausforderer des WBC-Weltmeisters Adonis Stevenson wurde.

Alvarez behielt dabei nur knapp und umstritten die Oberhand, worauf viele Experten der Auffassung waren, daß ein Sieg Chilembas nicht minder vertretbar gewesen wäre. Wenn Kathy Duva dazu anmerkt, sie sehe sich glücklicherweise in der Lage, ihm einen anderen Titelkampf möglich zu machen, ist gegen diese Aussage wenig einzuwenden. Auch gegen Adonis Stevenson stiege Chilemba als Außenseiter in den Ring, was nun einmal bei der Herausforderung eines Weltmeisters selten zu vermeiden ist. Sergej Kowaljow bekommt es jedenfalls mit einem Kontrahenten zu tun, den er keinesfalls auf die leichte Schulter nehmen kann, was ihm mit Blick auf Andre Ward zweifellos zustatten kommt.

Alles in allem läuft die Karriere des Russen wesentlich runder als jene Andre Wards, der in der Vergangenheit gravierend unter Verletzungen, aber nicht zuletzt auch Kontroversen mit seinem damaligen Promoter zu leiden hatte, die ihn jahrelang mehr oder minder blockierten. Selbst als anerkannt bester Boxer im Supermittelgewicht bekam er nicht die erhofften spektakulären und hochdotierten Kämpfe mit namhaften Gegnern. Schien der Vertrag mit Roc Nation Sports einen Schlußstrich unter dieses Dilemma zu ziehen, so geben die aktuellen Schwierigkeiten, einen angemessenen Gegner für Wards nächsten Auftritt zu finden, doch zu Bedenken Anlaß. Es wäre dem ehemaligen Weltmeister nicht zu wünschen, daß seine Karriere erneut von äußeren Umständen beeinträchtigt wird, auf die er wenig oder gar keinen Einfluß hat.


Fußnote:

[1] http://espn.go.com/boxing/story/_/id/16269873/sergey-kovalev-andre-ward-bout-take-place-nov-19-t-mobile-arena-las-vegas

18. Juni 2016


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