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MELDUNG/2042: Auf die Kür folgt die Pflicht (SB)



Tony Bellew muß sich dem Letten Mairis Briedis stellen

Um die Karriere des britischen Cruisergewichtlers Tony Bellew war es nicht zum besten bestellt, als sich ihm im Mai unverhofft die Gelegenheit bot, um den vakanten WBC-Titel zu kämpfen. Überdies bekam er es im heimischen Goodison Park in Liverpool mit einem Gegner zu tun, der sich mit seiner Kampfesweise selbst ein Bein stellte. Der Ranglistenerste Ilunga Makabu aus Südafrika war für seine beachtliche Schlagwirkung bekannt, die Bellew zu spüren bekam, als er nach vorsichtigem Auftakt gegen Ende der ersten Runde in die Offensive ging. Makabu traf ihn genau am Kinn, worauf der Lokalmatador umfiel und eine Rolle rückwärts machte, ehe er vom Ringrichter angezählt wurde.

Nach diesem Warnschuß ging der Brite in der zweiten Runde kein Risiko ein, fiel aber im folgenden Durchgang plötzlich über den Gegner her, der wieder einmal in den Seilen lehnend ausruhte. Dort deckte ihn Bellew solange mit wuchtigen Haken ein, bis Makabu zu Boden ging und der Kampf abgebrochen wurde. Der Südafrikaner war schlecht beraten, sich ein ums andere Mal gegen die Seile zu lehnen, wie er das schon bei früheren Auftritten getan hatte. Diesmal mußte er bitter für das Manko bezahlen, sich ohne Not in diese nachteilige Position zu begeben. Wenngleich es Boxer gibt, die aus dieser Situation heraus vorzüglich kämpfen können, gilt das nicht für Makabu. Er braucht viel Platz, um alles hinter seine wuchtigen Schläge zu setzen, den ihm Bellew jedoch nicht ließ. So stand er wie ein Sparringspartner in der Enge und ließ sich traktieren, was in diesem so wichtigen Kampf um den Titel gründlich schiefging.

Hätte der Südafrikaner Bellews frühere Auftritte gründlich studiert, wäre ihm klar gewesen, daß der Brite immer dann am besten aussieht, wenn er einen Gegner an den Seilen stellen und mehr oder minder ungehindert mit Schlägen bearbeiten kann. Lediglich Isaac Chilemba machte in seinen beiden Kämpfen gegen Bellew aus dieser Situation heraus eine gute Figur. Dennoch mußte er sich im März 2013 mit einem Unentschieden begnügen und bei der Revanche im Mai 2013 sogar nach Punkten geschlagen geben, worin etliche Experten ein Geschenk an den britischen Lokalmatador sahen.

Tony Bellew hatte im Halbschwergewicht zweimal versucht, Weltmeister zu werden, war aber an dem Kanadier Adonis Stevenson und später an dem Waliser Nathan Cleverly gescheitert. Der Aufstieg ins Cruisergewicht zahlte sich aus, da er dort endlich im dritten Anlauf den Gipfel erklimmen konnte. Nach dem überraschenden Sieg gegen den favorisierten Ilunga Makabu triumphierte der Liverpooler, in diesem Stadion könne ihn niemand besiegen, hier komme er Floyd Mayweather so nahe wie kein anderer Boxer. Er sei fortan der beste Cruisergewichtler der Welt. Wenngleich man diese Aussage seiner Erleichterung und Freude zuschreiben konnte, klang darin doch eine befremdliche Selbstüberschätzung an.

Da Bellew einen vakanten Titel gewonnen hatte, hätte er üblicherweise im nächsten Schritt gegen den Pflichtherausforderer Mairis Briedis antreten müssen. Der Lette ist in 20 Kämpfen ungeschlagen, von denen er 17 vorzeitig gewonnen hat, und wäre eine harte Nuß, an der sich der Champion vermutlich die Zähne ausbeißen würde. Warum der Verband WBC dem Weltmeister zuerst eine freiwillige Titelverteidigung gestattete, ist ungewiß. Jedenfalls steht dem 33 Jahre alten Bellew eine vergleichsweise leichte Aufgabe ins Haus, wenn er am 15. Oktober in Liverpooler Echo Arena auf den vier Jahre älteren B.J. Flores trifft, der an Nummer vierzehn der WBC-Rangliste geführt wird. Der Kalifornier hatte bei seiner Niederlage gegen Beibut Schumenow im Juli 2015 denkbar schlecht ausgesehen, sich aber bei seinem letzten Auftritt im Mai 2016 gegen Roberto Santos durchgesetzt.

So verständlich die Wahl eines leichten Gegners für die erste freiwillige Titelverteidigung war, machte doch zwangsläufig die Einschätzung die Runde, Bellew gehe den Weg des geringsten Widerstands und meide den gefährlichen Pflichtherausforderer. Nun hat das WBC dem Briten jedoch die schlechte Nachricht übermittelt, er müsse im Falle eines Sieges über Flores im nächsten Schritt gegen Mairis Briedis antreten. Der Lette wird im Vorprogramm der Veranstaltung in Liverpool einen Kampf über zehn Runden bestreiten, so daß die Zuschauer vor Ort und beim Sender Sky Sports den kommenden Gegner des Weltmeisters in Augenschein nehmen können, bevor die beiden wahrscheinlich Anfang 2017 aufeinandertreffen werden. [1]

Nach Lage der Dinge bekommt Briedis also endlich die Chance, um den WBC-Titel zu kämpfen, worauf er nun schon geraume Zeit gewartet hat. Sollte jedoch B.J. Flores wider Erwarten die Oberhand behalten, ist nicht restlos auszuschließen, daß auch er den Titel zuerst freiwillig verteidigen darf, was natürlich bitter für den Letten wäre, der folglich Bellew die Daumen drücken wird. Um gegen den Pflichtherausforderer zu bestehen, müssen sich Tony Bellew und sein Trainer einiges einfallen lassen. Mairis Briedis gilt als robust, technisch versiert wie auch schlagstark - und wird dem Briten ganz bestimmt nicht den Gefallen tun, sich für ihn in die Seile zu lehnen.


Fußnote:

[1] http://www.boxingnews24.com/2016/08/bellew-must-fight-briedis-next-defeats-flores/#more-216019

31. August 2016


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