Schattenblick → INFOPOOL → SPORT → BOXEN


MELDUNG/2082: Auch Nostalgie hat eine Halbwertzeit (SB)



Arthur Abraham und Robin Krasniqi kämpfen um Titelchance

Am 4. Januar kommt es in Budapest zur Versteigerung der Rechte am Kampf zwischen Arthur Abraham und Robin Krasniqi, dessen Sieger neuer Pflichtherausforderer des WBO-Weltmeisters im Supermittelgewicht, Gilberto Ramirez aus Mexiko, wird. Der 36jährige Abraham hat 45 Siege und fünf Niederlagen vorzuweisen, sein sieben Jahre jüngerer Gegner bringt 46 gewonnene und vier verlorene Auftritte mit. Da der Berliner an Nummer zwei und sein Kontrahent an dritter Stelle der WBO-Rangliste geführt wird, ist im Prinzip gegen ihren Qualifikationskampf nichts einzuwenden, sofern man das Wohlwollen, das der Verband diesen beiden Boxern seit Jahren angedeihen läßt, nicht grundsätzlich in Frage stellt.

Abraham hatte seine beste Zeit im Mittelgewicht, wo er als ungeschlagener IBF-Champion seine Schwächen kompensieren und seine Stärken ausspielen konnte. Er verschanzte sich rundenlang hinter einer soliden Doppeldeckung, ließ den Gegner arbeiten und fiel irgendwann überfallartig über ihn her, um ihn dank seiner enormen Schlagwirkung auszuschalten. Technisch und taktisch nicht gerade begnadet, machte er Mängel, die seinen Trainer Ulli Wegner oftmals zur Weißglut reizten, durch Kampfkraft wett. Das funktionierte sehr gut, bis der Berliner das Gewicht nicht mehr halten und vor seinen Auftritten immer mehr abkochen mußte, was Konditionsprobleme im Kampf mit sich brachte.

Um diesem Dilemma zu entgehen, stieg Abraham schließlich ins Supermittelgewicht auf, wo ihn sein Promoter Kalle Sauerland ins innovative Super-Six-Turnier einbinden konnte. Als Mitfavorit gehandelt, erfüllte der Berliner mit einem Auftaktsieg über Jermain Taylor zunächst die in ihn gesetzten Erwartungen, wobei er von gravierenden gesundheitlichen Problemen des US-Amerikaners profitierte. Dann folgten Niederlagen gegen Andre Dirrell, Carl Froch und Andre Ward, die Abrahams boxerische Grenzen aufzeigten, der seine Schwächen im höheren Limit nicht mehr ausgleichen konnte, sobald er auf hochklassige Gegner traf.

Obgleich sich der Berliner aus der internationalen Elite verabschiedet zu haben schien, wurde er gewissermaßen auf dem Nebengleis doch noch Weltmeister im Supermittelgewicht, indem er sich gegen Robert Stieglitz durchsetzte und ihm den WBO-Gürtel abnahm. Der Magdeburger gewann die Revanche, dann holte sich Abraham die Trophäe zurück und behielt sie bei ihrem vierten Aufeinandertreffen binnen drei Jahren, was natürlich nur möglich war, weil die WBO beiden Boxern auch nach den Niederlagen gute Ranglistenplätze gewährte. Dem deutschen Publikum gefielen diese Duelle, so daß sich mit dem Dauerbrenner genug Geld verdienen ließ, um auf dieser Schiene weiterzufahren. Es folgten nicht allzu gefährliche Herausforderer, die der Berliner in die Schranken weisen konnte, bis Gilberto Ramirez an der Reihe war.

Man konnte dem jungen Pflichtherausforderer nicht aus dem Weg gehen, hielt ihn aber für relativ unerfahren und schlagbar, sofern sich Abraham rückhaltlos ins Zeug legen würde, wie sein Trainer es forderte. Sauerland setzte sich bei der Versteigerung der Austragungsrechte durch, ließ sich aber von seinem US-amerikanischen Kollegen Bob Arum mit einer Summe in unbekannter Höhe davon überzeugen, den Kampf in Las Vegas auszutragen. Auch Abraham stimmte zu, bot sich ihm doch die einmalige Gelegenheit, seinen Traum von einem Auftritt in der Spielerstadt Wirklichkeit werden zu lassen. Überdies fand das Duell im Vorprogramm des vielbeachteten Kampfs zwischen Manny Pacquiao und Timothy Bradley statt, der damals noch als Abschiedsvorstellung des legendären Philippiners gehandelt wurde.

Der Berliner hatte in den USA bei seinen Niederlagen gegen Dirrell und Ward jegliche Reputation verspielt, weshalb er nun einen Kontrapunkt setzen und sich dem US-Publikum nachhaltig empfehlen wollte. Für die dortigen Experten, die seine Schlagwirkung hochschätzten, galt er als Favorit, da sie davon ausgingen, daß ihm Ramirez nichts entgegenzusetzen hätte und früher oder später auf dem Boden landen würde. Als es jedoch im April zum Kampf kam, erlebte Abraham ein beispielloses Debakel, da er keine einzige Runde für sich entscheiden konnte. Der Mexikaner spielte seine Größe und Beweglichkeit unablässig aus, versetzte dem Titelverteidiger schnelle Treffer und entzog sich sofort wieder. Da Abraham nicht fähig oder willens zu sein schien, dem Gegner energisch nachzusetzen, ließ er hilflos die Felle davonschwimmen.

Auch Robin Krasniqi hat wenig Argumente vorzuweisen, die seinen Status als Titelaspirant rechtfertigen würden. Im April 2013 unterlag er dem damaligen WBO-Champion im Halbschwergewicht, Nathan Cleverly, einstimmig nach Punkten, im März 2015 mußte er sich dem regulären WBA-Weltmeister Jürgen Brähmer in der neunten Runde geschlagen geben. Seither hat Krasniqi drei Auftritte gewonnen, jedoch gegen mehr oder minder unbekannte Gegner. Obgleich er seit vier Jahren keinen namhaften Kontrahenten besiegt hat, meinte es die WBO stets gut mit ihm, so daß er weit vorn in der Rangliste blieb.

Arthur Abraham ist hierzulande wesentlich populärer als Robin Krasniqi, wobei er inzwischen jedoch in hohem Maße von seinem guten Ruf in der Vergangenheit zehrt. Solange er Weltmeister war, hielt ihm das breitere Boxpublikum Qualitäten zugute, die er nur noch mit Mühe im Ring zur Entfaltung bringen konnte. Schon im November 2015 hatte er enorme Probleme, sich mit 2:1-Punktrichterwertungen gegen Martin Murray durchsetzen. Auf die desaströse Niederlage gegen Gilbert Ramirez im April 2016 folgte im Juli zwar ein Sieg in der achten Runde gegen Tim Robin Lihaug, der jedoch alles andere als die angekündigte Rehabilitierung des Berliners war, der kaum besser boxte als in Las Vegas, nur einen wesentlich schwächeren Gegner vor den Fäusten hatte.

So nimmt es nicht wunder, daß in der internationalen Debatte der Ruf nach einer Auffrischung im Kandidatenfeld der WBO immer lauter erschallt. Mit Jesse Hart (1), George Groves (4), Zac Dunn (5), Isaac Expo (6), Callum Smith (7), Trevor McCumby (8) und Matt Karobow (9) ließe sich eine ganze Reihe jüngerer Akteure in der WBO-Rangliste nennen, die reif für die lange blockierte Titelchance wären. [1]


Fußnote:

[1] http://www.boxingnews24.com/2016/12/arthur-abraham-vs-robin-krasniqi-purse-bid-jan-4/#more-224173

29. Dezember 2016


Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang