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MELDUNG/2118: Ulli Wegner verliert seinen letzten Weltmeister (SB)



Jack Culcay unterliegt Demetrius Andrade knapp nach Punkten

Der Berliner Trainer Ulli Wegner hat nun auch seinen letzten verbliebenen Weltmeister verloren. Jack Culcay, der bislang den regulären Titel der WBA im Halbmittelgewicht innehatte, mußte sich vor 3100 Zuschauern in Ludwigshafen dem US-Amerikaner Demetrius Andrade knapp nach Punkten geschlagen geben (115:114, 112:116, 112:116). Während der 29jährige Andrade aus Rhode Island damit in 24 Auftritten ungeschlagen ist, stehen für den zwei Jahre älteren Culcay jetzt 22 gewonnene und zwei verlorene Kämpfe zu Buche.

In der Friedrich-Ebert-Halle lieferten die Kontrahenten einander ein sehr enges Gefecht, in dem mindestens fünf Runden auf gleicher Augenhöhe ausgetragen wurden. Culcay legte bei seiner ersten Titelverteidigung beträchtliche technische Qualitäten an den Tag und konnte Andrades enormen Größenvorteil von dreizehn Zentimetern über weite Strecken kompensieren. Der US-Amerikaner zog jedoch in der zweiten Hälfte des Kampfs phasenweise davon, da er aktiver zu Werke ging. Wenngleich er mit seinen Treffern keine tiefgreifende Wirkung erzielte, schlug er doch häufiger als Culcay, der es unterließ, die Distanz konsequent zu überbrücken und seine Stärken dicht am Gegner zur Entfaltung zu bringen.

Von einer Linken des Titelverteidigers sichtlich erschüttert, geriet der Herausforderer in der zwölften Runde ins Taumeln. Culcay realisierte jedoch nicht, wie angeschlagen sein Gegner war, und versäumte es, rückhaltlos nachzusetzen und Andrade den Rest zu geben. Wenngleich der offene Schlagabtausch im letzten Durchgang zugunsten des amtierenden Weltmeisters ausging, reichte dieser Endspurt nicht, um das Blatt zu wenden.

Andrade bot trotz seines letztendlichen Sieges keine überzeugende Vorstellung, da er mit der Schnelligkeit Culcays und dessen geschwindem Wechsel von Angriff und Rückzug während des gesamten Kampfs erhebliche Probleme hatte. Der Champion hatte zwischen der sechsten und achten Runde seine besten Szenen, als er diverse sehenswerte Kombinationen aus der Halbdistanz ins Ziel brachte. Andrade boxte zwar fleißig aus der Distanz mit, schlug in dieser Phase aber häufig Löcher in die Luft.

Vom neunten Durchgang an erhöhte Andrade seine Schlagfrequenz und hielt den Kontrahenten damit auf Distanz, der keineswegs zurücksteckte, aber nicht mehr so gefährlich an den US-Amerikaner herankam wie zuvor. In der zehnten Runde wechselte der Herausforderer aus der Rechtsauslage in die orthodoxe Kampfposition, was möglicherweise damit zusammenhing, daß er sich eine Verletzung an der linken Hand zugezogen hatte, die er fortan sehr viel weniger einsetzte. Auch nachdem er im elften Durchgang wieder in die Rechtsauslage zurückgekehrt war, benutzte er fast ausschließlich die Rechte, um Culcay auf Abstand zu halten.

Hätte der Titelverteidiger in den letzten vier Runden etwas mehr Gas gegeben und Druck gemacht, wäre der Sieg wohl an ihn gegangen. Ob seine Ecke davon ausging, daß es günstiger sei, den Kampf ohne allzu große Risiken nach Hause zu boxen, oder Culcay aus konditionellen Gründen nicht mehr zulegen konnte, ist ungewiß. Andrade bot an diesem Abend jedenfalls das Bild eines Gegners, der durchaus zu besiegen war, da er sich mit seinen langen Armen und Beinen mitunter selbst in die Quere kam und immer wieder daneben oder auf die Deckung schlug.

Culcay traf häufig, aber nicht wirkungsvoll genug, um Andrade auszubooten. So konnte der Herausforderer von Glück reden, keinem außergewöhnlichen Kontrahenten vom Schlage Jermall Charlos gegenübergetreten zu sein, der seine Deckungsschwächen gnadenlos ausgenutzt und ihn auf die Bretter geschickt hätte. Er war unter dem Strich etwas besser als Culcay, dem indessen nicht viel gefehlt hatte, um seinen Titel erfolgreich zu verteidigen. Andrade wirkte höchst angreifbar und wirkungslos, sobald ihm der Gegner zu nahe kam und ihn mit seinen Schlägen in Bedrängnis brachte. Er ist zwar nach wie vor ungeschlagen und darf weiter von bedeutenden Kämpfen träumen, doch zu einem ausgesprochenen Star des Halbmittelgewichts fehlt ihm noch viel.

Er hat sich kürzlich darüber beklagt, daß ihm namhafte Rivalen wie Saul "Canelo" Alvarez aus dem Weg gingen. Legt man jedoch die Probleme zugrunde, die Andrade in Ludwigshafen mit Culcay hatte, ist nicht abzusehen, wie er einen Kampf mit dem bulligen Mexikaner überstehen sollte. Ohne Jack Culcays solide Leistung in Abrede zu stellen, bleibt doch festzuhalten, daß er als regulärer Weltmeister der WBA ein Stufe unter unter dem Superchampion Erislandy Lara rangierte. Hätte Demetrius Andrade den Kampf in Ludwigshafen so überzeugend für sich entschieden, daß man von einem Klassenunterschied sprechen könnte, sähe die Sache anders aus. Der US-Amerikaner boxte jedoch auf dem Niveau Culcays und firmiert demzufolge auch nach dem Titelgewinn als Champion der zweiten Garnitur, der deutlich unter dem Kubaner einzustufen ist. Will es Andrade mit Erislandy Lara aufnehmen, muß er sich jedenfalls noch gehörig verbessern und insbesondere seine Mängel in der Halb- und Nahdistanz ausräumen. [1]

Als vor einiger Zeit die Frage gewälzt wurde, wer eines Tages die Nachfolge Floyd Mayweathers antreten könnte, fiel des öfteren auch Andrades Namen. Er wurde als eines der größten Talente neben Terrence Crawford gehandelt und stieg wie dieser zum Weltmeister auf. Den Titel der WBO mußte er jedoch zurückgeben, als er es unterließ, ihn fristgemäß zu verteidigen. Probleme mit seinem Promoter warfen Andrade aus der Bahn, da er in den letzten drei Jahren nur sehr wenige Kämpfe bestritten hat. Man geht sicher nicht fehl in der Annahme, daß diese mißliche Situation seinem Leistungsvermögen wenig zuträglich war.

Hinzu dürfte der Umstand gekommen sein, daß er im Vorfeld des Kampfs gegen Jack Culcay als hoher Favorit gehandelt wurde und sich alle Welt wunderte, wieso man bei Sauerland Event überhaupt dieses aussichtslos anmutende Unterfangen gewagt hatte. Möglicherweise hatte Andrade diesen Gegner unterschätzt oder war unmotiviert zu Werke gegangen, weil er frühzeitig glaubte, alles unter Kontrolle zu haben. Culcay gebührt jedenfalls Hochachtung für einen unverhofft starken Auftritt, Andrade bleibt zu wünschen, daß dies noch nicht das Ende der Fahnenstange war, was seine verbliebenen Qualitäten betrifft.


Fußnote:

[1] http://www.boxingnews24.com/2017/03/demetrius-andrade-vs-jack-culcay-results/#more-22977

13. März 2017


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