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MELDUNG/2132: Billy Joe Saunders muß sich warm anziehen (SB)



Kampf gegen den Pflichtherausforderer Khurtsidze anberaumt

Billy Joe Saunders muß sich warm anziehen. Der WBO-Weltmeister im Mittelgewicht trifft am 8. Juli in London auf Avtandil Khurtsidze, der am vergangenen Wochenende kurzen Prozeß mit Tommy Langford gemacht hat. Was der Champion dabei in Leicester zu sehen bekam, dürfte ihm gar nicht gefallen haben. Nachdem sein überforderter Teamkollege vier Runden lang weggelaufen war oder geklammert hatte, landete er in der fünften geschlagen auf den Brettern. Damit stieg der Georgier zum Pflichtherausforderer auf, so daß sich Saunders gezwungen sieht, seinen Titel gegen ihn zu verteidigen. Wie Khurtsidzes New Yorker Promoter Lou DiBella zutreffend anmerkte, scheint der Brite angesichts dieser Perspektive recht nervös geworden zu sein.

Anders wäre kaum zu erklären, warum Saunders auf der Pressekonferenz nach dem Kampf zwischen Khurtsidze und Langford mit wüsten Beschimpfungen über den Georgier herfiel, der dennoch höflich blieb und nicht ausfallend wurde. Erst als der Brite auch noch über sein Aussehen herzog, erwiderte er, daß Saunders offenbar reichlich Gewicht zugelegt habe, was sichtlich der Fall war. Als der Weltmeister zu allem Überfluß auf seinen kommenden Gegner losgehen wollte, mußte er zurückhalten werden, wobei er nicht den Eindruck machte, als sei das Ganze ein inszeniertes Spektakel, mit dessen Hilfe das Interesse des Publikums angeheizt werden sollte. Sofern Saunders das Ziel verfolgte, Khurtsidze einzuschüchtern, dürfte das nicht gelungen sein.

Der 37jährige Herausforderer ist zehn Jahre älter als der Brite und hat 33 Siege, zwei Niederlagen sowie zwei Unentschieden vorzuweisen. Wenngleich der WBO-Champion in 24 Kämpfen ungeschlagen ist, bekommt er es doch mit einem erfahreneren Kontrahenten zu tun, der über eine erheblich ausgeprägtere Schlagwirkung verfügt. Saunders wird kaum etwas anderes übrigbleiben, als genauso im ständigen Rückwärtsgang zu boxen wie Langford, häufig zu klammern und womöglich mit mehr oder minder harmlosen Schlägen zu punkten, ohne sich dabei einen Volltreffer einzuhandeln. Mit diesem Rezept hat sich Hassan N'Dam 2010 nach Punkten gegen Khurtsidze durchgesetzt. Allerdings fand dieser Kampf in Frankreich statt, wo dem Sieger nach Auffassung diverser Experten die Punktrichter zu Hilfe kamen. Davon abgesehen war der Georgier damals noch relativ unerfahren und hat sich seither erheblich verbessert.

Der in Brooklyn lebende Pflichtherausforderer wird es in London nicht auf eine Punktwertung ankommen lassen, sondern wenn irgend möglich für klare Verhältnisse sorgen. Er hat seine Gefährlichkeit mehrfach mit vorzeitigen Siegen unter Beweis gestellt und war ein Sparringspartner von Daniel Jacobs vor dessen Kampf gegen Gennadi Golowkin. Da Jacobs wesentlich gefährlicher als Saunders einzuschätzen ist, dürfte der Georgier dabei Erfahrungen gesammelt haben, die ihm bei Duell mit dem Briten zugute kommen.

Was Billy Joe Saunders betrifft, so hat dieser in den letzten drei Jahren bei seinen Auftritten durchweg mit gravierenden Konditionsproblemen zu kämpfen gehabt. Gegen Chris Eubank jun., Andy Lee und zuletzt Artur Akavow ging ihm mit steigender Rundenzahl derart die Luft aus, daß er zumindest bei Eubank und Lee von Glück reden konnte, am Ende die Oberhand behalten zu haben. Eine mögliche Erklärung für dieses Phänomen könnte der Umstand sein, daß Saunders vor seinen Kämpfen derart viel Gewicht reduzieren muß, daß diese Prozedur zu Lasten seiner Substanz geht. Bei einem Gegner wie Khurtsidze, der zwölf Runden lang unablässig Druck machen und gefährlich zuschlagen kann, wäre ein konditioneller Einbruch jedoch verhängnisvoll.

Der Georgier könnte durchaus in der Lage sein, die Träume des Briten, er könne in einem hochdotierten Kampf gegen Gennadi Golowkin oder Saul "Canelo" Alvarez sehr viel Geld verdienen, zunichte zu machen. Vermutlich hätte Saunders in beiden Fällen keine Chance, mehr als einige Runden zu überstehen, doch brächte er immerhin den WBO-Titel mit, ohne den er bedeutungslos für sie wäre. Daher darf der Weltmeister im Juli keinesfalls verlieren, will er nicht auf den Stand eines Kandidaten zurückfallen, der sich weit hinten anstellen muß. [1]

Ursprünglich war ein Kampf zwischen Golowkin und Saunders im Gespräch, der im Juni über die Bühne gehen sollte. Da der Kasache sämtliche Gürtel im Mittelgewicht bis auf die Trophäe des Briten in seinem Besitz hat, wollte er seine Titelsammlung komplettieren. Da Golowkin jedoch ein Duell mit Saul "Canelo" Alvarez im September anstrebt, das ungleich wichtiger und lukrativer wäre, zog er es nach dem hart erkämpften Punktsieg gegen Daniel Jacobs schließlich vor, eine Pause einzulegen, um die Chance nicht zu gefährden, den Mexikaner endlich vor die Fäuste zu bekommen. "Canelo" muß sich freilich zunächst am 6. Mai gegen seinen Landsmann Julio Cesar Chavez jun. durchsetzen, so daß die aktuelle Konstellation im Mittelgewicht wie so oft einer Rechnung mit mehreren Unbekannten gleicht.

Zwar behauptet Promoter Frank Warren nach wie vor, er sei weiter mit dem Team des Kasachen im Gespräch, doch zeigt die anberaumte Titelverteidigung gegen Avtandil Khurtsidze im Juli, daß man die Hoffnung so gut wie aufgegeben hat. Wie dünn es um das Nervenkostüm von Billy Joe Saunders inzwischen bestellt ist, belegen auch seine jüngsten verbalen Ausfälle gegen Golowkin. Der Kasache wage es nicht, gegen irgendeinen Gegner mit einer halbwegs passablen Bilanz anzutreten, pöbelt der Brite wider besseres Wissen. Ob er bereits vergessen hat, daß er selber im vergangenen Jahr einen so gut wie anberaumten Kampf gegen Golowkin unter fadenscheinigen Vorwänden platzen ließ? [2]

Vermutlich werde der Kasache mit seinen 35 Jahren allmählich alt, vielleicht sei er verletzt oder habe es mit der Angst zu tun bekommen, schwadroniert Saunders weiter. Niemand könne auf Dauer drei oder vier Kämpfe im Jahr bestreiten, ohne einen physischen Preis dafür zu bezahlen. Golowkin sei offenbar ausgebrannt und habe wohl nur noch einen großen Zahltag im Sinn. Wenngleich der Brite natürlich recht damit hat, daß jeder Boxer irgendwann einer strapaziösen Karriere Tribut zollen muß, trifft seine abfällige Beschreibung doch sehr viel mehr auf ihn selber als den von ihm geschmähten Kasachen zu. Golowkin gehört gerade wegen seiner relativ häufigen Auftritte zu jenen Akteuren, die durchgängig in guter körperlicher Verfassung bleiben und stets in Bestform antreten, was man von Billy Joe Saunders gewiß nicht sagen kann.


Fußnoten:

[1] http://www.boxingnews24.com/2017/04/saunders-khurtsidze/#more-233053

[2] http://www.boxingnews24.com/2017/04/saunders-tries-attack-khurtsidze-press-conference/#more-232989

27. April 2017


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