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MELDUNG/2136: Wenigstens die Kasse stimmt (SB)



Mexikanisches Prestigeduell nur finanziell ein Glücksgriff

Das mexikanische Prestigeduell zwischen Saul "Canelo" Alvarez und Julio Cesar Chavez jun. in Las Vegas mag in sportlicher Hinsicht eine Katastrophe gewesen sei, doch scheint zumindest die Kasse zu stimmen. Noch liegen die offiziellen Zahlen des Senders HBO für die Übertragung des Kampfs im Pay-TV nicht vor, doch will der für gewöhnlich gut unterrichtete Experte Dan Rafael erfahren haben, daß die Übertragung mit mindestens einer Million Buchungen ein ausgezeichnetes Ergebnis eingefahren habe. Da in den USA der Löwenanteil der Erträge über das Bezahlfernsehen generiert wird, ist die dort erzielte Quote der maßgebliche Indikator des finanziellen Erfolgs wie auch des Rangs, der einem Boxer zugesprochen wird. Wenngleich parallel dazu die Reihenfolge der mutmaßlich besten Akteure aller Gewichtsklassen diskutiert und publiziert wird, korrespondiert eines nicht zwangsläufig mit dem anderen.

Wer sich der wankelmütigen Gunst des zahlungskräftigen Publikums erfreuen will, das für die Übertragung eines kostenpflichtigen Kampfs samt einer Auswahl aus dem Vorprogramm mindestens 60 und im Extremfall bis zu 100 Dollar entrichten muß, braucht insbesondere eine große und überdies möglichst treue Fangemeinde. Von dem zurückgetretenen Vermarktungsgenie Floyd Mayweather abgesehen, können vor allem populäre mexikanische, puertoricanische oder auch irischstämmige Boxer viel eher aus dem Vollem schöpfen als beispielsweise ein Kasache wie Gennadi Golowkin, der zwar seit einigen Jahren mit seiner Familie in Los Angeles lebt, aber auf keine natürliche Anhängerschaft in Gestalt massenhaft eingewanderter Landsleute zurückgreifen kann. Er mußte die Zuschauer mit spektakulären Auftritten im Ring für sich gewinnen und durfte nie lockerlassen, damit das mühsam geknüpfte Band nicht abriß.

Wenn nun die Rechnung aufgemacht wird, daß über eine Million Buchungen bei Alvarez gegen Chavez auf eine noch viel höhere, wenn nicht gar sensationelle Quote bei dem mit Hochspannung erwarteten Kampf zwischen "Canelo" und "GGG" am 16. September schließen lassen, ist diese Prognose mit einer gewissen Vorsicht zu genießen. Für ein außergewöhnliches Interesse des potentiellen Publikums spricht natürlich der Umstand, daß die Kontrahenten nach weithin verbreiteter Auffassung darum kämpfen, wer die Nummer eins im gesamten professionellen Boxsport, kurz der Superstar, sei. Saul Alvarez und sein Promoter Oscar de la Hoya haben das seit zwei Jahren von Experten und Fans geforderte Kräftemessen immer wieder verschoben, stellen sich nun aber endlich doch zum Kampf. Da der Mexikaner stets seine riesige und begeisterungsfähige Fangemeinde mitbringt und der Kasache dank seiner offensiven und höchst effizienten Kampfesweise seinerseits eine wachsende Anhängerschar versammelt hat, könnte diese Kombination durchaus zu einem massenhaften Zuspruch bei der Übertragung führen.

Anlaß zur Skepsis gibt andererseits der erschreckend einseitige Verlauf des im Vorfeld als Sternstunde mexikanischen Boxens massiv beworbenen Aufeinandertreffens zwischen Alvarez und Chavez, das sich als Eigentor der Golden Boy Promotions erweisen könnte. Die nicht zum ersten Mal praktizierte Strategie, anstelle eines gefährlichen Kontrahenten einen wenngleich namhaften, so doch absehbar handhabbaren Kandidaten zu wählen, wurde allzu offensichtlich. Der restlos überforderte Außenseiter verweigerte durchweg den Schlagabtausch und schien einzig darauf bedacht zu sein, die angesetzten zwölf Runden zu überstehen.

Da Chavez eingeräumt hatte, wie schwer er bei Aufnahme des Trainings für diesen Kampf gewesen war, wußte man, daß er nicht weniger als gut 23 kg reduzieren mußte, um die vertraglich vereinbarte Gewichtsgrenze zu erreichen. Dies tatsächlich zu schaffen war seine eigentliche Leistung, für die er fast zwangsläufig einen hohen Preis zahlen mußte. Deutlich größer als "Canelo", wirkte er regelrecht ausgemergelt und ließ schlichtweg die körperliche Substanz vermissen, dem massiv gebauten Gegner irgend etwas entgegenzusetzen. Wie sein konsternierter Trainer Nacho Beristain hinterher klagte, habe er Chavez fortwährend angespornt, häufiger zu schlagen. Nachdem sein Schützling jedoch frühzeitig bei jedem eigenen Angriff ein Vielfaches an Schlägen einstecken mußte, habe er den Mut verloren und keine einzige Runde gewonnen. Das konnte nur ins Desaster führen, da Julio Cesar Chavez als Wühler bekannt ist, der durch die Schläge des Gegners marschiert, um seine zu landen. Sich passiv zurückzuhalten kam folglich einer Kapitulation gleich.

Der renommierte HBO-Experte Max Kellerman merkte völlig zu Recht an, daß Chavez in den letzten Jahren nichts zustande gebracht habe, was seine Präsenz in einem so bedeutenden Kampf gerechtfertigt hätte. Golden Boy hatte hoch gepokert und dabei so überdeutlich gewonnen, daß der höchst bittere Beigeschmack des Sieges fast schon einer Niederlage gleichkommt, was die Reputation des Promoters betrifft. Selten hatte man den für gewöhnlich redseligen Oscar de la Hoya so wortkarg erlebt wie bei der anschließenden Pressekonferenz, obgleich unmittelbar zuvor der große Coup des bereits einige Tage zuvor vereinbarten Kampfs gegen Golowkin bekanntgegeben worden war. De la Hoya schien sich angesichts des lautstarken Protests des Publikums, der sich insbesondere gegen Chavez richtete, nur allzu bewußt gewesen zu sein, daß er bei einem falschen Wort Gefahr lief, den Zorn der Menge auf sich zu ziehen.

"Canelos" Behauptung, er habe sich seinen Landsmann als Gegner gewünscht, um ihn für seine jahrelangen Anfeindungen zur Rechenschaft zu ziehen, wirkt nicht gerade überzeugend. Wäre das maßgebliche Kriterium tatsächlich gewesen, einen Gegner zu wählen, der ihn kritisiert hatte, hätten Daniel Jacobs oder Jermall Charlo den Vorzug erhalten müssen, die das erst kürzlich getan und dabei kein Blatt vor den Mund genommen haben. Beide warfen ihm vor, er laufe vor Golowkin weg, ohne daß Alvarez dies zum Anlaß genommen hätte, sie vor die Fäuste zu bekommen. Im Unterschied zu Chavez sind Jacobs und Charlo Kandidaten, die einen hochklassigen Kampf garantierten, jedoch aus Perspektive des 26jährigen Mexikaners und seines Promoters offenbar viel zu gefährlich wären. [1]

Welche Konsequenzen werden die Fernsehzuschauer mehrheitlich ziehen, die für teures Geld eine Schmierenkommödie serviert bekommen haben? Werden sie "Canelos" nächsten Auftritt meiden wie die Pest oder der Hoffnung den Zuschlag geben, daß man den überaus angriffslustigen Golowkin nicht einmal entfernt mit Chavez vergleichen könne und folglich ein ungemein attraktiver Kampf in Aussicht stehe? Nachdem Floyd Mayweather und Manny Pacquiao 2015 endlich ihren Kampf der Superlative ausgetragen hatten, in dem der Philippiner aufgrund einer schon in der Vorbereitung erlittenen, aber der Öffentlichkeit vorenthaltenen Verletzung eingeschränkt war, hagelte es herbe Kritik. Auf einen Rekordumsatz von schätzungsweise 500 Millionen Dollar und die höchste jemals erreichte Quote im Pay-TV folgte ein dramatischer Einbruch der Zuschauerzahlen bei den beiden Boxern. Das hat zwar auch nicht von der Hand zu weisende andere Gründe wie eine Auswahl wenig populärer Gegner, doch handelte es sich zweifellos um eine Quittung seitens des enttäuschten Publikums. Vor allem Gennadi Golowkin wäre zu wünschen, daß sich die fragwürdige Vermarktungsstrategie Oscar de Hoyas und des von ihm protegierten Saul Alvarez nicht zu seinen Lasten niederschlägt.


Fußnote:

[1] http://www.boxingnews24.com/2017/05/canelo-chavez-ppv-buys/

12. Mai 2017


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