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MELDUNG/2204: Wer am kürzeren Hebel sitzt ... (SB)



Joseph Parker macht Zugeständnisse an Anthony Joshua

Um einen Kampf zweier Weltmeister im Schwergewicht auf die Beine zu stellen, haben Joseph Parker aus Neuseeland und sein Management dem Briten Anthony Joshua und dessen Promoter Eddie Hearn das Angebot unterbreitet, die Einkünfte im Verhältnis 65:35 aufzuteilen. Der WBO-Champion gibt sich mit dem geringeren Anteil zufrieden, unterstreicht aber zugleich, daß er keine weiteren Abstriche akzeptieren werde. Nun ist das britische Lager am Zug, sich darüber klar zu werden, ob es das Duell in der ersten Jahreshälfte 2018 zu diesen Konditionen realisieren möchte. Joshua und Hearn sitzen am längeren Hebel, weil der WBA/IBF-Weltmeister weitaus populärer als sein potentieller Gegner ist und in England große Stadien füllen kann. Parker würde auch mit 35 Prozent des Gesamterlöses einen ausgezeichneten Schnitt machen, zumal neben dem Verkauf der Eintrittskarten auch die Übertragung im Pay-TV seine Taschen weit mehr als bei jedem anderen Kampf füllen würde. [1]

Der 25jährige Joseph Parker ist in 24 Auftritten ungeschlagen und vor elf Monaten Weltmeister geworden, als er in Neuseeland im Kampf um den vakanten WBO-Titel gegen Andy Ruiz die Oberhand behielt. Seither hat er den Titel zweimal erfolgreich verteidigt, zunächst am 6. Mai zu Hause gegen Razvan Cojanu und dann am 23. September gegen den Pflichtherausforderer Hughie Fury, den jüngeren Neffen des früheren Weltmeister Tyson Fury, in dessen Heimatstadt Manchester. Keiner dieser drei Kontrahenten gehört der allerersten Garnitur an, was freilich nicht ausschließt, daß Parker mit seinen Gegnern wachsen und auch Joshua gefährlich werden kann.

Der drei Jahre ältere Anthony Joshua ist in 20 Kämpfen unbezwungen, die er alle vorzeitig gewonnen hat. Obgleich auch er lange keine dicken Bäume ausgerissen, sondern gegen vergleichsweise harmlose Kontrahenten geboxt hat, ist er zum größten Star der internationalen Schwergewichtsszene aufgestiegen. Dank des anhaltenden Boxbooms in UK trat er im April vor 90.000 Zuschauern im Londoner Wembley-Stadion gegen Wladimir Klitschko und im Oktober vor 78.000 Fans im Principality Stadium in Cardiff gegen Carlos Takam an. Er hat seinen Titel viermal erfolgreich verteidigt, erzielt ausgezeichnete Quoten im britischen Pay-TV und ist die mit Abstand größte Geldmaschine im aktuellen Schwergewicht. [2]

Wäre Anthony Joshua ein unbesiegbarer junger Löwe wie einst Mike Tyson, könnte er Parkers ultimatives Angebot zum bloßen Bluff erklären und den Neuseeländer links liegenlassen. Seine ersten 18 Gegner waren jedoch bestenfalls mittelmäßig, und als er es schließlich mit dem 41jährigen Wladimir Klitschko und dem 36jährigen Carlos Takam aufnahm, traten die Grenzen seiner Möglichkeiten offen zutage. Der Olympiasieger von 2012 in London ist groß und massiv, aber kein technisch versierter Boxer und neigt zu gravierenden Konditionsproblemen. Sein exzessiver Muskelaufbau hat ihn eingeschränkt und langsamer gemacht, so daß Eddie Hearn einmal mehr sorgfältig abwägen muß, wie er seinen namhaftesten und lukrativsten Akteur vor Überforderung schützen und dennoch dessen Karriere vorantreiben kann.

Sollte er es vorziehen, vorerst auf den WBO-Gürtel zu verzichten, wären die Alternativen wenig verlockend. In Frage kämen dann Jarrell Miller oder Dillian Whyte, die ebenfalls bei Hearn unter Vertrag stehen. In beiden Fällen wäre keineswegs sicher, daß Joshua den Ring als Sieger verläßt. Insbesondere Miller, der seinen Gegnern den Garaus zu machen pflegt, wenn sie müde werden, könnte zum Stolperstein werden. Whyte hat schon einmal gegen Joshua verloren, da er dabei eine schwere Schulterverletzung davontrug, die ihm seither viel von seiner früheren Gefährlichkeit genommen hat. Dennoch ist er nach wie vor in der Lage, fortgesetzt Druck zu machen und wuchtige Schläge zum Körper auszuführen. Bezöge Joshua im Frühjahr eine Niederlage, wäre das für den Sommer 2018 geplante Duell mit WBC-Weltmeister Deontay Wilder gestorben.

Parker mit weniger als 35 Prozent abzuspeisen, obgleich er ebenfalls ein Weltmeister ist, hieße ihn wie einen bloßen Herausforderer zu behandeln. Der Neuseeländer fordert einen fairen Anteil und macht geltend, daß das ursprüngliche Angebot seines Promoters an Hearn weniger als die Hälfte dessen betragen habe, was der US-Amerikaner Charles Martin bekam, als er den IBF-Titel 2015 in London gegen Joshua verteidigt und verloren hatte.

Bei einer Pressekonferenz in Neuseeland gab sein Promoter David Higgins von Duco Events zu bedenken, daß er in gutem Glauben von den zunächst verlangten 40 Prozent Abstand genommen habe, da er den Vereinigungskampf uneingeschränkt anstrebe. Er verhandle weiter mit Eddie Hearn, sei aber nicht bereit, weniger als 35 Prozent des Nettoerlöses zu akzeptieren und bestehe auf einer Offenlegung sämtlicher Einkünfte. Sollten die Gespräche dennoch scheitern, habe er den Australier Lucas Browne als Gegner vorgesehen. Überdies seien lukrative Angebote aus Rußland und China in Arbeit.

Joshua habe zwei maßgebliche Gürtel in seinem Besitz, Parker einen. So viele Titel zusammenzuführen komme im Schwergewicht höchstens einmal in zehn Jahren vor und sei daher von außergewöhnlicher Bedeutung. Der Brite habe wiederholt angekündigt, daß er 2018 alle vier Titel vereinigen wolle. Sollte es ihm ernst damit sein, müsse Eddie Hearn Kämpfe gegen Parker oder Wilder auf den Weg bringen. Sollte Joshua hingegen einen handverlesenen Herausforderer vorziehen, wäre das überaus peinlich für ihn und seinen Promoter. Alle Welt sähe dann, daß es den beiden nur ums Geld gehe, was einem gravierenden Ansehensverlust gleichkäme.

Nun ist Eddie Hearn kein Geschäftspartner, der sich unter Druck setzen ließe, ohne sofort zu kontern. Wie er mit Blick auf die Botschaft aus Neuseeland süffisant erklärte, sei eine Pressekonferenz in der Besenkammer und eine Werbevideo, das seine achtjährige Tochter besser hinbekäme, nicht gerade geeignet, den eigenen Marktwert zu unterstreichen. Die Verhandlungen gingen aber weiter und er hoffe, eine Übereinkunft herbeiführen zu können. Daß Higgins und Parker ihre Forderung reduziert haben, dürfte Hearn in der Überzeugung bestärken, er könne sie über den Tisch ziehen. Daher kann man davon ausgehen, daß der britische Promoter auch das jüngste Angebot der Neuseeländer nicht akzeptieren und die Dauemschrauben noch enger anziehen wird. Deontay Wilder wäre mit einem derart geringen Anteil sicher nicht zufriedenzustellen. Da er bereit ist, in England gegen Joshua anzutreten, wird er zweifellos 50 Prozent verlangen und davon keine Abstriche machen.


Fußnoten:

[1] http://www.boxingnews24.com/2017/11/parker-gives-joshua-final-offer-65-35-cut/#more-247960

[2] http://www.espn.com/boxing/story/_/id/21514085/joseph-parker-lowers-demands-try-make-fight-anthony-joshua

23. November 2017


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