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MELDUNG/2322: Schwergewicht - mit Ach und Krach ... (SB)



Dillian Whyte setzt sich gegen Dereck Chisora durch

Der britische Schwergewichtler Dillian Whyte hat auch die Revanche gegen seinen Landsmann Dereck Chisora gewonnen. Er behielt in der Londoner O2 Arena durch K.o. in der elften Runde die Oberhand, wobei sein Gegner zu diesem Zeitpunkt bei zwei der drei Punktrichter in Führung lag (95:94, 95:94, 94:95). Berücksichtigt man, daß Chisora mit zwei Punktabzügen bestraft worden war, während der Favorit trotz zahlreicher regelwidriger Aktionen ungeschoren davonkam, kann Whyte von Glück reden, auf diese Weise für klare Verhältnisse gesorgt zu haben. Bei ihrem ersten Kampf im Dezember 2016 hatte er nur knapp nach Punkten gewonnen, wobei viele Fans und Experten der Auffassung waren, daß Chisora mit dieser Wertung über den Tisch gezogen worden sei. Für den 30jährigen Whyte stehen nun 25 Siege und eine Niederlage zu Buche, während sein vier Jahre älterer Rivale 29 gewonnene und neun verlorene Auftritte vorzuweisen hat. [1]

Hatten die Kontrahenten einander schon 2016 einen der aufregendsten Schwergewichtskämpfe des Jahres geliefert, so sparten sie auch diesmal nicht mit turbulenten Aktionen. Lange wogte das Geschehen hin und her, wobei Chisora anfangs die besseren Karten hatte, doch von der siebten Runde an Ermüdungserscheinungen erkennen ließ, die seinen Rivalen wieder ins Geschäft brachten. Der Außenseiter ging von Beginn an vehement zu Werke und traktierte Whyte mit diversen Körpertreffern. Da er jedoch seine Deckung dabei weit öffnete, mußte er heftige Konter einstecken, worauf er nach einem Uppercut sogar in die Seile zurückwich. In der zweiten Runde arbeitete Whyte mit seinem Jab und lockte den Gegner mehrmals in die Falle. Doch in den folgenden beiden Durchgängen brachte Chisora seine Schläge wiederholt durch die Deckung Whytes, den er nun mit Treffern an Kopf und Körper nicht zu Entfaltung kommen ließ.

Der Favorit setzte weiterhin auf Konter, was jedoch erst in der siebten Runde wieder so gut wie zu Anfang des Kampfs funktionierte. Chisora wirkte allmählich erschöpft, als müsse er dem eigenen Tempo Tribut zollen, und schlug häufiger daneben. Kurz vor der Pause verfehlte er den Gegner mit einem linken Haken und wurde sogleich mit einer Trefferserie bestraft. In der achten Runde mußte Chisora wegen häufigen Klammerns einen Punktabzug hinnehmen, in der neunten und zehnten war es nun Whyte, der den Gegner ausboxte. Nachdem Chisora in der elften Runde wegen eines Ellbogeneinsatzes abermals bestraft worden war, nutzte Whyte die Irritation des Gegners sofort aus, der mit hängender Deckung zum Schlag ausholte. Mit einer Linken ans Kinn schickte er Chisora auf die Bretter, der nach diesem Volltreffer flach auf dem Rücken liegenblieb und nach 1:56 Minuten des Durchgangs ausgezählt wurde. [2]

Warum der Ringrichter nicht beide Boxer gleichermaßen für ihre regelwidrigen Aktionen bestraft hatte, blieb schleierhaft. Während Chisora mit einigen Tiefschlägen, häufigem Klammern und irregulären Aktionen im Gewühl aus dem Ruder lief, durfte Whyte ungestraft unter die Gürtellinie und in den Nacken des Gegners schlagen. Der Außenseiter wirkte nach dem zweiten Punktabzug sehr aufgebracht, was dazu beigetragen haben mochte , daß er kopflos seinen nächsten Angriff signalisierte und dabei ins offene Messer lief. Wenngleich der Niederschlag dafür sorgte, daß die Frage der einseitigen Strafmaßnahmen im Endeffekt keine Rolle mehr spielte, bleibt doch unter dem Strich das ungute Gefühl zurück, daß Dereck Chisora auch diesmal nicht gerade als Sieger vorgesehen war.

Auf jeden Fall hielt Dillian Whyte dank dieses Erfolgs die Tür zu einem Kampf gegen Anthony Joshua weit offen, der persönlich anwesend war und hinterher sogar zu ihm in den Ring stieg. Wenngleich dies als deutliches Signal interpretiert wurde, daß die beiden am 13. April 2019 im Londoner Wembley-Stadion vor bis zu 90.000 Zuschauern aufeinandertreffen werden, blieb der Weltmeister eine eindeutige Zusage schuldig. Nachdem ihn Whyte lautstark zu einer Revanche für ihr erstes Duell im Jahr 2015 aufgefordert hatte, räumte Joshua sachlich ein, daß dies damals ein guter Kampf gewesen sei. Es gelte aber die Reihenfolge einzuhalten, denn nur wenn es Deontay Wilder nicht ernst damit sei, sich mit ihm zu messen, komme Whyte an die Reihe. Er bezeichnete seinen Landsmann sogar als "Idioten", da er ihn damals ins Reich der Träume geschickt habe. Wenngleich sich beide seither weiterentwickelt hätten, solle sich Whyte nur nicht aufblasen, da er wie alle anderen Kandidaten nicht sein Niveau erreiche, so der Champion. Wie Dillian Whyte erwiderte, wolle er endlich Gewißheit haben, wie es um seine weitere Karriere bestellt sei. Er werde nicht ewig auf Joshua warten. [3]

Ihr gemeinsamer Promoter Eddie Hearn hielt sich nach wie vor bedeckt und erklärte, falls Wilder nicht gegen Joshua antreten wolle, komme Whyte an die Reihe. Dieser sei die Nummer eins beim WBC, werde bald Pflichtherausforderer der WBO und folglich früher oder später auf jeden Fall seine Chance bekommen. Allen Windungen und Wendungen zum Trotz liegt im Grunde schon seit Monaten auf der Hand, daß Hearn darauf setzt, Whyte im April mit Joshua in den Ring zu schicken. Dieser Kampf ließe sich in England gut vermarkten und könnte die Ränge des riesigen Wembley-Stadions durchaus füllen, sofern er nur mit beständigen Fehden und Kontroversen bestmöglich beworben wird. Ein Duell mit dem WBC-Weltmeister Deontay Wilder, den alle Welt seit Jahren fordert, wäre hingegen in finanzieller Hinsicht beinahe ein Selbstgänger, jedoch viel zu gefährlich für Joshua.

Deshalb hält Hearn den US-Amerikaner mit Angeboten auf Abstand, die Wilder unmöglich annehmen kann. Winkt der WBC-Champion ab, schiebt ihm der britische Promoter die Schuld in die Schuhe, daß der Kampf nicht zustande kommt. Dieses durchsichtige Manöver ist erforderlich, um Joshua vom Vorwurf zu entlasten, er habe Angst vor Wilder und gehe ihm deshalb aus dem Weg. Demgegenüber ist Whyte ein Kontrahent, den Anthony Joshua nicht fürchten muß. Dillian Whyte hatte beträchtliche Probleme mit Dereck Chisora, der doch längst nicht mehr der Weltspitze angehört. Man darf wohl annehmen, daß sich Whyte Kontrahenten wie Tyson Fury, Luis Ortiz, Jarrell Miller oder Kubrat Pulew und wohl auch Joe Joyce, Alexander Powetkin oder Adam Konwnacki geschlagen geben müßte. [4]

Eddie Hearn hat Dillian Whyte zum Torwächter Anthony Joshuas aufgebaut und wird ihn im April opfern, doch mit der weitaus höchsten Börse seiner Karriere abfinden. Dies ist um so wahrscheinlicher, als Deontay Wilder nach dem überraschenden Unentschieden gegen Tyson Fury am 1. Dezember im Frühjahr eine hochdotierte Revanche gegen den Briten austragen könnte. Er ist noch weniger als zuvor auf Joshua angewiesen und muß sich auch dann nicht auf Hearns Offerte einlassen, wenn diese etwas lukrativer als in der Vergangenheit ausfallen sollte. Soweit sich dem Wust einander widersprechender Signale des britischen Promoters entnehmen läßt, hat er Wilder noch nie etwas Besseres als eine Pauschale angeboten, in keinem Fall also eine angemessene prozentuale Beteiligung an allen Einkünften. Geht man davon aus, daß der Kampf mit Sicherheit weit über 100 Millionen Dollar einspielen würde, bekäme der WBC-Weltmeister nicht annähernd die Hälfte, sondern kaum mehr als ein durchschnittlicher Herausforderer. Wilder hat nie einen Zweifel daran gelassen, daß er jederzeit gegen Joshua antreten würde, doch abspeisen und degradieren läßt er sich nicht.

Dillian Whyte sitzt mit Blick auf einen Kampf gegen Anthony Joshua definitiv am kürzeren Hebel, zumal er keine attraktive Alternative hat. Hearn wird ihn von Jarrell Miller fernhalten, der ebenfalls bei ihm unter Vertrag steht, weil der massive New Yorker viel zu gefährlich wäre. Letzteres gilt auch für den jungen und aufstrebenden Joe Joyce, nicht minder wie für Hearns Neuzugänge Oleksandr Ussyk, den Weltmeister aller Verbände im Cruisergewicht, und den früheren Olympiateilnehmer Michael Hunter aus den USA. Ein dritter Kampf gegen den Erzrivalen Dereck Chisora wäre nach dessen beiden Niederlagen nicht gerade ein Renner beim Publikum, ebensowenig ein Gang mit dem wenig bekannten Dave Allen. Wie man es auch dreht und wendet, bleibt Anthony Joshua der einzig große Wurf für Dillian Whyte. Zu Amateurzeiten setzte er Joshua gehörig zu, vor drei Jahren machte er anfangs die bessere Figur, bis er sich eine Verletzung an der Schulter zuzog, die seine gefährliche Linke lähmte. Könnte er im dritten Anlauf das Blatt endlich wenden, obgleich sein Landsmann heute Weltmeister dreier Verbände und haushoher Favorit ist? In diesem Fall lockt nicht nur der Ruhm, sondern auch sehr, sehr viel Geld. Seine Landsleute Carl Froch und Tony Bellew haben es vorgemacht, wie man sich den Abschied vergolden kann.


Fußnoten:

[1] www.boxingnews24.com/2018/12/dillian-whyte-stops-dereck-chisora-results/

[2] www.espn.com/boxing/story/_/id/25596278/dillian-whyte-stops-dereck-chisora-sets-potential-title-fight-2019

[3] www.boxingnews24.com/2018/12/whyte-demands-joshua-fight-after-stopping-chisora/

[4] www.boxingnews24.com/2018/12/joshua-calls-whyte-an-idiot-says-hes-not-on-his-level/

23. Dezember 2018


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