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KOMMENTAR/032: "Ultimate Fighting" alles andere als zügel- und regellos! (SB)



Die Diskussion um die erstmals in der Kölner Lanxess-Arena (13. Juni) stattfindende "Ultimate Fighting Championship" (UFC) hat auf der Bühne medialer Vermittlung zu einem hitzigen Schlagabtausch der Argumente geführt, der sich längst zur politischen Keilerei mit populistischen und unsachgemäßen Tiefschlägen aller Art ausgeweitet hat. Befeuert wird die allgemeine Stimmungsmache noch durch eine lokale Sportberichterstattung, die teilweise verzerrte oder verkürzte Darstellungen, insbesondere was das Reglement dieser Mixed-Martial-Arts-Veranstaltung betrifft, wiedergibt. So ist mittlerweile ein öffentlicher Streit über die gesellschaftlichen Auswirkungen und ethischen Werte entbrannt, der einmal mehr das Pferd von hinten aufzäumt und die Widersprüche einer verrohenden kapitalistischen Gesellschaft nicht in den ökonomischen und politischen Bedingungen sucht, unter denen Kunst, Kultur und Sozialleben reproduziert werden, sondern der sich an den bürgerlich-normativen Vorstellungen und nicht zuletzt Mißverständnissen, was denn Sport respektive Kampfsport sei, aufreibt.

Der hilflosen Suche nach schnellen und verdaulichen Antworten im Gefolge des Schulmassakers von Winnenden, das in einer unausgegorenen Verschärfung des Waffengesetzes sowie eines im Schwange stehenden Verbots des vergleichsweise harmlosen Kampfspiels Paintball mündete, wollte offenbar auch der Kölner Stadtrat seine Duftmarke hinzufügen. Obwohl die "Ultimate Fighting Championchips" vom Landesinnenministerium bereits als "sportähnliche Veranstaltung" genehmigt worden waren, übte der Stadtrat in seiner März-Sitzung scharfe Kritik und forderte das Arena-Management einstimmig auf, solche Veranstaltungen nicht mehr zuzulassen. Um die Entscheidung zu rechtfertigen, übertrieben die verantwortlichen Kommunalpolitiker maßlos. So verstieg sich Kölns Bürgermeister Manfred Wolf, zugleich Vorsitzender des Sportausschusses, zu der Behauptung, "Freefight ist kein Sport, denn er nimmt den Tod oder zumindest schwere Verletzungen eines Menschen billigend in Kauf". Zugleich breitete der FDP-Politiker seine Gefühlswelt in der Öffentlichkeit aus und stempelte die UFC-Kämpfer auf beleidigende Weise als hirnlose Kreaturen ab: "Ich persönlich finde Freefight widerlich ... Hier erreichen die niedrigsten Instinkte eines Menschen ihren Tiefpunkt." Freefight sei "verlockend für Profisportler mit subirdischer Ethik". Manfred Müser vom Kölner Bürger Bündnis, das im Rat den Antrag zur "Missbilligung von Freefight-Veranstaltung in der Köln-Arena" eingebracht hatte, schlug in die gleiche Kerbe und zog zudem die Nazi-Karte: "Im Osten Deutschlands bedient sich die ultrarechte Szene des Spektakels und instrumentalisiert es für die eigenen Ziele."

Angesichts dieser Schrotladungen verleumderischer Kritik konnte es nicht ausbleiben, daß das Management der Arena einzelnen Domstadtpolitikern mit juristischen Unterlassungserklärungen drohte. Überdies war man darum bemüht, die überspannte Diskussion wieder zu versachlichen. Daß die ultrarechte Szene die Veranstaltung für sich instrumentalisiert haben könnte, kann schon deshalb nicht zutreffen, weil sie die erste ihrer Art in der Arena ist, die von UFC auf dem europäischen Festland organisiert wird. Auch weisen die Arena-Betreiber darauf hin, daß bei keiner UFC-Veranstaltung weltweit neonazistische Tendenzen auch nur im Ansatz aufgetreten seien und dies ebenso für unterstellte Hooligan-Umtriebe gelte.

Den Vorwurf an die Veranstalter, ihre Argumente seien lediglich dem Zweck geschuldet, die "Geschäftemacherei" des tatsächlich in den USA kommerziell sehr erfolgreichen UFC-Unternehmens, das dem Profi-Boxen langsam den Rang abläuft, zu bemänteln, kann ebenfalls niemand ernstlich erheben, wenn er einen nüchternen Blick auf alle anderen professionellen Sportarten wirft, die Milliarden-Summen umsetzen und mit ausgefeilten PR- und Marketingtechniken sowie Animationsprogrammen die Zuschauer bei der Stange halten, um nicht zu sagen manipulieren. Es gibt kaum noch Sportarten, die nicht den Prämissen von Fernsehen und Marketing folgen und ihre Regelwerke entsprechend modifizieren würden.

Mag sich auch manch eingefleischter Fan von nicht selten "blutigen Ringschlachten" im klassischen Boxsport schwerlich daran gewöhnen, daß die UFC-Kämpfer statt in Ringseilen in einem achteckigen Drahtgitterkäfig antreten und der Kampf auch am Boden noch unter Einsatz gezielter Faustschläge fortgesetzt wird, so herrscht beim "Free-Fight", wie es der Name vielleicht suggerieren mag, keineswegs freie Wahl der Körperwaffen und Regellosigkeit vor. Ganz im Gegenteil, die Mixed-Martial-Arts-Kämpfer, welche sich aus verschiedensten Kampfsportarten wie Boxen, Karate, Kickboxen, Judo, Ringen, Thai-Boxen, Jiu-Jitsu oder Taekwondo rekrutieren, die teilweise auch im olympischen Programm vertreten sind, sind einem strengen Wettkampf-Reglement unterworfen, das entgegen anderslautenden Darstellungen schweren Verletzungen des Gegners vorbeugen soll. Neben Gewichtsklassen, Doping- und Gesundheitskontrollen sehen die UFC-Regeln vor, daß etwa Kopfstöße, Griffe in die Augen, Angriffe auf die Genitalien, Tritte an den Kopf eines liegenden Gegners und vieles mehr verboten sind.

Damit erweist sich der "Free-Fight" als Sport in Reinkultur, und niemand, der im Bereich geregelten sportlichen Wettkampfes körperliche Auseinandersetzungen sucht, käme auf die Idee, diese kanalisierte Form zwischenmenschlicher Gewalt, die von UFC zweifellos zirkusreif mit martialischem und maskulinem Gehabe präsentiert wird, mit der Absicht gleichzusetzen, die "Vernichtung des Gegners" herbeizuführen, wie es etwa Christian Pfeiffer tut. Der Direktor des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen sieht in der Ultimate Fighting-Veranstaltung einen grundgesetzwidrigen Verstoß gegen die Menschenwürde und fordert nebst eines umfassenden gesetzlichen Verbotes, auch den Erwachsenen den Besuch von Veranstaltungen wie der in Köln zu untersagen. Um die öffentlichen Wogen zu glätten, waren die Veranstalter dem Kölner Jugendamt, das die Kämpfe für Kinder und Jugendliche für zu brutal hält, entgegengekommen, so daß es nun am Kampfabend eine Eingangskontrolle für diese Altersgruppe geben wird.

Unterzieht man die Aussagen diverser "Experten", die der Veranstaltung ablehnend gegenüberstehen, einer genaueren Überprüfung und mißt sie überdies an den Inhalten und Ausprägungen körperbetonter konventioneller Kampfspiele und -sportarten, die sich wie UFC oder die Arena-Betreiber der professionellen und profitablen Verwertung von Sportspektakeln verschrieben haben, dann erweisen sich die Vorwürfe als unhaltbar. Was auch immer verboten werden soll, findet sich in der einen oder anderen Form bei den arrivierten Sportarten wieder, mitunter sogar heimtückischer, da versteckter und sogar verletzungsträchtiger (siehe verdeckte Fouls in den Mannschaftssportarten).

Insbesondere die elitären Verfechter des gepflegten Boxstils, wie er in Deutschland und Europa geschäftlich, politisch und kulturell - auch in akademischen und intellektuellen Kreisen - etabliert ist, befleißigen sich nicht selten eines Tonfalls, als würde mit der Gewährung des "barbarischen" oder "gewaltverherrlichenden" Ultimate Fighting an den Grundfesten ziviler Umgangsformen gerüttelt. So sprach beispielsweise Werner Schneyder, Kabarettist, Autor und selbsternannter Box-Experte, in einem Interview von FAZ-online (19.5.09) von einem Brutalo-Event, von Grenzüberschreitungen, Sinnlosigkeit, einer Entwicklung zurück zu den Hunnen. Dieser "Sport" brutalisiere und betrüge gleichzeitig, meinte der Österreicher. Jenseits des klassischen Boxens sei nichts mehr möglich. Wenn die Regeln, die Ultimate Fighting verkünde, ernst genommen würden, hätten wir Tote und Querschnittsgelähmte. Dann ginge diesem perversen Zirkus das Menschenmaterial aus, so Schneyder.

Tatsächlich dürfte die Verletzungsquote im Ultimate Fighting dem Blutzoll vergleichbar sein, den auch konventionelle Betreiber des Hochleistungssports zu entrichten haben. "Von den Kämpfern wird höchste Athletik und intensivstes Training gefordert, was zusammen mit den 32 Regeln zur Folge hat, dass bei hunderten von Kampfabenden außer einem Armbruch keine einzige schwere Verletzung zu verzeichnen war", erklären die Veranstalter.

Wie beim Boxen unterbricht der Ringrichter sofort den Kampf, wenn der Unterlegene nicht mehr in der Lage ist, sich "intelligent zu verteidigen" oder ein Zeichen zur Aufgabe zu geben. Anders als beim Boxen, wo es in der Regel dem Trainer obliegt, das Handtuch zu werfen, gilt es bei den Mixed-Martial-Arts nicht als "feige", aufgrund eigener Schwäche, etwa in einem aussichtslosen Klammer- oder Würgegriff des Gegners, abzuklopfen und damit aufzugeben. Da es zahlreiche Optionen gibt, einen Kampf zu beenden, reduziert sich auch die vom Boxen her bekannte Gefahr für die Kämpfer, durch unentwegtes Schlagen zum Kopf mit einem dickgepolsterten Handschuh fortgesetzte Hirntraumatas mit schlimmen Folgeschäden davonzutragen.

Wenn Werner Schneyder fragt, "was glauben Sie, was in den Jugendlichen vorgeht, die sich an diesem Abend in Köln begeistern und entzünden lassen?" und nahelegt, daß durch Nachahmungseffekte die Brutalität auf den Schulhöfen zunehmen würde, dann bedient er sich der populistischen Gleichungen, wie sie etwa auch von konservativen Politikern angestrengt werden, die Action-Filme oder Computer-Spiele gewaltsamen Inhalts zum Vorwand nehmen, um das Internet zensieren und Schulen in Hochsicherheitstrakte verwandeln zu können. Es ist bezeichnend, daß nicht der neoliberale Strukturwandel in der Bundesrepublik und der marktwirtschaftliche Kapitalismus, der immer mehr Menschen in elende Verhältnisse treibt, im Zentrum der Kritik stehen, sondern lediglich besonders spektakuläre Erscheinungsformen der Kultur- und Sportindustrie. Daß Schulhofrangeleien brutaler geworden sind, ist die zwangsläufige Folge eines kapitalistischen Wettbewerbssystems, das die sich zuspitzenden sozialen Zwänge, beruflichen Nöte und Zukunftssorgen der Eltern mit den immer gleichen Versprechen, daß Erfolg stark und Leistung frei macht, an die Kinder und Jugendlichen weitergibt, so daß auch sie immer früher und härter den Sozialkampf untereinander führen.

Wie betriebsblind muß indessen jemand sein, wenn er wie Prof. Dr. Gunter Gebauer vom Institut für Philosophie an der Freien Universität (FU) Berlin moniert, daß die UFC-Kämpfer wie Gladiatoren im Zirkus beim Betreten des Käfigs bestimmte Rechte abgeben würden, "zum Beispiel das Recht auf den Schutz ihrer physischen und moralischen Integrität". Es finde "eine Art freiwillige Selbstauslieferung statt", wie Gebauer in einem Interview mit fr-online.de (19.5.09) anmahnt. "Wir haben hier eine Situation, in der spielerisch, aber mit letztem Ernst, die Veräußerung von Rechten vorgeführt wird."

Wo es politisch opportun erscheint, entdecken "Sportphilosophen" plötzlich die Gefährdung von Sportler-Rechten. Einmal abgesehen davon, daß jeder Mensch das Recht auf Selbstschädigung hat, ohne das der gesundheitsgefährdende Hochleistungssport in allen seinen Ausprägungen sicherlich nicht zu betreiben wäre, ist Gunter Gebauer nie als jemand aufgefallen, der sich tatsächlich für die Grundrechte von Athleten, die etwa im Zuge des repressiven Anti-Doping-Kampfes systematisch und flächendeckend verletzt werden, eingesetzt hätte. Vielmehr drängt sich der Eindruck auf, daß Ultimate Fighting eine Art Sündenbockfunktion für Kritik hat, die sich schon aus berufsständischen Teilhaberschaftsinteressen nicht grundlegend gegen den organisierten Leistungs- und Spitzensport aufzurichten wagt.

25. Mai 2009