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KOMMENTAR/042: Audienz beim Papst - Vatikan hält dem Sport den Kußring hin (SB)



Großer PR-Bahnhof beim Papst. Kurz vor Abschluß der Weltmeisterschaft in Rom führte der frischgekürte Doppelweltmeister Paul Biedermann eine Delegation an, die von Benedikt XVI. auf dessen Sommerresidenz in Castel Gandolfo empfangen wurde. Zusammen mit Italiens Schwimmstar Federica Pellegrini betrat Paul Biedermann das mit rotem Teppich ausgeschlagene Thron-Podest, im Schlepptau Funktionäre des Weltverbandes FINA. Der 22jährige Hallenser, der nach eigenem Bekunden "nicht gläubig" ist, verbeugte sich tief und küßte dem Joseph Ratzinger den Ring der linken Hand. Nicht auszudenken, was mit "Paul Superstar" (Bild-Zeitung) im Medien-Boulevard passiert wäre, wenn er es an Ehrfurcht vor dem höchsten katholischen Würdenträger hätte mangeln lassen und dem herrschaftlichen Ritual den Reverenz-Kuß verweigert hätte. Ob die Bild-Zeitung eine neue Debatte über gottlose, atheistische "Ossis" angestoßen hätte, nachdem "wir", die Deutschen, doch alle Papst sind? Paul Biedermann nicht nur ein potentieller Doping-Sünder, sondern auch ein Sünder vor dem Apostolat?

Aber nein, die sportliche Jugend hat früh gelernt, daß es lohnt, sich an Regeln anzupassen, sich fremdverfügten Kodices zu unterwerfen und nicht nach dem herrschaftlichen Sinn und Zweck von Moralvorstellungen und bußfertigem Schuldverhalten zu fragen. Man bleibt in der vorgegebenen Bahn und stets wohlorientiert. "Ich habe die Leute vor mir beobachtet und geschaut, was die machen. Ich wurde nicht instruiert, ich hoffe, es war richtig", so Biedermann.

Stellvertretend für alle Schwimmer übergab er als Geschenk ein Polo-Shirt mit den Unterschriften aller WM-Teilnehmer sowie eine Kappe mit dem Logo der WM in Rom und dem eingestickten Namen "Benedikt". Der Pontifex bedankte sich auf Deutsch bei Biedermann und setzte sich die Kappe unter Applaus und Gelächter der etwa 1000 Beobachter aus dem Umkreis der Schwimm-WM, von denen viele ihre Kamera- und Fotohandys in die Höhe gestreckt hatten, kurz auf.

Die Handygeneration, der sich das politische Gebaren unter den Talaren nicht als Muff aus tausend Jahren offenbart, sondern aus der Kameraperspektive wie ein "Live"-Erlebnis vor dem Fernseher, kam voll auf ihre Kosten. "Er ist Deutscher, es ist eine Persönlichkeit, das ist Geschichte!", strahlte die Bochumer Wasserballerin Katrin Dierolf vor Glückseligkeit. "Das erzählen wir unseren Kindern noch, daß wir heute den Papst hier so live sehen." Den "Kult-Papst" aus der Distanz von einigen Metern, die doch Lichtjahre sind, einmal gesehen zu haben, macht Kinder froh und Erwachsene ebenso. Wer durch die große Infantilisierungsmaschine der Konsumgesellschaft und Event-Kultur gegangen ist, weiß eben eine gute Performance zu schätzen...

Selbstverständlich gab es auch eine päpstliche Gardinenpredigt in mehreren Sprachen für die Schwimmerinnen und Schwimmer. "Als sportliche Wettkämpfer bringt ihr Höchstleistungen und seid Vorbilder für viele junge Menschen. Setzt euch in eurer Lebenswelt für das Gute und für das Bleibende ein, damit der Sport der Entfaltung der Gaben dient, die Gott den Menschen geschenkt hat", frömmelte Benedikt XVI.. "Der Sport fördert die Freundschaft. Wichtig ist, daß der Sport auf harmonische Weise praktiziert wird und nicht nur das Ergebnis zählt."

Trotz der ganzen Aufregung und der salbungsvollen Worte durch den obersten katholischen Glaubenshüter besaß Paul Biedermann, der nach der etwa halbstündigen Zeremonie noch von zahlreichen Reportern und Autogrammjägern umringt wurde, immerhin soviel Geistesgegenwart, daß er den Wert der PR-Aktion einzuordnen wußte: "Ich glaube auch, daß das hier eigentlich keine so richtige Sache des Glaubens war. Es war für den Sport, für den Schwimmsport."

Selbstredend sammelte auch die römisch-katholische Kirche PR-Punkte, die, modern gesprochen, auf dem Markt der Menschenfischerei erhebliche Probleme hat, wie der beständige Mitgliederrückgang der Papst-Kirche bescheinigt. Dem massenmobilisierenden Sport wird daher seit einigen Jahren von der Kirche eine neue Bedeutung beigemessen. Ganz offensichtlich gibt es zwischen der Muskelreligion der Sportler, der "Religio athletae", wie sie weiland der Begründer des modernen Olympismus, der französische Adlige Baron de Coubertin ersann, und der "wahren" Religion viel mehr Schnittmengen, als es insbesondere die Kirchenfürsten bislang zugeben mochten, als sie den Sport noch als schnöde "Ersatzreligion" abtaten. Tatsächlich lassen sich heute in den westlichen Industriegesellschaften mehr Menschen vom "Fußball-Gott" in den Bann schlagen als vom "Christen-Gott".

Bezeichnenderweise eröffnete ausgerechnet der die katholische Kirche auf einem erzkonservativen Kurs steuernde Ratzinger-Vorgänger, Papst Johannes Paul II., im Vatikan 2004 ein Sportbüro, um den Sport zu fördern und den Frieden unter den Menschen zu stärken, wie es wohlfeil hieß. Sport sei ein "Nervenzentrum" des kulturellen Lebens sowie ein neuer Ansatzpunkt für die kirchliche Arbeit, begründete der Heilige Stuhl die Entscheidung. Vier Jahre später, unmittelbar vor den Olympischen Spielen in Peking, gründete der Vatikan zudem erstmals eine eigene Sportstiftung und berief den Mainzer Sportwissenschaftler Norbert Müller zum Sportberater des Papstes, was das Image von Joseph Ratzinger zweifellos heben wird.

Der ehemalige "scharfe Hund" der Glaubenskongregation, also der Nachfolgeorganisation der Heiligen Inquisition, war früher von anglikanischen Vatikankritikern auch gern als "Panzerkardinal" persifliert worden, da er als deutscher Flakhelfer für den NS-Rüstungsbetrieb BMW tätig war. Das Bild vom gütigen, klugen und weltoffenen Papst Benedikt XVI. war hierzulande 2005 anläßlich des Weltjugendtages in Köln medien- und massenwirksam aufpoliert worden. Erst als Joseph Ratzinger Anfang des Jahres die Exkommunikation von vier Bischöfen der Pius-Bruderschaft, darunter der Holocaust-Leugner Richard Williamson, aufhob, bekam der Lack, der über den reaktionär grundierten Entscheidungen des Papstes lag, wie, daß gleichgeschlechtliche Liebe ein Verstoß gegen das "Naturgesetz" sei, daß künstliche Schwangerschaftsverhütung gegen das "natürliche Sittengesetz" sei ("Pillen-Enzyklika"), Kondome weiterhin verboten gehörten und auch Lehrverbote gegen Befreiungstheologen Bestand hätten, einen deutlichen Kratzer.

Das Postulat von der "natürlichen Leistungssteigerung" und die funktionalistische Moral, wie sie im organisierten Leistungssport verfochten werden, der im Rahmen der Dopingbekämpfung ein als "alternativlos" propagiertes globales Repressionssystem durchzusetzen gedenkt, das an Praktiken der kirchlichen Inquisition erinnert, weisen mit der katholischen Morallehre und christlichen Metaphorik durchaus Wesensverwandtschaft auf. Nicht nur, weil sich von wem auch immer berufene Wächterinstanzen anmaßen, nach willkürlichen Kriterien bestimmte Mittel und Methoden der Leistungsbeeinflussung oder Lebensgestaltung zu illegalisieren bzw. zu verteufeln und als wider dem Sportsgeist bzw. als Sünde vor dem Herrn erscheinen zu lassen, sondern auch, weil Leidensfähigkeit, Opferbereitschaft und durch Generalverdacht erzeugtes Schuldbewußtsein sowohl im Leistungssport als auch in der christlischen Religion die zentralen Leitwährungen sind, mit denen auf Kosten der Körper und Seelen unentwegt Handel betrieben wird. Die Verherrlichung sportlicher Leidensakte deckt sich nicht von ungefähr mit christlichen Praktiken der Selbstgeißelung und Heilsversprechen. Während etwa dem Schwimmer die Erlösung von der körperlichen Tortur nach dem Zielanschlag winkt, weil der jähe Abfall von Leistungs- und Erfolgsdruck Gefühle von Leichtigkeit und Freiheit auszulösen vermag, die verstärkt durch soziale Gratifikationen durchaus den Eindruck erwecken können, man sei dem Teufel von der Schippe gesprungen, verlegt die katholische Kirche die General-Erlösung vom Bußgang durch das irdische Jammertal ins Jenseits. Nicht aber ohne zuvor das erbsündige Volk an die Kandare genommen zu haben, etwa durch eine körper- und lustfeindliche Sexualmoral, die den körperdeformierenden Härteidealen des muskelstrotzenden Leistungssportlers, der seinen Ursprung im Schwerstarbeit verrichtenden Sklavenkörper der Antike findet, in nichts nachsteht.

Da nun die Kreuzzügler des modernen Sports beschlossen haben, das Dogma vom "sauberen Sport" in die Welt zu tragen und administrativ und polizeilich durchzusetzen - der Heidelberger "Anti-Doping-Papst" Prof. Werner Franke schlug in seinem "15-Punkte-Rettungskatalog für einen dopingfreien Sport" bereits Thesen an die Tür, die u.a. die "Bildung einer internationalen Eingreiftruppe für Dopingkontrollen ohne Visapflicht" vorsehen -, warum nicht einen sportpolitischen Internationalismus schaffen, der unter dem Mantel der Völkerverständigung den im Dopingkampf "rückständigen" Nationen, insbesondere in der Dritten Welt, überwachungsstaatliche Strukturen bringt? Empfiehlt sich die Kirche da nicht als Bundesgenosse, nachdem sie sich schon bei der Ketzerverfolgung und Zwangsmissionierung ganzer Völker bewährt hat?

"Der Vatikan hat offenbar den Sport als wichtige Größe für seinen dem Erdkreis gleichen Einflussbereich entdeckt, insbesondere um die erzieherischen Werte des Sports an die Jugend in aller Welt zu vermitteln", frohlockte der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB) im August vergangenen Jahres, nachdem der Vatikan die Sportstiftung aus der Taufe gehoben hatte.

Warum ist klar: Ebenso wie der moderne Hochleistungssport seine Leistungseliten dazu erzieht, die freiheitseinschränkenden Direktiven des WADA-Codes duldsam und ergeben hinzunehmen, lehrt die katholische Kirche passiven Gehorsam gegenüber der von Gott eingesetzten Obrigkeit. Sollten also am Ende Sporttechnokraten und Pfaffen gemeinsam den Menschen das "Saubere" und "Gute" in der Welt erklären, während das ebenfalls in den Kathedralen der Herrschaft ersponnene "Betrügerische", "Sündige" und "Böse" gnadenloser Verfolgung und lückenloser Kontrolle ausgesetzt wird?

9. August 2009