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KOMMENTAR/048: NADA - Reuse für Kontrolle, Überwachung und Sanktion (SB)



Die gebetsmühlenartig verbreitete Propaganda, der "saubere Sport" diene dem "Schutz der Athleten", hat die Nationale Anti-Doping Agentur (NADA) selbst ad absurdum geführt. So wurde das von Eisschnelläuferin Claudia Pechstein eingereichte Konzept einer Langzeitstudie von der vermeintlich "unabhängigen" Agentur abgelehnt. Die gesperrte Olympiasiegerin hatte gehofft, mit der Studie ihre schwankenden und erhöhten Retikulozytenwerte (Vorstufe der roten Blutkörperchen), die verdachtsmedizinisch inkriminiert, aber wissenschaftlich bislang nicht erklärt werden können, auf natürliche Ursachen zurückführen zu können. Doch die NADA verweigert Pechstein die Hilfestellung.

"Vertreter der NADA haben in einem Gespräch mit Claudia Pechstein Argumente für und wider die von ihr vorgeschlagene Langzeitstudie und deren Begleitung durch die NADA ausgetauscht. Dabei ist einvernehmlich festgestellt worden, dass die Sportlerin sich einer vollständigen Quarantäne über mehrere Wochen nicht unterziehen kann, und dass die Nada auch keine lückenlose Überwachung über einen längeren Zeitraum gewährleisten könnte", heißt es in der offiziellen Mitteilung der NADA. "Schlussfolgerungen aus einer solchen Testserie würden aber voraussetzen, dass jedwede Manipulation von vornherein absolut ausgeschlossen werden könnte. Die Langzeitstudie ist damit gegenstandslos geworden", erklärt die NADA.

Obwohl Claudia Pechstein sich ausdrücklich dazu bereiterklärt hatte, sich zum Kontrollobjekt von Medizin und Wissenschaft zu machen, deren Vertreter überhaupt kein Problem damit haben, des Dopings bezichtigte und vor dem beruflichen und sozialen Ruin stehende Menschen einer mehrere Wochen andauernden Quarantäne rund um die Uhr auszusetzen (siehe die anfängliche Beteiligung der Dopingjäger Werner Franke (Heidelberg) und Fritz Sörgel (Nürnberg) an der Langzeitstudie), schützte die NADA auch humane Beweggründe für die Ablehnung vor. "Eine solche Überwachung kann man auch keinem Menschen zumuten", sagte NADA-Justiziarin Anja Berninger nach einem Bericht des Tagesspiegel (12.9.09, online).

Tatsächlich hat die NADA ein veritables Interesse daran, daß die durch den WADA-Code seit Anfang des Jahres international eröffnete Möglichkeit, Athleten ohne positiven Dopingbefund lediglich auf der Grundlage von Indizien mit mehrjährigen Berufsverboten zu belegen, auch national durchgesetzt wird. In einem kürzlichen Interview [1] hatte Anja Berninger die verschärften Meldeauflagen des WADA-Codes, die Spitzensportler dazu zwingen, zusätzlich zu den wie bisher vierteljährlich im voraus abzugebenden Angaben zu Aufenthaltsort und Erreichbarkeit (sogenannte Whereabout-Informationen) auch täglich eine Stunde zwischen 6.00 und 23.00 Uhr festzulegen, in der sie definitiv an einem von ihnen festgelegten Ort für Kontrollen anzutreffen sind, damit gerechtfertigt, daß die allermeisten Sportlerinnen und Sportler (97 Prozent) ihre Whereabouts pünktlich abgeben. "Das zeigt, dass sich die Athleten damit intensiv auseinandersetzen. Das zeigt, dass es trotz mancher anfänglicher Anwendungsprobleme machbar ist", so Berninger.

"Intensiv auseinandersetzen" kann getrost als Euphemismus dafür verstanden werden, daß die kontrollierten Athleten ihren inneren Widerstand aufgegeben und sich mit der massiven Einschränkung ihrer Grundrechte abgefunden haben. "Grundsätzlich lässt sich sagen, dass es um dieses Thema mittlerweile ruhiger geworden ist", erklärte Berninger. Die Athleten hätten sich an die neuen Vorschriften gewöhnt, eine gewisse Routine sei eingekehrt.

Wenn Athleten also daran gewöhnt werden können, daß sie sich einer Stunde Hausarrest pro Tag unterwerfen, warum sollte man sie nicht auch an Quarantänebedingungen gewöhnen können? Zumal der progressive Anti-Doping-Kampf, dessen Wirksamkeit von Journalisten, Politikern und Funktionären mit Hinweis auf die vielen Schlupflöcher (siehe US-Sprinterin Marion Jones, die vor ihrem Outing 160 Mal negativ getestet wurde) permanent in Zweifel gezogen wird, erst dann das allseits geforderte Siegel der "Glaubwürdigkeit" erhalten wird, wenn die Athleten unter totale Kontrolle gebracht sind.

Die NADA-Funktionäre arbeiten bereits an einem solchen System von orwellschen Ausmaßen. So bestätigte Anja Berninger, daß bei Athleten, bei denen Versäumnisse bei den 1-Stunden-Kontrollen auftraten, genauer hingeschaut werde. Wer "Missed-Test" vorzuweisen habe, werde möglicherweise intern in die Gruppe der "Red-Flag-Athleten" eingestuft. "Das sind solche, bei denen wir zum Beispiel aufgrund ihrer Meldedaten Ungereimtheiten und Merkwürdigkeiten im Bewegungsprofil erkennen oder die durch große Leistungssprünge binnen kurzer Zeit auffallen und Ähnliches."

Unter "Ähnliches" könnte auch fallen, was der DOSB unlängst verlauten ließ: wiederholt sehr kurzfristige Änderungen des Aufenthaltsortes [2]. Die vermeintliche Freiheit, die den Athleten zugestanden wird, nämlich jederzeit den Aufenthaltsort aktualisieren und auch noch eine Minute vor Beginn der "persönlichen 60 Minuten" eine Änderung an das Meldesystem senden zu können, erweist sich bei zunehmender Inanspruchnahme als das genaue Gegenteil: Es weckt den Argwohn der NADA und stellt die "Red-Flag-Athleten" unter besondere Beobachtung. Sie "werden möglicherweise öfter oder noch gezielter kontrolliert", so Berninger.

Zugleich bestätigte die Justiziarin, daß die NADA den Fall Claudia Pechstein "mit großem Interesse" verfolge. Selbst wenn es der Eisschnelläuferin gelingen würde, für ihre Entlastung "die Beweiskraft der Indizien" so weit zu erschüttern, "dass die Wahrscheinlichkeit der Manipulation nicht mehr über 50 Prozent liegt", wie Anja Berninger ausführte, wäre generell "das Schwert des Indizienprozesses als Instrument im Kampf gegen Doping" keineswegs stumpf. "So viel sollte den Athleten schon heute als Warnung gesagt sein", so die Drohworte der Anti-Doping-Praktikerin.

Und was ist morgen? Für Sportlerinnen und Sportler, die mit juristischen Konstrukten wie der 50:50-Prozent-Wahrscheinlichkeit an den Schandpfahl gebunden und mit dem Indizien-Schwert traktiert werden, ist es jetzt schon nahezu unmöglich, sich vor den Nachstellungen einer der Funktionalität des repressiven Leistungssportsystems verpflichteten Sportjustiz und Gerichtsmedizin zu schützen.

"Es ist für den gegenwärtigen Anti-Doping-Kampf bezeichnend, dass zur Entlastung eines Athleten 100-prozentige Gewissheit verlangt wird, für die Beschuldigung und eine Sperre von Claudia Pechstein durch den Weltverband Isu dagegen ein einziges Indiz ausreicht", erklärte Pechsteins Manager Ralf Grengel treffend.

Schlimmer noch, wer als Athlet aufgrund von Abweichungen behaupteter biologischer oder statistischer Normalität am Dopinggalgen landet, der sollte sich nicht auf die NADA verlassen, denn die sieht sich in der "Rolle des Beobachters" (Berninger) und schaut dabei zu, wie die am Strick zappelnden Sportlerinnen und Sportler vergeblich versuchen, argumentativen Boden unter ihre Füße zu bekommen, um ihre Unschuld zu beweisen. Damit erweist sich der vielzitierte "Schutz der Athleten", um den sich die Sachwalter des "sauberen Sports" angeblich sorgen, als Reuse der Verurteilung, deren Funktionstüchtigkeit die größere Sorge der NADA-Funktionäre ist. Da der "intelligente" Anti-Doping-Kampf ohnehin auf Quarantänebedingungen für den "sauberen Sportler" zusteuert, warum sollte sich die NADA die Hände am Quarantäne-Projekt von Claudia Pechstein schmutzig machen?

Und noch etwas ist durch den abgelehnten Vorschlag der Langzeitstudie deutlich geworden: Wenn schon die NADA mit ihren Kapazitäten und Möglichkeiten nicht jedwede Manipulation absolut ausschließen könnte, wie sollte das dem aktuell vorherrschenden, angeblich effektiven Kontroll- und Überwachungssystem gelingen? Mit anderen Worten: Der Terror von Verdacht und Kontrolle, der sich aus den Lücken und Löchern des Kontrollsystems perpetuiert, wird bis zum St. Nimmerleinstag weitergehen!


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[1] DOSB-Presse Nr. 33 / 11. August 2009
[2] DOSB-Presse Nr. 46 / 11. November 2008

22. September 2009