Schattenblick →INFOPOOL →SPORT → MEINUNGEN

KOMMENTAR/071: Doping-Staat macht mobil - Hausdurchsuchungen bei Pechstein & Co. (SB)



Der Anti-Doping-Staat nimmt immer mehr Gestalt an. Statt den Antidopingkampf des organisierten Sports als totalitäre Ideologie, die mit bürgerlichen Freiheitspostulaten nicht in Einklang zu bringen ist, bloßzustellen und folglich einzuschränken, gewährt der Staat zunehmend Schützenhilfe bei der Verfolgung und Drangsalierung von im Binnenraum des Sports "eigengesetzlich" als verdächtig, betrügerisch, abnormal oder illegal erklärten Athleten. Dabei kommt es zu einer zunehmenden Kompetenzverschränkung zwischen sporthoheitlichen und staatlichen Repressionsapparaten, so daß immer weitere Bevölkerungskreise ins Fadenkreuz behördlicher Ermittlungsarbeit geraten. Die vielgerühmte "Familie des Sports" wird inzwischen selbst zum Hort finsterer Machenschaften stilisiert, in der laut einer maßgeblich vom Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB) und seinen sportpolitischen und juristischen Funktionsträgern orchestrierten Sprachregelung "Hintermänner" ihr Unwesen treiben, indem sie Sportlerinnen oder Sportlern bei der Beschaffung und Applizierung von technisch hochwertigem Doping helfen.

Nachdem schwankende Blutwerte bei der deutschen Eisschnelläuferin Claudia Pechstein bereits dazu mißbraucht wurden, um vor dem Internationalen Sportgerichtshof (CAS) die wissenschaftliche und sportrechtliche Etablierung des indirekten Indizien-"Beweises" bzw. des "biologischen Passes" der WADA und des IOC durchzusetzen, wird ihr Fall nun ein weiteres Mal instrumentalisiert. Das auf der Grundlage athletenfeindlicher Beweislastregeln, irrtumsanfälliger sportmedizinischer Gutachten und umstrittener wissenschaftlicher Methodik erwirkte Indizienurteil des CAS löste am 4. und 5. März eine staatliche Ermittlungsoffensive aus, die in dieser Form einmalig in Deutschland war. So haben Ermittler des Bundeskriminalamtes (BKA), gepanzert zum Teil mit schußsicheren Westen, das Haus von Claudia Pechstein im brandenburgischen Diensdorf-Radlow durchsucht. Im Auftrag der Staatsanwaltschaft (StA) München I, deren Chefin die CSU-Justizministerin Beate Merk ist, die sich in der Öffentlichkeit bereits hinlänglich mit populistischen Forderungen wie der, positiv getestete Sportler mit Gefängnis zu bestrafen, in Szene gesetzt hat, sollen insgesamt 21 Durchsuchungen, "u. a. bei der Geschäftsstelle der Deutschen Eisschnelllauf-Gemeinschaft, bei Mitarbeitern des Eisschnelllaufverbandes, dem Verband angehörenden Sportlern sowie in einer Arztpraxis wegen Verdachts des Verstoßes gegen das Arzneimittelgesetz durchgeführt" worden sein, wie das BKA der Presse am 5. März mitteilte. Betroffen sind neben den genannten Personen und Institutionen u.a. auch die Räumlichkeiten des Sportforums Hohenschönhausen in Berlin, der Teamchef der Deutschen Eisschnelllauf-Gemeinschaft (DESG) Helge Jasch sowie die Eisschnelläuferinnen Heike Hartmann und Bente Kraus, bei denen nebulösen Meldungen zufolge auffällige Blutwerte ermittelt worden sein sollen.

Zugleich beruft sich das BKA darauf, daß im November/Dezember 2009 die Nationale Anti-Doping Agentur (NADA) sowie die Deutsche Eisschnelllauf-Gemeinschaft e.V. bei der StA München I Anzeige gegen Unbekannt wegen Verdachts des Verstoßes gegen das Arzneimittelgesetz erstattet hatten. "Die Anzeigen stehen im Zusammenhang mit dem Urteil des Internationalen Sportgerichtshofes CAS (Court of Arbitration for Sport) vom 25.11.2009 gegen eine prominente Eisschnellläuferin. In der Urteilsbegründung wird der Athletin Blutdoping vorgeworfen, welches nach Einschätzung des Gerichts so nur in einem professionellen ärztlichen Umfeld möglich sei."

Mit dieser Darstellung macht sich das BKA nicht nur das inzwischen von namhaften Wissenschaftlern und Medizinern weitreichend demontierte Bezichtigungskonstrukt der vor dem CAS Klage gegen Pechstein führenden Internationalen Eislaufunion (ISU) zu eigen, sondern nimmt auch die "Einschätzung" des hier als "Gericht" bezeichneten Sporttribunals zum Aufhängepunkt weitreichender staatsanwaltlicher Ermittlungen. Auch die Anzeigen von DESG und NADA gegen Unbekannt berufen sich auf das CAS-Urteil bzw. auf das Hintergrundwirken des DOSB, dessen Präsident bekanntlich der Multifunktionär Thomas Bach ist, der im IOC die Juristische Kommission anführt, "die in Rechtsfragen wie Doping die Rolle einer olympischen Staatsanwaltschaft spielt" (dpa), und dem Gremium für Sport und Recht vorsitzt sowie beim CAS die Berufungskammer leitet. Bach war nach dem Pechstein-Urteil auch einer der zentralen Stichwortgeber, die der Presse das Hintermänner-Diktum in die Blöcke diktierten.

Nicht unerwähnt sollte in diesem Zusammenhang bleiben, daß es fünf Tage nach dem für Pechstein verheerenden CAS-Urteil in Berlin auf Einladung von DOSB-Präsident Bach zu einem mehr als ungewöhnlichen Treffen zwischen den verschiedenen Streit- und Interessensparteien kam, an dem neben Bach der Parlamentarische Staatssekretär im Bundesinnenministerium, Christoph Bergner, DESG-Präsident Gerd Heinze, Claudia Pechstein, ihr Anwalt Simon Bergmann und DOSB-Generaldirektor Michael Vesper teilnahmen, wie aus einer Erklärung hervorgeht. In diesem Gespräch sollen alle anstehenden Fragen nach der Entscheidung des CAS erörtert worden sein. Unter Punkt 4 der Erklärung heißt es: "Die DESG wird bei der zuständigen Staatsanwaltschaft Strafanzeige gegen Unbekannt wegen des Verdachts des Verstoßes gegen §6a des Arzneimittelgesetzes stellen. Der DOSB und Claudia Pechstein begrüßen diese Anzeige."

Hier wurden im Interesse des DOSB, der seit jeher "Vollzugsdefizite" bei der Umsetzung des Arzneimittelgesetzes beklagt, sowie mit Blick auf zukünftige Verfahrenswege, auch was die staatsanwaltschaftliche Ermittlungen auslösende Hintermänner-Lesart betrifft, bereits gravierende Weichenstellungen vorgenommen. Dabei konnte der DOSB auf die Not von Pechstein, sich in jeder erdenklichen Form zum Ermittlungsobjekt des sportforensischen wie behördlichen Vorgehens zu machen, sowie die Positionierung der DESG, welche sich laut ihres durchaus standhaften Präsidenten Heinze auch in der Rolle sah, "zur umfassenden Aufklärung des Sachverhalts, der sich stellenden medizinischen und rechtlichen Fragen sowie zu einem fairen Verfahren beizutragen", bauen. Die DESG hatte Pechstein nicht wie eine heiße Kartoffel fallengelassen, sondern war immerhin so anständig, etwa 100.000 Euro für Verfahrenskosten beizusteuern, wodurch der Verband allerdings eine Flanke bot, auf die ARD-Dopingjäger mit der inquisitorischen Frage, ob dafür auch Steuergelder verwendet worden wären, kräftig eindroschen. Zum Glück konnte Heinze bestätigen, daß die Mittel aus anderen Quellen stammten. Mit dem Steuerzahler-Prügel, der im Grunde besagt, daß die Bundesfördermittel für den Sport nur zur Verfolgung und Sanktionierung von Athleten eingesetzt werden dürfen, auf gar keinen Fall zu ihrer Entlastung (!), sorgen die Medien dafür, daß Sportverbände immer weniger geneigt sein werden, auch nur einen Finger zu rühren, den beschuldigten Athleten, die meist auch finanziell enorm belastet sind, Hilfestellung zu leisten.

Während die DESG auf der eigenen Website ihre Strafanzeige gegen Unbekannt mit "dem Anti-Doping-Aktionsplan des DOSB" rechtfertigt, verweist die in enger Anbindung an den DOSB operierende NADA auf den Artikel 14.2. des NADA-Codes, nach dem sie dazu verpflichtet sei, bei einem "begründeten hinreichenden Verdacht auf einen Verstoß gegen das Arznei- oder Betäubungsmittelgesetz oder das Strafgesetzbuch" eine Anzeige zu erstatten.

Insgesamt gesehen hat der staatlich forcierte Anti-Doping-Kampf die Sportfachverbände über die Drohung von Mittelkürzungen bereits zu Erfüllungsgehilfen der galoppierenden Hexenjagd gemacht. Um sich nicht dem von den Medien mit schärfsten Anklagen begleiteten Vorwurf auszusetzen, pflichtsäumig zu sein, arbeitete auch die DESG eigenen Verlautbarungen zufolge "von Anfang an offen und vertrauensvoll mit der Staatsanwaltschaft München zusammen und stellte ihr sämtliche Verfahrensunterlagen zur Verfügung. In ihrer Eigenschaft als Anzeigenerstatterin und Zeugin stellte die DESG der Staatsanwaltschaft am 4. März weitere erbetene Informationen und Dokumente zur Verfügung". Gerd Heinze bestätigte außerdem: "Wir haben den Ermittlern der Staatsanwaltschaft rund 100 Kontaktadressen mitgeteilt."

Diese "vertrauensvolle Zusammenarbeit" zwischen Sportverbänden sowie der NADA auf der einen Seite und staatlichen Ermittlungsbehörden auf der anderen Seite gerät in die gefährliche Nähe eines Dammbruches bei der Konstituierung des Doping-Staates. Da eine angekündigte Hausdurchsuchung bei der selbst im Polizeidienst stehenden Pechstein in ermittlungstechnischer Hinsicht nur ein Witz sein kann, da sie als "ausgebuffte Doperin mit professioneller Unterstützung", so die Unterstellung ihrer Verurteiler im Klartext, sicherlich auch über die nötige Intelligenz verfügte, in den Monaten ihres schwebenden Verfahrens Beweismaterial rechtzeitig zu vernichten, kann es sich bei der Razzia nur um einen demonstrativen Akt staatlicher Ermächtigung handeln, der zur Etablierung neuer repressiver Verfolgungsoffensiven beitragen soll.

Der Doping-Legalismus läuft nicht nur darauf hinaus, daß Sportler den Bedingungen der Totalüberwachung immer näher kommen, da Kontrollücken permanent geschlossen werden müssen, sondern daß sämtliche Sportlerfamilien, sofern ihre Leistungssport betreibenden Angehörigen einer bestimmten Verdachtsgruppe zugeordnet und im Doping-Radar hängen geblieben sind, ab jetzt mit Hausdurchsuchungen, die von Rufschädigungen der übelsten Art begleitet sind, rechnen müssen. Die Schwelle ist offensichtlich bereits so niedrig gelegt, daß "Indizien", die in den Anklagekonstruktionen der Sportgerichtsbarkeit ausreichen, um jemanden des Dopings zu bezichtigen, mit Berufsverbot zu belegen und des Hintermänner-Verbrechens zu verdächtigen, den Vorwand für staatliche Willkürmaßnahmen liefern können. Da die Sportverbände über die staatlichen Anti-Doping-Klauseln dazu gezwungen werden, sich botmäßig gegenüber den Behörden zu verhalten (siehe auch die aktuelle Diskussion um die Rückzahlung von Fördermitteln wegen geringfügigster Versäumnisse bei der Umsetzung des NADA-Codes), entwickeln sie sich absehbar zu Zuträgern eines Repressionsapparates, dem Sportler lieber nicht ihre persönlichen Daten überlassen sollten, da sie zu Fahndungsoffensiven zweckentfremdet werden könnten. Auch sollten Athleten künftig darauf verzichten, dem Sportverband gegenüber Freunde und Bekannte zu nennen, da sie sonst als "Kontaktadressen" an die unter Erfolgsdruck stehenden Staatsanwaltschaft weitergereicht werden könnten.

Bezeichnend für das Duckmäusertum der Betroffenen ist, daß sie alle offiziell die Ermittlungen begrüßen, aber keiner sie erleiden möchte. So spricht DESG-Präsident Heinze nach Bekanntwerden der Namen von zwei deutschen Eisschnelläuferinnen mit erhöhten Blutwerten, die vom Verband nicht bestätigt wurden, von "Rufmord". Aus seiner Sicht seien die Informationen von den Ermittlern lanciert worden. Die DESG habe die Anzeige gegen Unbekannt erstattet, "aber die Ermittlungen dürfen nicht einhergehen mit öffentlichem Mobbing", so Heinze, der die Unverhältnismäßigkeit der Mittel kritisierte. "Wenn Beamte in Anti-Terror-Ausrüstung dort ankommen, dann schießt man mit Kanonen auf Spatzen."

Auch Claudia Pechstein hat die aus der Anzeige resultierenden Ermittlungen "stets begrüßt" und sogar betont, "sie sollten endlich beginnen. Denn jede Recherche bzw. Untersuchung wird mich entlasten". Gleichzeitig beklagt sie als krassen Eingriff in die Intimsphäre, zuschauen zu müssen, "wie deine Kontoauszüge, Unterlagen, Computer und Medikamente bzw. deren Beipackzettel plötzlich beschlagnahmt werden".

Ihre Einlassungen mögen einerseits der anwaltlichen Verteidigungsstrategie, andererseits dem inquisitorischen Antidopingkampf geschuldet sein, der verzweifelt um ihre Unschuld kämpfende Athleten zu einer vollständigen Preisgabe ihrer Privat- und Intimsphäre zwingt, ohne daß ihnen dies wirklich etwas nützte. Doch selbst wenn es Claudia Pechstein tatsächlich gelingen sollte, sich vor dem CAS zu rehabilitieren, so hat ihr Präzedenzfall eine Drehtür zwischen repressivem Leistungssport und staatlichen Stellen der Verbrechensbekämpfung installiert, die noch viele Athleten nach ihr als Schläge ins Genick zu spüren bekommen werden. Die von der Polizei heimgesuchte Sprinterin Heike Hartmann jedenfalls soll dem Nervenzusammenbruch nahegewesen sein, als sie kurz darauf beim Sprint-Weltcup in Erfurt an den Start ging und erwartungsgemäß scheiterte. Dabei hat die staatliche Hexenjagd erst begonnen, und sie wird nicht nur durch sämtliche Arbeits- und Wohnräume von Sportlerfamilien führen!

10. März 2010