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KOMMENTAR/075: Antiolympischer Widerstand - München ade, Kapitalismuskritik passé? (SB)



In einer sportifizierten Gesellschaft, in der der Spitzensport die Leistungsnormen des Kapitalismus reproduziert und jedes Recht auf unkontrollierte, zweckfreie und nicht dem kommerziellen Verwertungszwang unterliegende Leibesübungen negiert, haben es emanzipatorische Bewegungen naturgemäß schwer, sich Gehör zu verschaffen und eine Gegenöffentlichkeit herzustellen. Zumal sich in den vergangenen Jahrzehnten ein mächtiger sportindustrieller Komplex gebildet hat, der auf allen Kanälen seine Kommunikationshoheit sicherzustellen weiß. Zu den geradezu steingewordenen Institutionen des Leistungs- und Wettkampfsports zählt auch das Internationale Olympische Komitee (IOC), das im Wechsel alle zwei Jahre Sommer- oder Winterspiele veranstaltet, sowie seit diesem Jahr auch entsprechende Jugendspiele. "Die Einnahmen des IOC werden für den Zeitraum 2009 bis 2012 voraussichtlich erstmals die Sechs-Mrd.-Dollar-Grenze (4,36 Mrd. Euro) übersteigen", berichtete vor wenigen Wochen das Handelsblatt. Als kommerzielle Maschine globalen Ausmaßes verfügt das IOC über exorbitante Möglichkeiten, den Menschen die Sinnfälligkeit ihrer sportlichen Megaveranstaltungen glaub- und schmackhaft zu machen. Dabei wird das IOC nicht nur durch steinreiche Sponsoren von zweifelhaftem Ruf unterstützt - erst kürzlich wurde mit dem Südkoreaner Kun Hee Lee ein laut Pressequellen (New York Times etc.) wegen Steuerhinterziehung verurteilter Firmenpatriarch und IOC-Großsponsor (Samsung) zurück in den Kreis der "Herren der Ringe" befördert, nachdem er zuvor von der südkoreanischen Regierung mit Blick auf die nationalen Interessen (Pyeongchang bewirbt sich ebenfalls um die Winterspiele 2018) begnadigt wurde -, sondern auch von Politikern aller Couleur, die den sozialen Hype als willkommenen Legitimationsproduzenten für mit der Bewerbung und Durchführung von Olympischen Spielen verbundene Bauprojekte, Infrastruktur- und Investitionsmaßnahmen sowie konjunkturelle Aufschwungversprechen nutzen. Da massenmediale Sportfeste die Aufmerksamkeit der Menschen gerade dort zu fesseln pflegen, wo sie am leichtesten zu ködern sind, nämlich bei ihren Konsumhaltungen und Unterhaltungserwartungen, eignen sich Brot-und-Spiele-Spektakel auch hervorragend als kompensatorisches Regulativ für die das Gemeinwohl immer stärker belastende kapitalistische Krisen- und Kriegswirtschaft. Damit der gemeine Bürger eben nicht darüber nachdenkt, daß es einen Zusammenhang gibt zwischen der Prekarisierung der Lebensverhältnisse nach innen und dem neuen deutschen Bellizismus nach außen, ist die Stiftung von sportiven Spaß- und Feiergemeinschaften im privaten und öffentlichen Raum, möglichst auf schwarzrotgold geschminkt, gesellschaftspolitisches Programm.

Doch die Vergesellschaftung der ungeheuren (Folge)Kosten, die die IOC-Raumschiffe bei ihrer Landung in den Städten, Gemeinden und Kommunen zu Lasten der Steuerzahler, insbesondere der ärmeren Bevölkerungskreise, verursachen, wird von aufgeklärten Geistern inzwischen immer weniger hingenommen. Als linksgerichtete Studenten 1969 in Frankfurt am Main das "1. Anti-Olympische Komitee" gründeten und mit Slogans wie "Vögeln statt Turnen" oder Aktionsformen wie täglichem "Wettpennen" ihre Abneigung gegen den als besonders repressiv und unfrei angesehenen Leistungs- und Wettkampfsport ausdrückten, da war Fundamentalkritik am bürgerlichen Aktiv- und Passivsport noch eine Selbstverständlichkeit. Damals richtete sich die Kritik nicht gegen die mit Olympischen Spielen verbundenen ökologischen Zerstörungen, städtebaulichen Unsinnigkeiten oder sicherheitsstaatlichen Verschärfungen, sondern gegen "Lustfeindlichkeit", "Leistungsterror", "sportliche Fachidioten" und andere "kapitalistische Manifestationen".

Trotz der fortgeschrittenen Ökonomisierung und Institutionalisierung ist die grundsätzliche Kritik am Leistungssport und die ihn tragenden gesellschaftlichen Verhältnisse nie verstummt. Als Leipzig im Zuge der Bewerbung um die Sommerspiele 2012 für den olympischen Metropolenwahn zugerichtet werden sollte, begannen auch Leute aus einer leistungssportkritischen politischen Gruppe, AktivistInnen verschiedener radikaler linker Gruppen oder am antiolympischen Gedanken interessierte Menschen ihren Widerstand zu formieren. Sie gründeten 2003 das Anti-Olympische Komitee Leipzig (AOK-L) und waren keineswegs gewillt, sich mit liberalen Schönkritiken zu bescheiden. "Bürgerliche Kritik an den Olympischen Spielen, die Olympia ohne Kommerz, Größenwahn und Doping erkämpfen will und dies für ein besseres Olympia hält, lehnen wir strikt ab. Unsere Kritik der Olympischen Spiele betrifft jede Form des Leistungssports, dem wir uns als Teil des Leistungsprinzips, wie auch Lohn- und Erwerbsarbeit, entgegenstellen", erklärten André Berg und David Salomon vom AOK-L (ND, 02.4.04). "Das Leistungsprinzip als inneren Ausdruck der kapitalistischen Verwertungslogik lehnen wir von Grund auf ab."

Das AOK-L stellte nach eineinhalb Jahren Gegenöffentlichkeit seinen Dienst ein. "In den bürgerlichen Medien erschienen ein knappes Dutzend Berichte, in denen das AOK meist eher beiläufig erwähnt wurde. Bei den Alternativmedien sah es nicht viel besser aus", bilanzierten die Verantwortlichen ihre Arbeit, nachdem Leipzig das Rattenrennen der Kandidatenstädte verloren hatte. Anfang der 1990er Jahre hatte es vor dem Hintergrund der Berliner Bewerbung um die Sommerspiele 2000 bereits eine NOlympia-Bewegung gegeben, die mit zum Teil spektakulären Protestaktionen aufwartete. Ein anti-olympisches Video, für das Judith Demba, damals noch Bündnis 90/Die Grünen, verantwortlich zeichnete und in dem zum Schluß eine vermummte Person auftrat, die mit einem Pflasterstein in der Hand das IOC in Berlin begrüßte, kulminierte in einer Kampagne von grünen Realpolitikern und bürgerlichen Medien, die die Mitbegründerin der Ost-Grünen wegen des vermeintlichen Aufrufs zur Gewalt kaltstellen wollten. 1999 kehrte Demba von sich aus ihrer Partei den Rücken, weil sie auch der Grünen-Fraktion mit Außenminister Joseph Fischer die politische Verantwortung für den Angriffskrieg Deutschlands gegen Jugoslawien gab.

Turbulenzen innerhalb der Grünen-Partei herrschen auch wegen der Bewerbung Münchens (und der zu Namensleichen degradierten Orte Garmisch-Partenkirchen, Oberammergau und Schönau) um die Olympischen Winterspiele 2018. Während die Bundestags-Grünen, allen voran Claudia Roth, sowie die Fraktion im Münchner Rathaus zusammen mit den etablierten Parteien Stimmung für Olympia machen, sind alle anderen Gremien und Fraktionen der bayerischen Grünen dagegen. Die wachsende Gegnerschaft ist gesellschaftlich vielschichtig. Der NOlympia-Kampagne, die sich im Netzwerk "Nolympia 2018" (www.nolympia.de) bündelt, haben sich viele Umweltverbände, darunter der Bund Naturschutz, die Gesellschaft für Ökologische Forschung sowie Wissenschaftler und andere Einzelakteure angeschlossen. Das "Greenwashing" der Spiele wurde inzwischen als Fake entlarvt. "Olympische Spiele 2018 sind kein Gewinn für unsere Region", wetterte Dieter Janecek, Landesvorsitzender von Bündnis 90/Die Grünen in Bayern, auf seinem Blog. "Das von DOSB-Generalsekretär Michael Vesper vollmundig als "grünes Erbe" angekündigte Biosphärenreservat kommt nicht." Dem gutdotierten "Cheflobbyist des DOSB", Michael Vesper, wird inzwischen von Janecek nahegelegt, doch lieber seine Parteimitgliedschaft bei den Grünen ruhen zu lassen.

Doch nicht nur die negativen Folgen olympischer Winterspiele in Zeiten des Klimawandels und die daraus resultierenden verhängnisvollen Eingriffe in Umwelt und Natur werden von den NOlympia-Initiativen kritisiert, sondern auch die "sittenwidrigen Knebelverträge" des IOC für die austragenden Orte, "explodierende Kosten und größenwahnsinnige Straßenbauprojekte", das Fehlen von Kosten-Nutzen-Analysen und demokratischer Kontrolle, intransparente oder irreführende Etatpläne sowie die vielen Falschbehauptungen, wie "positiv" sich Olympia angeblich für die Veranstaltungsorte auswirke. Allein Vancouver, Austragungsort der vergangenen Winterspiele, halst den Einwohnern mehr als eine Milliarde Kanadische Dollar an Schulden auf, nachdem das Ursprungsbudget von 1,5 Milliarden auf rund 6 Milliarden angestiegen war. Es bedarf nicht der Rede, wer unter der Schuldenlast am meisten zu leiden haben wird - jedenfalls nicht die gesellschaftlichen Eliten, die die Spiele einst ins Land holten und dabei auf die in der Bevölkerung grassierende Sportbegeisterung, die von den Massenmedien permanent stimuliert wird, bauen konnten.

Die Behauptung von Bundesinnen- und Sportminister Thomas de Maizière (CDU) indes, ganz Deutschland sei hinter dieser Bewerbung vereint, sowie der Vorstoß von Münchens Oberbürgermeister Christian Ude (SPD), die Widerstände gegen Olympia seien ein reines "Medienprodukt", waren möglicherweise etwas vorschnell erfolgt. In Garmisch kam es bereits zu einem Treffen von rund 200 kritischen Bürgerinnen und Bürgern, eine weitere Veranstaltung des Nolympia-Netzwerks mit Salzburgs (erfolgreichem) Olympia-Gegner und Finanzexperten Willi Rehberg fand in Berchtesgaden statt, wie Dieter Janecek auf seiner Website berichtet. Es zeichne sich ab, daß aus den Reihen der Garmischer Bürgerschaft ein Bürgerbegehren für Herbst/Winter angestrebt werde.

Stand bei radikalen Olympiakritikern während der Leipziger Bewerbungsphase noch die Kapitalismuskritik im Vordergrund, so kreist der anti-olympische Protest Münchens eher um die Frage, ob die IOC-Lobbyisten und das sportpolitische Establishment ihre volkstümlichen Versprechen und olympischen Schönwetterprognosen auch wirklich einlösen können. In der Wochenzeitung Freitag (01.03.03) war der streitbare Soziologe Dieter Bott, einer der Mitbegründer des ersten Anti-Olympischen Komitees, mit Blick auf die Bewerbungsbemühungen deutscher Städte um die Olympiade 2012 noch mit dem Vorwurf an so manche NOlympia-Initiative zitiert worden, bloß eine "zaghafte Opposition" zu bilden, die den Sport beziehungsweise die Sportifizierung nicht "als Herrschaftsmittel, als symbolisch emotionalisierte Politik thematisiert". Bei der Neuen Linken war schon nicht mehr ausdrücklich von Kapitalismuskritik die Rede - ob die grünen Bürgerproteste am Münchner Olympiaprojekt diese vollends entsorgen werden?

6. April 2010