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KOMMENTAR/125: Wenn der Goldfisch zum Stinkstiefel wird - van Almsick geißelt Britta Steffen (SB)



Während vom einst als "Jahrhunderttalent" verehrten Radsportler Jan Ullrich, der von den Medien gnadenlos niedergemacht wurde, eigentlich nur der legendäre Satz "Quäl dich, du Sau!" [1] übrig geblieben ist, hat es Schwimmstar Franziska van Almsick weit besser getroffen: Das Stahlbad der Kinder- und Jugendsportschule der DDR durchschwamm sie als eine der besten, dem Haifischbecken des kommerziellen BRD-Sports entstieg sie als mehrfache Werbe-Millionärin mit großem Vermarktungspotential. Beide Ostsportler erfüllen als gesamtdeutsche Integrationsfiguren ihren Zweck: Ullrich wurde als mahnendes Beispiel für das vermeintlich größte Übel in der Sportwelt an den Schandpfahl der Dopingbekämpfung gebunden, van Almsick zur glamourösen Repräsentantin der Stiftung Deutsche Sporthilfe (SDS) aufgebaut, die mit Hilfe von Leitbegriffen wie "Leistung - Fairplay - Miteinander" alle weiteren Übel der Sportwelt zu verschleiern trachtet.

Wie gut die stellvertretende Vorstandsvorsitzende der SDS die Marketing-Trias kommuniziert, besser gesagt exzerziert, wurde am Rande der Schwimm-Weltmeisterschaft in Shanghai (16. - 31. Juli) deutlich, wo van Almsick als ARD-Fernsehexpertin figurierte und als ehemaliger "Goldfisch der Nation" über ihre Nachfolgerin zu Gericht saß. Nachdem Doppelolympiasiegerin und -weltmeisterin Britta Steffen weder "Leistung" noch "Miteinander" ablieferte und nach ihrem Vorlauf-Debakel über die 100 Meter Freistil (54,51 Sek., Platz 16) alle weiteren Rennen absagte - auch das in der 4 x 100 m Lagenstaffel -, zog Franziska van Almsick vom Leder: "Ich verstehe nicht, warum sie alles hinschmeißt. Ich hätte ein bisschen mehr erwartet, dass man als Frontfrau des Deutschen Schwimm-Verbandes auch Verantwortung übernimmt und im Zweifel sich die Beine herausreißt; noch mal alles gibt, um die Lagen-Staffel in die Olympischen Spiele zu bringen." Van Almsick zufolge müsse man manchmal "eben auch die Arschbacken zusammenkneifen". [2]

Man könnte meinen, daß van Almsick die burschikose Arschbacken- und Beinerausreißen-Rede von ihrem früheren Lover Stefan Kretzschmar hat, zu dessen Arbeitsalltag als Profihandballer es gehörte, sich mit der sogenannten Willens(stoß)kraft zu letzten Kraftanstrengungen aufzuputschen, selbst wenn der malade Körper streikt, die angeschlagenen Knochen schmerzen und der Geist unwillig ist. Doch das Überwindungs-Prinzip ist alltägliche Realität im Leistungs- und Wettkampfsport. Wer nicht hundertzehn Prozent Leistung bringt oder sich nicht bedingungslos in den Dienst der Mannschaft stellt, gilt über kurz oder lang als untauglich und wird aussortiert.

Sobald ein auf Erfolg gedrillter Leistungssportler nicht wie erwartet funktioniert, wird nach Gründen für die Schuldigkeit gesucht. Neben den zahlreichen Wissenschaftlern und Expertenteams, die am maschinisierten Sportlerobjekt die Ursache für Leistungseinbußen oder -blockaden zu ergründen suchen, beteiligen sich auch die Medien an der Suche. Beides kann sehr schmerzhaft sein - die körperliche und mentale Zurichtung im Verbundnetz von Trainern, Physiotherapeuten, Sportärzten, Psychologen, Leistungsdiagnostikern, Ernährungsberatern oder Kraftlaborbetreibern ebenso wie die soziale Hinrichtung im öffentlichen Raum. Als 21jährige machte Franziska van Almsick selbst damit Bekanntschaft, als sie nach einem Debakel bei den Deutschen Meisterschaften mit Spott und Hohn überschüttet wurde. Ihr eigener Manager, der einstige "Bild"-Vizechefredakteur Werner Köster, hatte sie als "zu dick" bezeichnet, woraufhin die Medien wochenlang jedes Körperteil von ihr argwöhnisch prüften. Als sie dann bei den Olympischen Spielen 2000 in Sydney ebenfalls hinter den Erwartungen zurückblieb, brachen alle Dämme der Verunglimpfung. Den Vogel schoß damals ein Boulevardjournalist der B.Z. in Berlin mit der Schlagzeile "Franzi van Speck - Als Molch holt man kein Gold" ab.

"Franzi", die 2004 nach den Olympischen Spielen in Athen ihre Karriere beendete, war stets ein verkaufsträchtiges Thema im Boulevard und sich von ihm abgrenzenden Medien, weil sie sich auch entsprechend vermarkten ließ. Trotz mancher Kränkungen trennte sie sich erst 2001 nach gut achtjähriger Zusammenarbeit von ihrem Manager, dem Medienprofi Werner Köster, der sie als Werbe-Ikone plaziert und reich gemacht hatte. Seit Dezember 2008 ist sie neben dem Medienspezialisten Werner E. Klatten "Frontfrau" der Deutschen Sporthilfe und versucht die Spenden-Kampagne "Dein Name für Deutschland", die gegenwärtig durch die Plakat-Aktion "Gold macht Deutschland stolz" unterstützt wird, dem Volk unterzujubeln. Gemeinschaftsgefühle, die SpitzensportlerInnen in Deutschland wecken sollen, sind offenbar bitter nötig, denn anders als die hohen Sportfunktionäre müssen immer mehr Menschen tatsächlich die Arschbacken dauerhaft zusammenkneifen, weil die gesellschaftlichen Eliten, für die van Almsick und Klatten Sportbälle und Spendengalas organisieren, ein soziales und wirtschaftliches Verarmungsprogramm nach dem anderen auflegen.

Britta Steffen indes wird von der taz [3] vorgeworfen, sich in der Öffentlichkeit "meist verbissen und wortkarg" zu präsentieren. Steffen sei nicht wie van Almsick eine mit "Berliner Schnauze, sondern ist eine spröde Schwedterin". Sie "widmete sich stets lieber ihrem Studium des Wirtschaftsingenieurwesens, als Werbung zu machen".

Was die Apologeten von Leistung, Wettbewerb und Marketing aber wirklich in Rage bringt, ist, wenn sich eine Sportlerin nichts vorzuwerfen hat. Schlimmer noch, wenn sie sich mustergültig in die Eisen gelegt und die Zähne zusammengebissen hat und dann vor aller Augen offensichtlich wird, daß der dafür in Aussicht gestellte Lohn ausbleibt. Das kratzt an der Mär von der funktionierenden Leistungsgesellschaft, wonach sich ein jeder nur tüchtig anstrengen muß, damit es ihm besser (als dem anderen) ergeht. "Ich hab ein gutes Gewicht und ich habe mich bombig entwickelt, was die Ausdauer anbelangt, die Kraft", sagte Britta Steffen in einem dpa-Interview, das Der Spiegel veröffentlichte [4]. Sie habe auch mit ihrer Mentaltrainerin gearbeitet. Sie könne sich in keiner Hinsicht einen Vorwurf machen. "Ich bin super gesund und top in Form", so Steffen. "Ich kann sagen, dass ich mich zu 100 Prozent fokussiert habe, dass ich in dem Rennen gekämpft habe. Als die Schmerzen kamen, bin ich weiter geschwommen und habe nicht angehalten. Das spricht dafür, dass ich vom Kopf her sehr klar war."

Daß die Vergleichsordnung der Leistungsgesellschaft Verlierer am Band produziert, darf den gegeneinander aufgestachelten Wettbewerbern nicht wirklich bewußt werden. Sie sollen an persönlich zu verantwortende Makel, Defekte, Störungen, Hemmnisse, Stagnationen oder Konflikte glauben sowie Einsicht üben, daß die Freiheit in der individuellen Vorteilsnahme liegt. Wer Versagensängste spürt oder dem Erfolgs- und Leistungsdruck nicht standzuhalten vermag, dem wird "Hilfe" zuteil. Wenn sich die DSV-Verantwortlichen nach dem von den Medien als "Flucht" bezeichneten Rückzug von Britta Steffen nun schützend vor ihre Vorzeigeschwimmerin stellen, dann sicherlich auch in dem Wissen um ihre Zerbrechlichkeit. Die 27jährige beschreibt sich selbst als "komplex" und wird seit sechs Jahren von einer Sportpsychologin betreut, die sie durch die Höhen und Tiefen des Elitesportlerlebens führt. Ziel von Sportpsychologen/innen ist es bekanntlich nicht, das gnadenlose Leistungsregime und die gesellschaftlichen Voraussetzungen dafür in Frage zu stellen, sondern die Klientel zu einer ins Mentale projizierten Anpassungsleistung zu bringen, die sie trotz der Unterdrückungsmechanismen und Zwangsläufigkeiten im Hochleistungssport möglichst optimal funktionieren läßt.

Daß Britta Steffen ihre Lektionen artig gelernt hat, wurde in einer Sendung von Deutschlandradio Kultur deutlich, wo die "Macht der Psychologie im Hochleistungssport" beschworen wurde, ohne auf die Systemdeterminanten einzugehen, an denen die Athleten regelmäßig scheitern. So wurde Steffen offenbar zur Einsicht gebracht, ihren Fokus nicht auf die anderen (Verlierer) zu lenken, sondern auf die eigenen Belange. Das Geheimnis für sie liege darin, erzählte Steffen, "mich freizumachen von dem Erfolgswillen und zu sagen, ich schwimme jetzt für mich und ich will ein gutes Rennen schwimmen und ich will das Beste aus mir heraus holen, es soll ein faires Rennen werden und es soll die Beste gewinnen. Und wenn ich mit dieser Einstellung an den Start gehe, dann kann ich nichts falsch machen, und bin halt frei. Und wenn ich frei bin von irgendwelchen Denkzwängen und -mustern, dann kann ich meine hundertprozentige Leistung abrufen, und wenn das natürlich dann für das Gewinnen reicht, dann ist es umso schöner". [5]

Die Freiheits-Psychologie bricht spätestens an der Stelle, wo das Wettbewerbssystem nach dem Vogel-friß-oder-stirb-Prinzip Bestplazierungen, Medaillen oder Rekorde einfordert und Verlierer bestraft. Produziert Britta Steffen keine sportlichen Erfolge, verliert sie im Konkurrenzkampf mit nachrückenden Schwimmerinnen ihre Startberechtigung, die finanzielle (Elite-)Förderung, ihren Marktwert, die Gunst von Publikum und Medien und ihren privilegierten Betreuungsstatus. Mit Glück bekommt das "Sensibelchen" noch ein Attest des Inhalts hinterhergereicht, daß sie dem hohen Leistungs- und Erwartungsdruck im Sport psychisch nicht immer gewachsen sei. Das würde sie vielleicht auch gegenüber einer ARD-Expertin entschuldigen, die am Beckenrand die Peitsche von "Leistung - Miteinander - Fairplay" schwingt und den Sporthilfe-Slogan, (nur) "Gold macht Deutschland stolz" repräsentiert. Auch die über das Versagen von Britta Steffen rätselnden Medien hätten eine paßförmige Antwort auf eine Frage, die sie nie gründlich gestellt haben.

Anmerkungen:

[1] Der berühmt gewordene Anfeuerungsruf soll von Udo Bölts, Jan Ullrichs "Wasserträger" bei der Tour de France 1997, stammen.

[2] sport.t-online.de. Franziska van Almsick kritisiert Britta Steffen. dpa

[3] www.taz.de. "Die spröde Schwimmerin". Von Doris Akrap. 29.07.2011.

[4] www.spiegel.de. Interview mit Schwimmstar Steffen. Aufgezeichnet von Christian Kunz und Marc Zeilhofer, dpa. 28.07.2011.

[5] www.dradio.de. Sendung Nachspiel. "Die Macht der Psychologie im Hochleistungssport". Von Ute Burtke und Margarete Wohlan. 13.06.2011.

3. August 2011