Schattenblick →INFOPOOL →SPORT → MEINUNGEN

KOMMENTAR/157: Elektronische Fußfessel für "Fußball-Rowdys" - Auftaktkampagne zur Massenanwendung (SB)




Der umstrittene Vorschlag von Generalbundesanwalt Harald Range (FDP), "notorische Hooligans, die als Rowdys bekannt sind", mit einer "elektronischen Fußfessel" zu versehen, ist unschwer als Versuch zu erkennen, anhand mißliebiger Personengruppen technisch innovative Formen der Freiheitsberaubung zu popularisieren, um Schritt für Schritt ihre Massenanwendung durchzusetzen.

In einem kürzlichen Interview mit der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung [1] hatte Range sein Bedauern ausgedrückt, daß die Polizei bislang nur die Möglichkeit habe, Platzverweise auszusprechen. "Aber die Kontrolle, ob diese Platzverweise von den Verdächtigen wirklich eingehalten werden, ist in der Praxis oft nicht gegeben", meinte Range. Mit einer elektronischen Fußfessel könnte sichergestellt werden, daß polizeibekannte Gewalttäter die Stadien nicht betreten. Um diesen Schritt durchzuführen, sei eine Erweiterung des Polizeirechts nötig. Auch Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich befürwortet die elektronische Fußfesseln für "notorische Hooligans". Der CSU-Politiker sagte im ZDF-"Morgenmagazin" (30.05.12), wenn eine Einigung mit der Justizministerin über die entsprechende Gesetzesänderung möglich wäre, sei er durchaus für eine solche Maßnahme.

Um schnelle Strafverfahren zu ermöglichen und Abschreckungserfolge zu erzielen, schlug Harald Range den Vereinen außerdem vor, mehr Wert auf die Sicherung von Beweisen zu legen, "etwa durch eine bessere Videoüberwachung. Die Randalierer müssen schnell und klar identifiziert werden". [1]

Während letzterer Vorschlag auf die Anwendung und Weiterentwicklung biometrischer Identifikationsmethoden (Stichwort: Gesichtsscanner) zur sozialen Unterdrückung und Zerschlagung der Initiative "Pyrotechnik legalisieren - Emotionen respektieren" abzielt, die von mehr als 150 Ultragruppierungen verschiedener Vereine sowie Wissenschaftlern, Anwälten, Journalisten und Fanbeauftragten in Deutschland unterstützt wird, läuft die elektronische Fußfessel für vermeintlich "gewaltbereite" Fans auf die gesellschaftliche Etablierung der neuen "Gemeinsamen Überwachungsstelle der Länder" (GÜL) hinaus, die Anfang des Jahres in Hessen ihren Betrieb aufgenommen hat. Das Bundesland hat bereits umfangreiche Erfahrungen im Fußfesselgebrauch im Rahmen der Bewährungshilfe und der Untersuchungshaft, insbesondere bei jugendlichen Straftätern, gesammelt.

Bei der zentralen Aufenthaltsüberwachungsstelle für Fußfesselträger handelt es sich nicht etwa um einen dystopischen Zukunftsentwurf á la Orwells "1984" oder Huxleys "Schöne neue Welt", sondern um die technische Realisierung flächendeckender Rund-um-die-Uhr-Überwachungsmaßnahmen zu präventiv-polizeilichen Zwecken. Hauptzielgruppe sind bislang als "gefährlich" eingestufte, aus der Haft oder der Sicherungsverwahrung entlassene Gewalt- und Sexualstraftäter. Im hessischen Städtchen Bad Vilbel nahe Frankfurt werden die Positionsdaten, welche die mit GPS-Sendern markierten Probanden aussenden, mit den ortsbezogenen Daten der durch gerichtliche Weisungen definierten Ge- und Verbotszonen abgeglichen. Kommt es zu Übertritten oder Verfehlungen, schlägt die GÜL Alarm und ergreift unterschiedliche Maßnahmen. Zu Gebotszonen können beispielsweise die eigene Wohnung, der Arbeitsplatz oder der Wohnort erklärt werden, zu Verbotszonen öffentliche Einrichtungen oder Gebiete wie Schulgebäude, Schwimmhallen, Sportstadien oder andere Plätze. Hessen unter Justizminister Jörg-Uwe Hahn (FDP) und Bayern unter Justizministerin Dr. Beate Merk (CSU) - letztere macht auch Werbung für eine strafrechtlich bewehrte Antidopinghatz in Deutschland - waren die ersten Länder, die im Mai 2011, zehn Jahre nach Beginn eines Pilotprojektes zum "elektronisch überwachten Hausarrest", einen Staatsvertrag zur Einrichtung der GÜL unterzeichneten. Die anderen Bundesländer schlossen sich Zug um Zug an, so daß der Modellversuch nun bundesweite Geltungsmacht erlangt hat. Auch "linke" Politiker wie Brandenburgs Justizminister Volkmar Schöneburg gaben kürzlich ihr Okay. "Mit elektronischen Fußfesseln lassen sich Straftaten sicherlich nicht in Größenordnungen vermeiden", schränkte Schöneburg allzu hohe Erwartungen ein. Doch sinnvoll sei die permanente Überwachung trotzdem. "Der Abschreckungseffekt eines hundertprozentigen Entdeckungsrisikos wird im Einzelfall eine Straftat vermeiden helfen." [2]

Nachdem letzte Dämme gebrochen sind und unter den Parteieliten offenbar der Konsens herrscht, daß die mobilen GPS-Fußfesseln ein zielführendes ("abschreckendes"), rechtsstaatlich unbedenkliches und die Menschenwürde nicht herabsetzendes Mittel zur Kriminalprävention sein können, scheinen die Voraussetzungen gegeben, den Trägerkreis sukzessive auszuweiten. Da die Peilsender auch mit Detektoren unterschiedlichster Art bestückt werden können, etwa zur Überprüfung von Alkohol- oder Drogenkonsum, und die Technologie ständig weiterentwickelt wird, sind zur Vorbeugung und Kontrolle unerwünschten Verhaltens prinzipiell alle Anwendungsbereiche denkbar. Profitabel arbeitende, den Staat von Kosten entlastende Sicherheits- und Gefängnisindustrien in Ländern wie Großbritannien oder den USA, wo Zehntausende von Menschen aus geringeren Anlässen als in Deutschland bereits mit elektronischen Fußfesseln auf Schritt und Tritt überwacht werden, geben den Takt vor.

Entsprechende Begehrlichkeiten waren auch hierzulande in den vergangenen Jahren geäußert worden. 2003 wollte der brandenburgische Innenminister Jörg Schönbohm (CDU) "extrem kriminelle Schulschwänzer" mit elektronischen Fußfesseln an die Penne ketten. 2005 sorgte der hessische Justizminister Christean Wagner (CDU) mit dem Vorschlag für Aufsehen, Langzeitarbeitslose und therapierte Suchtkranke mit Hilfe elektronischer Fußfesseln zu disziplinieren. Im gleichen Jahr brachte der niedersächsische Innenminister Uwe Schünemann (CDU) gebietsbezogene Fußfesseln für "gefährliche Islamisten", die nicht abgeschoben werden könnten (weil sie sich nichts haben zuschulden kommen lassen!), ins Gespräch und heizte damit die Ausländerfeindlichkeit an. 3000 Islamisten, die man nach Schünemanns Auffassung nicht "frei in Deutschland rumlaufen lassen" dürfe, sollten elektronisch verkarzert werden [3]. In immer kürzeren Abständen wiederholte Schünemann später seine Forderung. Jüngst begrüßte er auch Ranges Vorschlag einer Fußfesselüberwachung für "notorische Hooligans" - eine Begriffswahl, die übrigens vollkommen an der Problematik heutiger Fanszenen vorbeigeht, da der klassische "Hooliganismus" in Deutschland nur noch ein unbedeutendes Randphänomen darstellt, wie Fanexperten betonen. Dies könnte sich aber aufgrund der harten Law-and-Order-Politik der Innenminister, die das volle Beweissicherungs- und Strafverfolgungsprogramm u.a. gegen Bengalos zündende "Krawallfans" fordern, bald wieder ändern. Nicht ausgeschlossen, daß dies sogar in der Absicht tonangebender Unionspolitiker liegt, um daraus sicherheitspolitisches Kapital schlagen zu können.

Auch zum "Schutz des sauberen Sports" wurde eine elektronische Fußfessel zur lückenlosen Aufenthaltskontrolle für Athleten gefordert. 2007 sprach sich der frühere Weltklasseläufer Dr. Franz Josef Kemper (SPD), einstmals Abteilungsleiter Sport im rheinland-pfälzischen Innenministerium, für eine 24stündige GPS-Erreichbarkeit von Sportlern aus: "Ich bin sicher, in fünf Jahren sind wir soweit." [4] Spitzenathleten, die sich in einer Art Fußfesselsystem der Welt-Anti-Doping-Agentur namens ADAMS (onlinegesteuertes Meldesystem) befinden und faktisch wie Straftäter unter Hausarrest behandelt werden, signalisierten bereits ihre Zustimmung für eine GPS-Ortung, um sich aufwendige Meldeprozeduren zu ersparen. Aus Athletenkreisen wurden zudem Vorschläge laut, sich Computerchips unter die Haut pflanzen zu lassen, damit die Dopingkontrolleure jederzeit wissen, wo sie erreichbar sind. "Es klingt zwar brutal, aber es scheint mir eine gute Lösung zu sein, um falsche Verdächtigungen zu vermeiden. Ohne Chip gibt es keine hundertprozentige Sicherheit", so der schwedische Leichtathletik-Star Stefan Holm kurz vor den Olympischen Spielen in China [5].

Die Argumentation des Vorzeigesportlers dürfte jedem Sicherheitspolitiker das Herz höher schlagen lassen. Nicht Generalverdacht, Präjudiz oder die Aufhebung der Unschuldsvermutung ist die Sorge präventiver Überwachung und permanenter Bewegungskontrolle unterworfener Menschen, sondern die "falsche Verdächtigung" - was die "richtige" Verdächtigung und den staatlichen Übergriff zweifellos voraussetzt. Der alles und jeden unter Verdacht stellende Präventions- und Sicherheitsstaat, der die Menschen mit Hilfe der vorverurteilenden Administrativsprache für "gefährdet", "gefährlich" oder "gewaltbereit" erklärt, obwohl sie sich keines direkten Tatvergehens schuldig gemacht haben, hebelt die Freiheitsrechte des Bürgers systematisch aus. In den Augen der kriminalistischen Hardliner erscheint jeder Mensch als "potentieller" Delinquent, der seine Unschuld dadurch zu beweisen hat, daß er sich polizeipflichtig macht und gemäß den Auflagen einordnet und diszipliniert. Die Selbstdisziplinierung wird von den Betroffenen nicht als gewaltsamer Akt administrativer Fremdbestimmung und grundrechtseinschränkender Gängelung zurückgewiesen, sondern wie im Sport als Freiheit, sich im Rahmen des Leistungsregimes und seiner Regeln und Gebote bewegen zu dürfen, empfunden. Die "weiche" Repression hat sich für postmoderne Gesellschaften als die effektivere Methode der Herrschaftssicherung erwiesen.

Unterdessen hat die "Arbeitsgemeinschaft Fananwälte" die Forderung von Generalbundesanwalt Harald Range, im Zusammenhang mit Fußballspielen zur Abwehr von Störungen elektronische Fußfesseln zu nutzen, als unverhältnismäßig kritisiert. Die Rechtsanwälte halten ein solches Ansinnen für "verfassungswidrig" und weisen darauf hin, daß die elektronische Fesselung eines vermeintlichen Störers "dessen Menschenwürde erheblich verletzen" würde. Nach Ansicht der AG Fananwälte gebe es "selbst bei den rechtsstaatlich bedenklichen privaten Stadionverboten" bisher "keine nennenswerten Schwierigkeiten bei deren Einhaltung". Den Polizeibehörden stünden schon jetzt "ausreichend grundrechtseinschränkende Maßnahmen zur Verfügung, die in der Vergangenheit bereits inflationär gegen vermeintliche 'Fußball-Störer' zur Anwendung kamen", heißt es in einem offenen Brief an Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP). Die Juristen vermuten daher, daß Range öffentliche Debatten in den vergangenen Monaten über die vermeintliche Zunahme von "Fußballgewalt" zum Anlaß nimmt, "das Portfolio freiheitsbeschränkender polizeilich-präventivlicher Maßnahmen insgesamt zu erweitern". [6]

Was in Hessen vor etwa zehn Jahren seinen Anfang nahm und im Rahmen von Bewährungshilfe und U-Haft an ausgewählten Straftätern erprobt wurde, könnte nun auf weitere Bevölkerungsteile ausgedehnt werden. Berichte aus Großbritannien, wo elektronische Fußfesseln nicht nur bei Kleinkriminellen, Wiederholungstätern, Terrorismus-Verdächtigen oder Sexualstraftätern, sondern auch bei polizeiauffälligen Jugendlichen zwischen zehn und 17 Jahren zur Anwendung kommen, weisen den Weg. Dank der "Gemeinsamen Überwachungsstelle der Länder" in Bad Vilbel sind nun auch die technischen Voraussetzungen für eine flächendeckende Aufenthaltskontrolle querulanter Bevölkerungskreise keine Zukunftsmusik mehr. Auch die immer weiter auseinanderklaffende Armutsschere in Deutschland kann kriminaltechnisch auf den neusten Stand gebracht werden. Im Oktober 2010 startete Baden-Württemberg als erstes Bundesland einen Modellversuch zum Einsatz elektronischer Fußfesseln im Strafvollzug. Darin eingeschlossen waren auch zu einer Geldstrafe verurteilte zahlungsunfähige Menschen. Statt Haft durften sie "freiwillig" Fußfesseln tragen. Nach Ansicht von Ex-Justizminister Ulrich Goll (FDP) "ein enormer Gewinn für den Justizvollzug und die Betroffenen" [7], weil ersterer Kosten spart und letztere nicht aus ihren gewohnten sozialen Bindungen (Arbeitsplatz- und Wohnungsverlust) gerissen werden müssen. Schöne neue arme Fußfesselwelt.

Anmerkungen:

[1] Hannoversche Allgemeine Zeitung vom 25.05.2012. Interview mit Generalbundesanwalt Harald Range.

[2] http://www.morgenpost.de/brandenburg-aktuell/article106273536/Brandenburg-fuehrt-elektronische-Fussfessel-fuer-Straftaeter-ein.html. 3.6.2012.

[3] Radiointerview bei NDR-Info am 28.12.2005.

[4] Deutschlandfunk. Sportgespräch. 21.1.2007. Podiumsdiskussion zur aktuellen Doping-Problematik im Olympiamuseum in Köln.

[5] http://www.woz.ch/0833/doping/wer-nein-sagt-ist-ein-suender. 3.6.2012.

[6] http://www.fananwaelte.de/Aktuelles/1,000000795489,8,1. 3.6.2012.

[7] http://www.landgericht-konstanz.de/servlet/PB/menu/1259833/index.html?ROOT=1153239&ARCHIV=1153564. 3.6.2012.

4. Juni 2012