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KOMMENTAR/168: Behinderten-Sportförderung - Neue Horizonte für Bundeswehrinvaliden (SB)




Viele Bürgerinnen und Bürgern erfüllt die Umwandlung der Bundeswehr von der Verteidigungsarmee zur weltweit operierenden "Armee im Einsatz" mit großer Sorge. Kein Sozial- oder Kulturträger scheint mehr sicher vor den Werbe- und Rekrutierungskampagnen der Bundeswehr zu sein. Jugendoffiziere besuchen Schulen, Hochschulen und Universitäten, um Heranwachsende an militärische Konfliktlösungsstrategien zu gewöhnen und ihnen die "Sicherheits- und Verteidigungspolitik" der Bundesregierung plausibel zu machen. Alarmierte Schüler, Studenten, Eltern oder Lehrer beginnen sich zwar gegen die Kooperationsverträge zwischen Bundeswehr und Landesregierungen zu wehren, doch die Massivität, mit der das Verteidigungsministerium auf allen Medienkanälen seine Kampagnen zur Militarisierung der Gesellschaft vorantreibt, dürfte nicht ohne Wirkung bleiben. Jüngstes Beispiel ist die Zusammenarbeit der Bundeswehr mit der in Deutschland wohl bekanntesten Jugendzeitschrift Bravo und deren Ableger Bravo Sport. Mit dem Slogan "Action, Adrenalin und Abenteuer - Die Herausforderung deines Lebens wartet auf dich!" wurde sowohl in den Magazinen als auch auf deren Internetseiten für die sogenannten Bw-Adventure-Camps geworben - ein kostenloses Bundeswehr-Jugendcamp bei der Luftwaffe auf Sardinien und bei den Gebirgsjägern in den bayerischen Alpen. Zum Lockangebot gehörten "krasse Wasserwettkämpfe", "crazy Strandspiele" und "coole Beachpartys".

Überall dort, wo es jugendliche Zielgruppen gibt, die für die neue Berufs- und Freiwilligenarmee von Interesse sind, werden ähnliche Veranstaltungen oder Kooperationen durchgeführt. Musik-, Freizeit-, Benefiz- und Sportevents sind bevorzugte Anlässe, auf denen die Bundeswehr auf "Jugendfang" geht. Die Bundeswehr setzt sogar ihre Big Band ein, um auf Wohltätigkeitsveranstaltungen Gelder für die Special Olympics, eine Sportveranstaltung für Menschen mit geistiger und mehrfacher Behinderung, zu akquirieren und sich den Anschein eines karitativen Sozialwerks zu geben.

Überhaupt scheint der Behindertensport nicht nur in Deutschland eine immer bedeutendere Rolle in den Plänen der kriegführenden Nationen zu spielen. So treten bei den Paralympischen Spielen, die ihren Ursprung im Sport für Kriegsversehrte haben, zunehmend mehr ehemalige Soldaten auf, die sich bei militärischen Einsätzen schwerste Verletzungen oder Verstümmelungen zugezogen haben. Hier bedienen sich die Armeen des zivilgesellschaftlich zu begrüßenden Umstandes, daß Sportangebote kranken, verwundeten oder invaliden Menschen bei der physischen und mentalen Rehabilitation helfen können, ohne den zweischneidigen Charakter militärischer Fürsorgestrategien, die auch fremdnützige Kriegsziele verfolgen, komplett offenlegen zu müssen.

Vor dem Hintergrund, daß die Bundeswehr jedes Jahr Zehntausende neuer Rekruten benötigt, die bereit sind, Gesundheit und Leben zu riskieren, schrieb die Süddeutsche Zeitung kürzlich: "Seit die Bundeswehr in den neunziger Jahren damit begann, sich an UN- oder Nato-Missionen in den jugoslawischen Nachfolgestaaten auf dem Balkan, später in Afghanistan oder an anderen Einsatzorten zu beteiligen, müssen auch deutsche Soldaten damit rechnen, im Einsatz getötet oder verletzt zu werden oder mit einer posttraumatischen Belastungsstörung wieder in die Heimat zurückzukehren." [1]

Wie ist es in Anbetracht dieser düsteren Prognose zu verstehen, daß Bundesverteidigungsminister Thomas de Maizière am 8. Oktober bei einem Empfang im Berliner Bendlerblock, auf dem rund 120 Sportsoldaten geehrt wurden, die 2012 an den Olympischen Spielen, der Biathlon-Weltmeisterschaft und der Leichtathletik-Europameisterschaft teilgenommen haben, die Gründung einer eigenen Sportfördergruppe für Behinderte bei der Bundeswehr in Aussicht stellte? Als "großen Traum" von ihm bezeichnete der CDU-Politiker, "dass ein oder zwei verwundete Soldaten dabei sein können, die etwas für sich und für uns erreichen". Leicht abweichend vom Online-Bericht des Verteidigungsministeriums [2] zitiert die Deutsche Presse-Agentur (dpa) den Minister mit den Worten: "Meine große Hoffnung ist, dass einer oder zwei einer solchen Gruppe verwundete Soldaten von uns sind." [3]

Offensichtlich will der Verteidigungsminister gleich mehrere Fliegen mit einer Klappe schlagen. Nicht nur olympische, sondern auch paralympische Elitesportler sollen Medaillen für Deutschland gewinnen - um so besser, wenn sie im Sold der Bundeswehr stehen und noch dazu unsere eigenen verwundeten Sportsoldaten sind. Das stärkt nicht nur Deutschlands Ansehen in der Welt, sondern schafft auch noch die gewünschte Integration und Identifikation nach innen. Denn, so der unausgesprochene Subtext der kameradschaftlichen Behindertensportförderung, die Truppe kümmert sich um ihre Verwundeten und läßt sie nicht im Stich. Wenn Soldaten, die ihren Opfermut im Kriegseinsatz bewiesen haben, dann auch noch ihre Tauglichkeit mit guten Leistungen in den Sportarenen demonstrieren, können alle stolz sein: Die Sportfunktionäre auf ihre erfolgreiche Verbandsarbeit, die Nation auf ihre heldenhaften Medaillenlieferanten, das Verteidigungsministerium auf seine ruhmreichen Kriegsversehrten.

Da die Spitzensportförderung sowohl für die "nationale Repräsentanz Deutschlands" als auch "für den Ruf der Bundeswehr nach innen und außen" wichtig sei, wie Thomas de Maizière in einem Interview [4] unlängst erklärte, habe er sich "im Rahmen der Neuausrichtung" der Bundeswehr dafür entschieden, das Niveau der bisherigen Förderung mit rund 750 Stellen für Sportsoldaten beizubehalten. Das Motto "Klotzen und nicht kleckern" hat der Verteidigungsminister dabei zur Handlungsmaxime erhoben: "Wenn wir das schon unterstützen mit Mensch und Material, dann soll auch was raus kommen. Deswegen fordern wir auch Leistung und auch Medaillen."

Anläßlich der Ehrung in Berlin erklärte der Minister gegenüber den rund 120 Sportsoldaten in Uniform: "Wir wollen etwas für Sie tun, aber Sie sollen auch etwas für Deutschland tun." Wie das Verteidigungsministerium auf seiner Website berichtet, könnte das Image der Bundeswehr, ein Patriotismusgefühl sowie ein unverkrampfter Leistungsbegriff durch die Bundeswehrathleten gefördert werden. In diesem Zusammenhang äußerte de Maizière die Bitte: "Bekennen Sie sich zur Bundeswehr." [2]

Die Position des Verteidigungsministers, der davor warnt, daß wir mit dem Wegfall der Bundeswehrsportförderung "die Hälfte der Medaillen verlieren" würden, wird nicht nur von den auf Edelmetallgewinne und Höchstleistungen abonnierten Sportfachverbänden und der Dachorganisation DOSB geteilt, sondern auch von allen Bundestagsparteien, die die staatliche Spitzensportförderung unterstützen. Das gilt auch für Die Linke, die sich als glaubwürdige Antikriegspartei zu profilieren sucht, sich aber vor einer klaren Stellungnahme gegen die Bundeswehrsportförderung als Relikt des Kalten Krieges sowie Werbemittel für die neuen Weltordnungskriege drückt. Obwohl die Medien voll mit Aussagen von Verantwortungsträgern sind, die keinen Zweifel daran lassen, daß die Bundeswehr den Sport als Marketing- und Mobilisierungsmittel für ihre weit über die reine Landesverteidigung hinausweisenden Ziele einsetzt, mißt die Linke hier mit zweierlei Maß. Einerseits verurteilen linke Bundes- und Landespolitiker mit scharfer Zunge, daß Schulen immer stärker als Rekrutierungsstätten mißbraucht werden und die Streitkräfte immer aggressiver um "Kanonenfutter" unter Jugendlichen werben, doch wenn es um den gleichen Mißbrauch in den Turnhallen und Wettkampfstätten sowie auf Klein- oder Großevents des Sports geht, beherrscht windelweiche Bedenkenträgerei das Feld der Auseinandersetzung um die deutsche Spitzensportförderung. Mit anderen Worten, die laue Sportpolitik der Linken, die sich kaum bis gar nicht von den etablierten Kriegsparteien unterscheidet, fällt der Friedenspartei auf die Füße eben jenes parlamentarischen Lobbyistenbetriebes, der den symbol- und prestigeträchtigen Sport immer ungeschminkter auch als Akzeptanzmittel für Kriegseinsätze instrumentalisiert. Sollte sich Die Linke nicht zu einer klaren Stellungnahme gegen die olympische und paralympische Bundeswehrsportförderung durchringen, läuft sie über kurz oder lang Gefahr, unter den "Wir für Deutschland"-Fahnen von Sport und Militär als reine Mitläuferpartei wahrgenommen zu werden.

Fußnoten:

[1] Bundeswehr auf Jugendfang. Von Barbara Galaktionow. 25.09.2012
http://www.sueddeutsche.de/politik/abenteuer-camps-und-schulbesuche-bundeswehr-auf-jugendfang-1.1472365

[2] "Ehrung im Ministerium: Uniform statt Sportlerdress." Berlin, 09.10.2012.
http://www.bmvg.de/portal/a/bmvg/!ut/p/c4/NYyxEoIwEES_hQ8wF6jQTqSxtYHYHSETzyEJcx7Q-PEmhbszW-ybXXhCdsSdPAqliAuMYCxdpkNNYffqnTbOrQoU6SOOaQswlM3slE3RSUlxUSinZ5TEak0sSyEbcyaKZjC67jtd67_qb2uG83hrdNPfu0c5XBl9QDAxnSzal4M1hPa4VtUPkJIksQ!!/

[3] "Olympia - Bundeswehr: De Maizière: Bundeswehr soll behinderte Sportler fördern." dpa, 08.10.2012.
http://newsticker.sueddeutsche.de/list/id/1370449

[4] "Minister bei Olympia - Interview zur Sportförderung der Bundeswehr." Berlin, 03.08.2012, aktuell. Zeitung für die Bundeswehr.
http://www.bmvg.de/portal/a/bmvg/!ut/p/c4/NYy9DoJAEISfhQfwFhpFOwiNLdEgdstxOddwP1kXaHx47wpnkinmyww8IdnjRhaFgscFHjBquky7mtxm1TusnFrlyNNHDNPqYMib2SgdvJGcYrxQSssogVUMLEsmK3MiimYYy6pry6r8q_rWw625H-vzqbu2fT6MjNYhjD4cNOqXgehcvTdF8QNzWoZg/

14. Oktober 2012