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KOMMENTAR/177: Fußball, Filz und Repressionen (SB)




Allmählich wird es auffällig: Immer dann, wenn es für die räuberischen Global Player des organisierten Sports so eng wird, daß das wirtschaftliche und politische Herrschaftsinteressen verbindende Monopolsystem des Leistungs- und Wettkampfsports insgesamt ins Wanken gerät, wird zur Entlastung einzelner Spitzenverbände oder -organisationen eine Bezichtigungsschiene hochgefahren, die die vermeintlich "integere" Welt des durchkapitalisierten Sportes wieder in die Bewahrer, Hüter und Retter auf der einen Seite und die Manipulateure, Betrüger und Verbrecher auf der anderen unterteilt. Daß es den Profiteuren des Sports gelingt, zum Schutz ihrer Geschäftsinteressen auch scheinbar unzweifelhafte administrative, polizeiliche und juristische Mittel, Strukturen oder Personen für sich einzuspannen, kann nur dann erstaunen, wenn man die "unabhängigen" Ermittlungs- und Strafverfolgungsbehörden in einem antagonistischen und nicht in einem komplementären oder gar komplizenhaften Verhältnis zum sportindustriellen Komplex denkt.

Nun also Wettmanipulation und Spielabsprachen. Am 4. Februar verkündete die europäische Polizeibehörde Europol, den "größten Skandal der Fußball-Geschichte" aufgedeckt zu haben. Europol-Chef Rob Wainwright sprach auf einer Pressekonferenz in Den Haag von Manipulationen "auf einem nie dagewesenen Niveau". Den Angaben zufolge sollen mindestens 380 Fußballspiele bis in die Amateurligen hinein in 15 europäischen Ländern manipuliert worden sein. In rund 300 weiteren verdächtigen Fällen laufen die Ermittlungen noch. Um zu der Zahl von mindestens 680 manipulierten Spielen in den Jahren 2008 bis 2011 zu kommen, soll Europol 13.000 private E-Mails sowie Papierdokumente, Telefonaufzeichnungen und Computerdaten analysiert haben. 425 Verdächtige wurden identifiziert, 50 Personen verhaftet und 80 Haftbefehle ausgestellt, so Wainwright. Viele der Wettmanipulationen in unterschiedlichen Ländern würden von einem zentralen Kartell aus Asien gesteuert, von einer organisierten Wettmafia in Singapur. Außerdem ist die Rede davon, daß die Frühwarnsysteme (Sportradar/Early Warning System), die der internationale Fußballverband Fifa und der europäische Fußballverband Uefa für viel Geld installiert haben, versagt hätten.

Bessere Schlagzeilen für den Dummenfang hätte sich der in einer Dauerkrise steckende Weltfußball gar nicht wünschen können. Eben war das milliardenschwere Fußballgeschäft selbst noch als "mafiöses System" verspottet worden, da springen den wegen zahlreicher Korruptionsaffären schwer unter Beschuß stehenden Präsidenten Joseph S. Blatter (Fifa) und Michel Platini (Uefa) die Europol-Experten zur Seite und erklären der Welt, daß der Fußball, insbesondere im Zusammenhang mit dem Boom von legalen und illegalen Sportwetten im Internet, von der organisierten Kriminalität bedroht sei. Wie schockierend, wie "beängstigend" (Oliver Bierhoff)! Der schöne Sport, der uns Werte wie Fairneß, Chancengleichheit und Respekt vermittele, sei in seinen Grundfesten erschüttert, heult die ehrenwerte Sportfamilie einmal mehr Rotz und Wasser. DOSB-Präsident Thomas Bach forderte für die mutmaßlichen Täter drastische Strafen zur Abschreckung. Andere Sportfunktionäre verlangten, die Kooperation zwischen den Strafverfolgungsbehörden und den Sportorganisationen zu verstärken. Nicht zu vergessen Bayerns Justizministerin Beate Merk (CSU), die jeden Skandal nutzt, um unter dem Beifall grün-roter Biedermänner Werbung für einen eigenständigen Straftatbestand "Sportbetrug" zu machen, ohne die gesellschaftlichen Auswirkungen einer durch Sportregelbrüche ausgelösten Verbrecherjagd in vollem Umfang darzulegen.

Kennen wir das alles nicht? Als die Fifa im Mai 2011 wegen diverser Korruptionsfälle und des bis heute nicht vollständig aufgeklärten Schmiergeldskandals um die ehemalige Sportmarketingfirma ISL/ISMM ("größter Bestechungsskandal der Sportgeschichte"), in den zahlreiche Spitzenfunktionäre aus aller Welt verwickelt sein sollen, ihre schwerste Krise erlebte und zu implodieren drohte, da waren es die Interpol-Leute, die der Fifa im Vorwege der sich anbahnenden Katastrophe zur Hilfe geeilt waren. Kurz vor dem berüchtigten Wahlkongreß in Zürich ließ die Fifa Interpol die höchste Spende zukommen, "die die internationale Polizeiorganisation je von einer privaten Institution erhalten hat", wie der Weltverband auf seiner Website posaunte (de.fifa.com, 09.05.2011). Blatter und Interpol-Generalsekretär Ronald K. Noble legten gemeinsam einen perfekten PR-Auftritt hin. Die nach Fifa-Angaben "wegweisende Unterstützung", für die der Weltverband 20 Millionen Euro in den nächsten zehn Jahren hinblättert, war weniger gegen Korruption in den eigenen Reihen gerichtet, als vielmehr gegen "illegale und irreguläre Wetten sowie Spielabsprachen, deren Ausmaß die jüngsten Manipulationsvorwürfe und die Beteiligung asiatischer Wettsyndikate bei Spielmanipulationen auf der gesamten Welt deutlich gemacht haben" (ebd.).

Selbst von gutbürgerlichen Sportjournalisten, die an die Unabhängigkeit staatlicher Ermittlungsbehörden glauben, sonst würden sie ja nicht ständig nach dem starken Staat mit all seinen übergreifenden Fahndungsinstrumenten rufen, war die Partnerschaft von Interpol und Fifa kritisiert worden. Das sei so, "wie wenn der Schmuggler den Zöllner sponsert", monierte sogar ein Politiker aus der Schweiz, dem Steuerparadies der internationalen Sportdachverbände und -organisationen. Daß nach Erkenntnissen von Menschenrechtsorganisationen [1] in 111 der 188 Staaten, die bei Interpol vereint sind, Menschenrechtsverletzungen begangen werden, teilweise auf Anordnung oder Billigung der Staaten, oder daß die Polizeivertreter, die zum Teil aus Folterländern stammen, gemeinsame Seminare, Fortbildungsveranstaltungen oder Jahrestreffen begehen, scheint indessen kein Thema für die Sportnachrichten zu sein. Daß in der superreichen Golfdiktatur Katar 2010 die 79. Interpol-Generalversammlung stattfand, just in dem Land, an das die Fifa unter zweifelhaften Umständen die Fußball-WM 2022 verkauft hatte, sind natürlich vollkommen voneinander unabhängige Ereignisse. Zufall sicherlich auch, daß 2010 in Katar das "International Centre for Sport Security" (ICSS) gegründet wurde. In der privaten "Non-Profit-Organisation" tummeln sich zahlreiche Polizisten, Kriminalisten und Geheimdienstler, unter anderem Interpol-Direktor Khoo Boon Hui (Singapur) und der ehemalige BKA-Abteilungsleiter Helmut Spahn (Deutschland). Fast alle bedeutenden Sportevents der nächsten zehn Jahre werden von der ICSS betreut [2]. Ob der von Katar finanzierte "Sicherheitsdienstleister", der auf seinen Veranstaltungen regelmäßig hochkarätige Sportfunktionäre, Wirtschaftslobbyisten und Polizeiexperten zusammenbringt, angeblich "zur Förderung der Schaffung von Sicherheits-Netzwerken im Sport und zur Vermittlung von Denkanstößen" [3], auch den eigenen Brötchengeber "absichert"?

Katar hat sich längst zu einer zentralen Drehscheibe für alle möglichen Geschäfte entwickelt. Das öl- und erdgasreiche Emirat finanziert nicht nur Kriege im Nahen Osten, sondern auch zahlreiche Sportevents, -organisationen und -institutionen. Nicht von ungefähr hielt gerade erst die Europäische Club-Vereinigung (ECA) ihre Vollversammlung in Katar ab. Dort diktierte Bayern Münchens Vorstandschef Karl-Heinz Rummenigge den Reportern in die Blöcke, daß Katar ein fantastischer WM-Ausrichter sei. Selbstverständlich forderte der Bayern-Boß auch eine "lückenlose" Aufklärung des jüngsten Wettskandals und plädierte zugleich für eine "harte Bestrafung" überführter Betrüger. Es gehe um die Glaubwürdigkeit des Fußballs, so Rummenigge.

Sein früherer Gegenspieler im Nationaltrikot, UEFA-Präsident Michel Platini, sieht sich zur Zeit mit dem Vorwurf konfrontiert, nebst einigen Fifa-Exekutivmitgliedern in die sogenannte Qatargate verwickelt zu sein. Das berichtete das französische Fachmagazin "France Football". Demnach soll Platini wenige Tage vor dem Votum der Fifa-Exekutive über den Austragungsort der WM 2022 noch einmal seine Meinung geändert haben, nachdem er ursprünglich für die USA stimmen wollte. Ausschlag für seine Stimmenabgabe pro Scheichtum soll ein Abendessen beim französischen Staatspräsidenten Nicolas Sarkozy mit ihm und Wirtschaftsvertretern aus Katar und Frankreich gewesen sein, bei dem auch einige lukrative Win-Win-Geschäfte eingefädelt worden sein sollen. Der marode Großstadtklub Paris St.-Germain ist mit Hilfe katarischer Petrodollar inzwischen zu einem der wohlhabensten Profiklubs Europas aufgestiegen. Ebenso interessant ist, daß Platinis Sohn Laurent nur wenige Wochen nach der Katarentscheidung Europachef der Firma "Qatar Sports Investment" wurde, Besitzerin von Paris St.-Germain.

Die profitgetriebenen Interessensverflechtungen von Staat und Kapital sind so gewaltig, daß die herkömmlichen Unterscheidungen zwischen "Schmuggler und Zöllner" oder "Räuber und Gendarm" kaum mehr als zur Volksbelustigung taugen. Trotzdem will dieses Schauspiel zur Entlastung des internationalen Sport-Business aufgeführt sein. Dank Europol wissen wir nun, wo die wirklichen Gauner stecken - in Asien, aber eigentlich überall, denn das Wettgeschäft, legal wie illegal betrieben, ist seit alters her so fest mit dem Wett-Kampf-Sport verbunden wie das sogenannte Doping. Sportler wetten, Fans wetten, Zuschauer wetten, Vereinsmitglieder wetten, Funktionäre wetten - um so mehr, als die Möglichkeiten durch die Internetangebote nochmals um ein Vielfaches gestiegen sind. Was hier an Regulierung, Überwachung und Repression nötig wäre, um den illegalen "Wettsumpf" trockenzulegen, um es in Anlehnung an den irren Antidopingkampf zu sagen, sprengt alle Vorstellungen. Allein, um Insiderwissen von Fußballspielern aufzuspüren, das diese wettbewerbsverzerrend an andere Personen, die darauf Wetten plazieren, weitergegeben haben könnten, müßten nicht nur alle E-Mails, Papierdokumente, Telefonaufzeichnungen oder Computerdaten der Spieler (heimlich) durchforstet, sondern sämtliche Alltagsgespräche belauscht werden. Nur so kann man die Kontrollücken effektiv schließen und den Kriminellen das Handwerk legen. Gespräche sind schließlich keine rechtsfreien Räume - so die sattsam bekannte Logik dahinter, die in Abstufungen durchaus verfängt. Denn viele, die so gerne im Märchenwald des fairen und sauberen Sports flanieren möchten, sind nur allzu schnell bereit, die Progressionsformel "Profisport = Geschäft = harte gesetzliche Regelungen und Kontrollen" aufzumachen, um besagte Mär am Leben zu erhalten.

Wer die Argumentations- und Legitimationsmuster des freiheitsberaubenden Antidopingkampfes kennt und weiß, wie sich auf diesem lukrativen Profilierungsfeld unterschiedlichster Berufsstände ein Opportunismus an den andern reiht, den erfüllt nicht die Meldung vom "größten Wettskandal der Fußballgeschichte" mit Grauen, sondern das, was an sozialrepressiver Regulation zur Stabilisierung der krisenhaften Wettbewerbsgesellschaft daraus folgen wird. Da beruhigt auch nicht, daß die ach so aufmerksamen Medienvertreter den Europol-Fahndern nach der spektakulären Pressekonferenz in Den Haag vorwarfen, sie hätten eine Werkschau ihrer Ermittlungen betrieben und 380 altbekannte Fälle hinzuaddiert, um auf die künstlich aufgemotzte Zahl von 680 manipulierten Spielen zu kommen. Der Horror ist viel unaussprechlicher: Die "Weltregierungen des Sports", in Wirklichkeit reine Wirtschaftsunternehmen und sportpolitische Türöffner auch für außersportliche Milliarden-Geschäfte, werden in ihren marktüblichen Machenschaften von den wie bestellt wirkenden, oftmals sogar bezahlten Polizeien und Sicherheitsexperten auf nahezu unangreifbare Weise geschützt. Erst in dieser Lesart ergeben die "Kooperationen" von Strafverfolgungsbehörden und Sportorganisationen einen Sinn.

Fußnoten:

[1] Siehe Antwort der Bundesregierung (Drucksache 17/6172) auf Kleine Anfrage von Bündnis 90/Die Grünen
http://dipbt.bundestag.de/dip21/btd/17/061/1706172.pdf

[2] Siehe auch SCHATTENBLICK/SPORT/MEINUNGEN/KOMMENTAR/153: Golfdiktatur Katar dient sich als Weltpolizist des Sports an

[3] Pressemitteilung ICSS021/12. 15.03.2012.
www.theicss.org/wp-content/uploads/2012/03/ICSS021.12-The-ICSS-signs-MOU-with-Germanys-IfF-FINAL-German.pdf

17. Februar 2013