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KOMMENTAR/216: Knochenmühle und Gewinne ... (SB)


Material und Ware - Moderner Menschenhandel im Fußballgeschäft



Es soll vorkommen, daß Fußballspieler auch sagen, was sie denken: Kein Berater, der sie rechtzeitig zurückpfeift; kein Medientrainer, der ihre Sprache markt- und öffentlichkeitskonform blankpoliert hat; kein (in-)offizieller Maulkorb, die ihnen das Reden über Internas verbietet. Um sich die Zunge im repressiven Hochleistungssport zu verbrennen, bedarf es nicht viel. Das mußte auch Christoph Kramer erfahren. In einem Interview mit dem "Spiegel" hatte der Fußball-Weltmeister erklärt, trotz seines am Saisonende auslaufenden Leihvertrags nicht automatisch zu Bayer Leverkusen zurückkehren, sondern selbst über seine Zukunft bestimmen zu wollen. Zur Absicht von Leverkusens Sportchef Rudi Völler, Kramer in einem Jahr von Mönchengladbach nach Leverkusen zurückzuholen, meinte der 23jährige: "Wenn ich irgendwo nicht spielen möchte, dann spiele ich dort nicht. Das versichere ich Ihnen. Da kann ein Vertrag aussehen, wie er will." Ganz generell fühle er sich im Fußballgeschäft "manchmal wie in einem modernen Menschenhandel. Doch am Ende entscheide immer noch ich". [1]

"Moderner Menschenhandel" im weltmeisterlichen Fußballgewerbe? Unmöglich, wo doch die wirtschaftlich prosperierende Bundesliga Vorbildgeber für die Jugend und die ganze Welt ist! Noch ehe die Gewitterwolken richtig aufziehen konnten, ruderte der Mittelfeldspieler auch schon wieder zurück: "Ich entschuldige mich dafür. Der Profifußball hat mit Menschenhandel wirklich gar nichts zu tun. Ich bin sogar unheimlich dankbar für dieses Leben", so der Jungstar in der "Bild"-Zeitung. [2] Offenbar an einem wunden Punkt getroffen, bekräftigten praktisch alle Funktionsträger des Profifußballs, daß man die Sache nicht überbewerten dürfe und der junge Mensch mit seiner Kritik wohl über das Ziel hinausgeschossen sei. "Es gibt ja Menschenhandel auf der Welt. Der hat aber einen anderen Touch, wie's Chris gemeint hat", versicherte auch Max Eberl, Sportdirektor von Mönchengladbach. Das sei dem Chris, der ja ein sehr intelligenter Junge sei, wohl nur herausgeplatzt nach dem Motto: "Ich will aber sagen, was passiert." [1]

Ein intelligenter Junge, der so unbedacht war, Klartext zu reden? Oder eher ein Lizenzspieler, der nicht weiß, wer ihm "dieses Leben" finanziert und wem er es zu danken hat? Laut Rudi Völler soll der Junge genau das machen, "was er schon während der WM, aber auch schon im letzten Jahr in Gladbach gemacht hat: Einfach wieder richtig gut Fußball zu spielen". [1]

Mit anderen Worten: Der wie eine Ware auf dem Transfermarkt gehandelte und taxierte Lizenzspieler soll gefälligst seiner Funktion gerecht werden und wie ein Weltmeister spielen. Und natürlich die Verträge einhalten. Das findet auch Gregor Reiter, Geschäftsführer der Deutschen Fußballspieler-Vermittler Vereinigung (DFVV), der die "plakativen Aussagen" Kramers mit "jugendlichem Leichtsinn" erklärte und sein Bedauern darüber ausdrückte, daß der Berater des Spielers seiner Aufgabe nicht gerecht geworden wäre, "ihn ein bisschen zurückzupfeifen". Und überhaupt: "Auch für Christoph Kramer gilt das, was für alle anderen Menschen in diesem Land gilt: pacta sunt servanda - Verträge sind einzuhalten." An Kramer gewandt: "Und wenn er einen bis 2017 gültigen Vertrag bei Bayer Leverkusen hat, den er sicher nicht unter Zwang unterschrieben hat, dann wird er da spielen müssen, wenn Bayer das möchte." [3]

Im kapitalistischen System wie auch im Profifußball ist der Mensch zur Ware verkommen, die gekauft und verkauft, gebraucht und getauscht werden kann. Die Sportindustrie macht Spieler/Sportler zu Schauobjekten, ihre Körper zu Waren und zu Produkten der Unterhaltung. Die Verdinglichung des Spielers/Sportlers und sein Funktionieren werden als normale "Arbeitsleistungen" verstanden. Fragen der sozialen Emanzipation oder körperlichen Befreiung tendieren im Wettkampf- und Hochleistungssport, der nur in einem engen Regel- und Reglementierungskorsett betrieben werden kann, gegen null.

Die "Selbstbestimmung", auf die der angehende Fußballmillionär Kramer insistiert, besteht nicht darin, sich dem Verwertungsregime entziehen zu können, sondern allein in der vermeintlich freien Wahl, wem er seinen Körper zu Lasten von Gesundheit und Lebenssubstanz verkauft. Über das juristische Instrument des Vertrags werden dem Sportarbeiter Rechte, Pflichten und Maßregeln oktroyiert, die ihn um so länger verwertbar halten, wie er noch Körperkapital besitzt, das noch nicht verbraucht ist. Im Profisport sind Ökonomismus und soziale Reproduktion (Spiel, Sport, Kulturtechniken) so fest miteinander verschmolzen, daß sich das bürgerliche Narrativ, Spiel sei zweckfrei oder zumindest entlastet von politischen und ökonomischen Zwängen, als hegemoniale Form der Ausblendung tief in den Menschen eingebrannt hat. Allenfalls schattenhaft werden im Sport-Medien-Komplex die Widersprüche fremdbestimmter Arbeit und die Kommodifizierung des Lebens thematisiert, will sich doch letztlich kein an der Ausbeutung der Athletenressource beteiligter Berufsstand den Ast absägen, auf dem er sitzt.

Steigender Leistungs- und Erfolgsdruck im Fußballgewerbe zeigen, daß die Möglichkeiten zur Auspressung junger Körper noch nicht vollendet sind. Die planvolle Heranzüchtung von Fußballtalenten in den vielgelobten Nachwuchsleistungszentren und Eliteschulen des Fußballs, wo neben dem "Leistungsaufbau" auch "Persönlichkeitsformung" im Sinne seiner Erfinder betrieben wird, sorgt dafür, daß der Transfermarkt stets mit frischer Ware beschickt werden kann. Generell gilt, daß sich ein Fußballspieler schon im frühen Jugendalter darauf festlegen muß, ob er später einmal eine Profikarriere einschlagen will. Daß Kinder Wachs in den Händen der Eltern, Trainer und Funktionäre sind, bedarf eigentlich nicht der Rede. Da die Stammplätze begrenzt sind, aber alle spielen wollen, sorgt "fairer" Wettbewerb für "gerechte" Selektion. Steigt das Angebot von Jungspielern, auch als Folge von inzwischen 366 Stützpunkten in Deutschland, die laut DFB "ein engmaschiges, flächendeckendes Netz zum intensiven Sichten und Fördern junger Spielerinnen und Spieler" [4] gewährleisten, müssen sich die Älteren noch stärker in die Eisen legen, um dem Konkurrenzkampf standzuhalten. Das verkürzt ihre eigene "Halbwertzeit", abzulesen auch daran, daß sich das "beste Fußballspieleralter" von einst 29 auf inzwischen unter 25 Jahre im Durchschnitt verschoben hat, wie erfahrene Profispieler berichten. [5] Die wissenschaftlich-technische Entwicklung des humanen Leistungsfaktors sowie neuartige Optimierungsmaßnahmen (digitale Leistungsvermessung und bessere Vergleichbarkeit der Spieler) haben das Fußballspiel in den letzten Jahren immer mehr beschleunigt.

Ein Profispieler, der in der 1. und 2. Bundesliga spielen möchte, muß grundsätzlich einen Arbeitsvertrag mit seinem Klub und einen Lizenzvertrag mit dem Ligaverband abschließen. Auch ausländische Profispieler, die eine Arbeits- und Aufenthaltsgenehmigung für ihre Beschäftigungszeit bekommen haben, können für die 1. und 2. Liga unbegrenzt verpflichtet werden. Trotzdem es angeblich klare Vertragsregeln für den Transfermarkt gibt, wann und wie ein Talent ge- oder verkauft werden darf, eilt der Branche ein übler Ruf voraus. Begünstigt durch das Wegfallen der Ausländerbeschränkung (siehe Bosman-Urteil) kann die global expandierende Fußballindustrie inzwischen auf einen riesigen Markt zugreifen, den sie im Zusammenspiel mit den Dachverbänden (siehe FIFA-Entwicklungsprogramme des Fußballs) reich beackert hat.

Die Tatsache, daß Spielervermittler oder Scouts im Auftrag europäischer Vereine in Brasilien, Osteuropa oder Afrika regelrecht Jagd auf vielversprechende Talente und sogar Kinder machen, um neues Spielermaterial heranzuziehen, wird häufig mit modernen Formen der "Zuhälterei" oder des "Menschenhandels" in Verbindung gebracht. Das macht allerdings vergessen, daß die von den Managern, Vermittlern oder Trainern oft als "Rohdiamanten" bezeichneten Talente aus Afrika oder Lateinamerika letztlich die gleiche Knochenmühle zu durchlaufen haben wie die deutschen, mag man auch in Rechnung stellen, daß es unterschiedliche soziale Härten gibt, wenn sich die Versprechungen nicht einlösen. Dessen ungeachtet teilen alle Talente den gleichen Traum: sozialer Aufstieg, erfolgreiche Karriere, Geld und ein tolles Leben. Daß das Elitenmodell für alle gar nicht funktionieren kann, weil das leistungsorientierte Auslesesystem einen riesigen Torso von auf der Strecke gebliebener Ware minderer, verbrauchter oder invalider Qualität produziert, ist die Sorge der Fußballprofiteure nicht, die in den sporttragenden Medien gewöhnlich auch die Stammtischhoheit haben und auf einer Wellenlänge mit dem aktiven und passiven Fußballvolk funken. Die wenigsten machen sich indessen klar, daß nach Angaben der Vereinigung der Vertragsfußballspieler (VdV) weniger als fünf Prozent aller Spieler aus den Nachwuchsleistungszentren den Sprung in die 1., 2. oder 3. Liga schaffen. [6]

Spätestens seit dem Freitod des depressiven Nationaltorwarts Robert Enke häufen sich indessen die Meldungen, die das Bild vom glücklichen Profi, der sein Hobby zum Beruf gemacht hat und damit auch noch gut Geld verdienen kann, etwas eintrüben. Hinter den wohlfeilen Marketingfassaden verbergen sich nicht selten bittere Schicksale von gemüts- und suchtkranken Sporthelden, von gescheiterten oder gestrandeten Existenzen, die nach dem Karriereende froh sein können, wenn sie nicht das Los von Millionen Menschen teilen und sich im Niedriglohnsektor verdingen müssen.

"Vielleicht zehn Prozent aller Fußballer können von sich behaupten, für immer ausgesorgt zu haben. Ein Viertel aller Spieler hat am Karriereende finanzielle Probleme. Und in den unteren Ligen ist der Prozentsatz natürlich deutlich höher als in der Bundesliga", sagt Ulf Baranowsky, Geschäftsführer der deutschen Spielergewerkschaft VdV. [7] Seit 2003 unterhält die Vereinigung ein sogenanntes VdV-Camp, um vereinslose Profis fit zu halten und wieder in Lohn und Brot zu bringen, wenn sie aussortiert wurden, etwa weil sie nicht mehr genug leisten oder durch Verletzungen zurückgeworfen wurden. Hier gibt es ebenfalls den Trend, daß die Teilnehmer immer jünger werden.

Auch wenn sie so genannt werden - Spieler- oder Sportlervereinigungen sind in der Regel keine Gewerkschaften, da sie die zentrale Voraussetzung der gewerkschaftlichen Organisierung ablehnen, nämlich daß es einen handfesten Konflikt zwischen ArbeiterInnen und Bossen gibt. Fernab davon, das Leistungs- oder Konkurrenzprinzip in Frage zu stellen oder gar einen Klassenwiderspruch zu erkennen, agieren die Profis eher wie Ich-Unternehmen und nutzen die Gewerkschaft, um im Dienste der Mehrwertproduktion den Besitzern der sportlichen Arbeitskraft möglichst viel zuzuschanzen, damit auch sie viel abbekommen. Auf diese Weise sind sowohl die Umsätze der Fußballunternehmen als auch die Spielergehälter in den letzten Jahren erheblich gestiegen. VdV-Angaben zufolge liegt das Jahresgrundgehalt, das deutsche Vereine ihren Spielern in der Topliga zahlen, bei über 500.000 Euro. [8] Neben dem bekannten Umstand, daß zahlreiche Profis windigen Anlageberatern auf den Leim gingen, haben die Topverdiener der Bundesliga vor allem das Problem, ihr Geld so sicher anzulegen oder an der Steuer vorbeizubringen, daß es für die Zukunft reicht und nicht der nächsten Finanz- und Wirtschaftskrise zum Opfer fällt.

Offen oder unter der Hand kassieren dann auch noch die Spielerberater bzw. -vermittler mit, die vielfach bereits 12- bis 14jährige Nachwuchsspieler an der Angel haben. In Deutschland sollen Spieleragenten vom Bruttojahresgehalt des Profispielers im Schnitt etwa acht bis 12 Prozent erhalten - Prämienzahlungen nicht eingerechnet. Es soll aber auch Fälle geben, wo Berater bis zu 30 Prozent kassieren. Nach Angaben von VdV-Chef Baranowsky sei es in der Praxis meistens so, "dass der Klub den Vermittler bezahlt. Dann ist diese Summe frei verhandelbar. Und der Spieler bekommt in der Regel gar nicht mit, wieviel der Berater an ihm verdient". [7]

Weil die Ware Arbeitskraft im aufgeheizten Gewerbe so schnell verdirbt und dies auch die Profispieler in Form von psychischen und physischen Erkrankungen immer mehr zu spüren bekommen, sind zentrifugale Kompensationsstrategien gefragt, die die Zerstörungen und Schäden der Leistungsmaximierung immer mehr nach außen tragen, so daß sie dort therapiert werden können. Nach Angaben von Baranowsky würden sich immer wieder Eltern oder Ehefrauen von betroffenen Spielern melden, "die verzweifelt vom stillen Leiden ihrer Söhne und Ehemänner berichten". Abhilfe sollen deshalb Präventions-, Beratungs- oder Betreuungsprogramme leisten. "Wir haben die Netzwerkinitiative 'Mental gestärkt' an der Deutschen Sporthochschule Köln mitinitiiert und kooperieren unter diesem Dach auch eng mit der Robert-Enke-Stiftung und der Verwaltungs-Berufsgenossenschaft. Über 'Mental gestärkt' und die Robert-Enke-Stiftung sind auch Experten-Hotlines geschaltet, mit denen Betroffenen professionell und vertraulich geholfen wird", berichtet Baranowsky. [7]

Daß die Symptombekämpfung mit Hilfe mentaler Stärkerezepturen vollkommen am Konnex der warenförmigen Körperausbeutung im Hochleistungssport vorbeioperiert, dürfte das Problem der beteiligten Berufsverbände nicht sein. Solange auch die Fachschaften am Leid der Spieler mitverdienen, bleibt der Profifußball ein lukrativer Wirtschaftsfaktor.

Fußnoten:

[1] http://www.spiegel.de/video/christoph-kramer-kritik-menschenhandel-rudi-voeller-max-eberl-video-1515680.html. 19.08.2014.

[2] http://www.bild.de/sport/fussball/kramer-christoph/kramer-entschuldigt-sich-37329964.bild.html. 21.08.2014.

[3] http://www.welt.de/newsticker/sport-news/article131493552/Plakativ-und-jugendlicher-Leichtsinn-Berater-Vereinigung-kritisiert-Kramer.html. 22.08.2014

[4] http://www.dfb.de/talentfoerderung/talentfoerderprogramm/

[5] http://www.welt.de/sport/fussball/article119032808/Warum-immer-mehr-Fussballprofis-arbeitslos-werden.html. 15.08.2013.

[6] http://www.welt.de/sport/fussball/article123309919/25-Prozent-aller-Spieler-haben-am-Ende-Schulden.html. 27.12.2013.

[7] http://www.transfermarkt.at/vdv-chef-baranowsky-quot-nur-zehn-prozent-ausgesorgt-quot-/view/news/172882. 14.09.2014.

[8] http://www.welt.de/sport/article113194384/Fussballprofis-Nur-zehn-Prozent-haben-ausgesorgt.html. 29.01.2013.

21. September 2014