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KOMMENTAR/280: UEFA farblos oder wer das Geld hat bestimmt ... (SB)



Entwickelt sich der für staatsrepräsentative und leistungsideologische Ziele vereinnahmte Spitzensport nun zu einem Schlachtfeld für politische Symbolhandlungen, um auf unterhaltsame wie marketingtechnisch perfekt ausbalancierte Weise die Widersprüche gesellschaftlicher Macht- und Herrschaftsstrukturen noch effektiver zu verschleiern?

Nationaltorhüter Manuel Neuer durfte während der aktuellen Fußball-Europameisterschaft mit einer Regenbogenbinde auflaufen. Die Europäische Fußball-Union (UEFA) gab ihr Plazet dazu. Das Regenbogen-Symbol gilt gemeinhin als Ausdruck für die Akzeptanz sexueller und geschlechtlicher Vielfalt. Doch als der Münchner Stadtrat einhellig die Forderung erhob, die Münchner EM-Arena möge doch bitte beim Länderspiel der Deutschen gegen Ungarn in den Regenbogenfarben erstrahlen, war Schluss mit diverser Symbolpolitik. Wie zu erwarten, lehnte die UEFA, die sich ansonsten gern mit Toleranz- und Diversitätskampagnen schmückt, das Ansinnen als zu politisch ab. Die Beleuchtung war nicht nur als Zeichen gegen Homophobie und Transphobie gedacht, sondern als direkter Protest gegen Ministerpräsident Viktor Orbán und das ungarische Parlament, das kürzlich ein Gesetz verabschiedete, das die Informationsrechte von Kindern und Jugendlichen in Hinblick auf Homosexualität und Transgeschlechtlichkeit einschränkt. Wäre das offizielle Ansinnen von Münchens Stadtoberen nicht auch gegen Ungarns rechtskonservativen Ministerpräsidenten und die Fidesz-Partei adressiert gewesen, hätte die UEFA vielleicht auch anders entscheiden können. So aber bleibt der Verdacht im Raum, dass die Lichtspielaktion auf ein programmatisches, nichtsdestotrotz öffentlichkeitswirksames Scheitern angelegt war.

Glaubwürdig wäre indessen der Münchner Protest gewesen, wenn das Station des FC Bayern München, der die Nutzungsrechte während des EM-Turniers an die UEFA abgetreten hat, trotz des Verbotes in bunten Farben geleuchtet hätte. Für einen solchen Eklat fehlte den hiesigen Polit- und Sportfunktionären jedoch der Mut. Niemand, der sich lautstark über die Entscheidung der UEFA empörte, hatte die Chuzpe, in der Allianz-Arena in Fröttmaning eigenmächtig den Schalter umzulegen und damit unangenehme Konsequenzen, die den Brot-und-Spiele-Pakt zwischen Sport und Politik gefährden könnten, auf sich zu ziehen. Weder Münchens Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD), der den Entschluss des Kontinentalverbandes als "beschämend" bezeichnete, noch Bundestagsvizepräsidentin Claudia Roth (Grüne), die gar meinte, die UEFA maße sich an, "in der Manier von autokratischen Machthabern zu definieren, was die gesellschaftspolitische Rolle von Sport und Sportveranstaltungen ist". [1]

Tatsächlich ist diese Anmaßung fester Bestandteil der kulturindustriellen Sporthegemonie und wird von PolitikerInnen aller Couleur unterstützt, die aus sicher erwogenen Interessen jedes Jahr Hunderte Millionen an Steuergeldern in die vermeintlich politisch neutrale Leistungs- und Medaillenproduktion der Verbände und Organisationen stecken. Dafür nehmen sie letztlich sogar in Kauf, von den Monopolverbänden des Sports vertraglich geknebelt, erpresst und gegeneinander ausgespielt zu werden, wie das Diktat der UEFA zeigt, in Coronazeiten auf massenhafte Zuschauerzahlen zu bestehen.

Die Regenbogenfarbenappelle arteten dann in ein regelrechtes Fernduell in Symbolpolitik aus: Während ungarische Vereine ihre Stadien in den Nationalfarben erstrahlen ließen, um ihre Solidarität mit der Orbán-Regierung zu demonstrieren, wurden in Deutschland bei zahlreichen Anlässen bunte Farben und Fahnen präsentiert. Mehrere deutsche Stadionbetreiber ließen zudem ihre (leeren) Arenen bunt aufleuchten. Nicht zu vergessen Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU), der forderte, man müsse sich stark machen gegen Ausgrenzung und Diskriminierung und der ein Selfie aus dem Münchner Stadion twitterte, das ihn mit Regenbogenmundschutz zeigt. Nichts erinnerte mehr daran, dass die CSU in der Europäischen Volkspartei (EVP) jahrelang die konservative und nationalistische Politik der Fidesz-Partei mitgetragen hatte, ehe es im März 2021 zu einem Bruch kam.

Der von politischer Protektion und finanzieller Unterstützung abhängige Spitzensport, dessen Autonomie eine bürgerliche Schimäre darstellt, wird auch dort vor den Karren der globalen Krisenregulation gespannt, wo Werte wie Menschenwürde, Gleichberechtigung oder Meinungs-, Bekenntnis- und Vereinigungsfreiheit weder allgemeingesellschaftlich noch im Subsystem des Leistungs- und Wettkampfsports verwirklicht sind. Erst im Februar dieses Jahres hatte die Europaratskonferenz der für Sport zuständigen Ministerinnen und Minister eine Entschließung verabschiedet, in der sie mit Blick auf die vermeintliche "Integrität des Sports" die Mitgliedsstaaten dazu auffordern, "den Schutz und die Förderung der Menschenrechte in diesem Bereich weiter zu verbessern sowie den Sport und dessen vielfältigen sozialen und individuellen Nutzen zu fördern, um die Widerstandskraft der Gesellschaft gegenüber globalen Krisen zu stärken". [2] Wer wie die Europäische Union den von Korruption und Missbrauch zerfressenen Sport zum Resilienzprogramm gegen globale Krisen hochjazzt, dem ist alles zuzutrauen, auch die Instrumentalisierung von Menschenrechten für geopolitische Zwecke.

Die weitverbreitete Abwertung von Weiblichkeit und Nicht-Heterosexualität im männlich dominierten Fußballsport, die unter anderem dazu führt, dass sehr viele LGBTI*-Personen (Lesben, Schwule, Bisexuelle, Transgender und/oder Intersexuelle) noch immer versteckt und in Angst vor dem Outing leben, sowie die zahlreichen Mißbrauchsformen sexualisierter bis disziplinatorischer Gewalt sprechen eine deutliche Sprache, dass der moderne Leistungs- und Wettkampfsport von ganz anderen Kräften und Interessen beherrscht wird, als es Politik- und Schulweisheiten gewöhnlich lehren. So wird fast nirgendwo das Leistungs- und Wettkampfprinzip des Sports grundsätzlich in Frage gestellt, obwohl doch eigentlich klar sein müsste, dass der auf gegenseitige körperliche, soziale und ökonomische Überbietung ausgerichtete Hochleistungssport kein Vorbild für gesellschaftlich gebotene, sich dann auch in Körper, Geist und Lebensertüchtigung widerspiegelnde Suffizienzweisen darstellt.

Auch ist zu fragen, ob benachteiligten Menschen wirklich damit gedient wäre, wenn im Parteiengezänk und Profilierungsgehabe verstrickte PolitikerInnen nun explizit die Definitionshoheit übernehmen würden, was die gesellschaftspolitische Rolle von Sport und Sportveranstaltungen sei. Schon im Ost-West-Konflikt war der Sport ein politisches Instrument des Kalten Krieges, und das gilt unverwandt in Zeiten, in denen insbesondere die Schwarz-Grün-Parteien für Drohnen- und Menschenrechtskriege sowie für immer härtere Sanktionsmaßnahmen gegen politische und wirtschaftliche "Systemrivalen" wie Russland oder China trommeln. Der Sport ist zwar ein Nebenkriegsschauplatz, doch er ist keineswegs weniger politisch umkämpft.

Im Augenblick durchläuft den Medien- und Zuschauersport eine Welle symbolischer Solidarität: In Anlehnung an die Proteste des geschassten Football-Profis Colin Kaepernick gegen Polizeigewalt und Rassismus in den USA, den Protesten wegen des gewaltsamen Todes des Afroamerikaners George Floyd sowie als Zeichen für die Unterstützung der "Black Lives Matter"-Bewegung. Indem sie sich vor Spielen hinknien, demonstrieren zahlreiche Spieler und Spielerinnen aus aller Welt ihre Solidarität. Allerdings nicht immer zum Gefallen aller ZuschauerInnen, die mitunter mit Buhrufen und Pfiffen reagieren. So ist in Großbritannien, wo Spieler des englischen Nationalteams und der Premier League vor jeder Partie ihre Solidarität mit der "Black Lives Matter"-Bewegung demonstrieren, eine Debatte entbrannt, die in regelrechte Hetzkampagnen ausartete. "Das dominierende Argument der Gegner lautet: 'Black Lives Matter' sei eine 'marxistische' Organisation. Eine Art Mythos, der einzig auf dem Interview mit Patrisse Cullors basiert, der Mitbegründerin der Bewegung, aus dem Jahr 2015. Sie hatte sich und andere Mitstreiter als 'ausgebildete Marxisten' beschrieben", berichtete kürzlich die Deutsche Welle in ihrem Sportteil. Cullors Wort vom Marxismus habe eine rechtsextreme Hetzkampagne begründet. "Eine Entwicklung, die eine in Großbritannien dominierende rechte Presse und einflussreiche Figuren der politischen Rechten dankbar aufgenommen haben." [3]

Der Anti-Kommunismus ist auch in Deutschland stark verbreitet, und die sich jetzt als Unterstützer der LGBTI*-Community inszenierenden PolitikerInnen insbesondere aus dem konservativen Lager werden einen Teufel tun, beispielsweise aus Solidarität mit der internationalen Black Lives Matter-Bewegung ihre Stadien zu verdunkeln, wenn in einem so rassistischen Land wie den USA, das gemessen an der Einwohnerzahl die größte Gefängnisbevölkerung der Welt mit überproportional farbigen Insassen unterhält, Olympische und Paralympische Spiele ausgetragen werden. Und das Licht wird in der Allianz-Arena auch nicht ausgehen, wenn Bayern München in Katar, seinem Millionen-Sponsor, Trainingslager abhält oder wenn die deutsche Nationalelf im kommenden Jahr anlässlich der Fußball-WM in Katar aufläuft. Der gas- und ölreiche Wüstenstaat, der sich mit seinem Geld das Wohlwollen von Politikern, Funktionären, Polizeien, Wissenschaftlern und Medienleuten aus aller Welt erkauft hat, steht seit Jahren bei Menschenrechtsorganisationen in der Kritik, nicht nur Arbeitsmigranten und -migrantinnen auszubeuten, sondern auch wegen der Verfolgung von Homosexuellen, der Unterdrückung von Frauen, mangelnder Presse-, Meinungs- und Religionsfreiheit, Antisemitismus und der Unterstützung radikalislamischer Salafisten. Gleichgeschlechtliche Liebe ist in dem Land illegal und wird mit Peitschenhieben bzw. mehrjährigen Gefängnisstrafen geahndet. Auf außerehelichen Geschlechtsverkehr, unabhängig von der Sexualität, kann auch die Todesstrafe folgen. Während der Fußball-WM 2022 sollen aber Regenbogenflaggen in den Stadien "respektiert" werden, heißt es. Ein Grund zum farbenfrohen Mitlaufen, Mitfeiern und Mitfiebern?

Fußnoten:

[1] https://www.zeit.de/sport/2021-06/stadion-muenchen-regenbogenfarben-em-uefa-claudia-roth?utm_referrer=https%3A%2F%2Fwww.netvibes.com%2Fdashboard%2F91119919%3F. 23.06.2021.

[2] https://www.coe.int/de/web/portal/-/european-sports-charter-and-human-rights-in-sport-resolutions-adopted-at-conference-of-ministers. 11.02.2021.

[3] https://www.dw.com/de/black-lives-matter-kampf-um-englands-seele/a-57867265?maca=de-rss-de-sport-4020-rdf. 13.06.2021.

5. Juli 2021

veröffentlicht in der Schattenblick-Druckausgabe Nr. 164 vom 10. Juli 2021


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