Schattenblick →INFOPOOL →THEATER UND TANZ → REPORT

BERICHT/006: Erstes Live Art Festival auf Kampnagel - Ausverkauf einer Vision (SB)


Erstes Live Art Festival auf Kampnagel

Ausverkauf einer Vision


KOLLEKTIVE ALLER LÄNDER! Mit diesem scheinbar geschichtsbewußten und politisch positionierten Aufruf richtet Kampnagel vom 7. bis zum 23. Mai 2009 im Rahmen des EU-Projektes A SPACE FOR LIVE ART das erste Live Art Festival in Hamburg aus.

Hamburgs 'Kulturfabrik' Kampnagel

Hamburgs "Kulturfabrik" Kampnagel

"Ziel dieser groß angelegten Initiative ist es, die Wahrnehmung der Kunstform Live Art in der Öffentlichkeit zu stärken." (Pressemappe)

Da fehlte dann noch das griffige Motto, meinte Kuratorin Anne Kersting bei der Vorstellung des Programms am 8. April, und man kam auf - Kollektive aller Länder! Ganz bewußt gewählt ließe diese Wendung etwas in der kollektiven Erinnerung anklingen: Da war doch mal was, ein Aufbruch, eine Bewegung, ein starker Impuls - von dem man für das Festival profitieren könnte. Kollektive scheinen im Trend, auf diesen Zug wollte man springen. Viele Kunstprojekte entstünden heute, und das mit wachsender Tendenz, in einem Zusammenschluß, im Kollektiv, erläuterte die Kuratorin. Dies, so wurde schnell deutlich, allerdings weniger aufgrund einer gesellschaftskritischen Positionierung, sondern aufgrund schwindender öffentlicher Ressourcen und privater Förderer. Darauf also wollte man sich beziehen. Überdies seien Kollektive immer ein Zusammenschluß auf Zeit.

Mit dem Gespür des klassischen Teasers wird auf ein untergründiges Gefühl und Bedürfnis von Menschen abgezielt, der gesellschaftlichen Vereinzelung und Spaltung einen starken Verbund entgegenzustellen, der vielleicht mehr vermöchte als die Summe seiner Teile. Doch ehe es ernst wird, kommt der Rückzug. Warum sagt man nicht gleich, "Netzwerke aller Länder (vereinigt Euch)!", abgestellt auf den internationalen Zusammenschluß von Funktionsnetzwerken, Vermarktungsorganisationen und Aquisitionsvereinigungen mit der gleichen Wirkung auf das Publikum: Wir wollen unser Produkt mit größtmöglicher Breitenwirkung an den Mann, an den Zuschauer bringen. Wir wollen ein buntes Spektrum lebendiger Aprèsgarde-Präsentation bieten, die zwar nicht an die Gründerzeit der Live Art in den 70ern anzuknüpfen, aber vielleicht noch von deren Nachwehen zu profitieren vermag.

Da die Veranstaltung im Rahmen einer EU-Förderung stattfindet, sind, um noch einmal bei der Ökonomie zu bleiben, bestimmte Bedingungen vorgegeben. Zu diesem als Initiative zur Völkerverständigung gehandelten Projekt gehören u.a. grenzübergreifende Zusammenarbeit und Auftragsvergabe sowie eine umfassende Dokumentation. Die Frage, welche Kompromisse diese Art der Finanzierung den Veranstaltern schon im Vorwege plausibel gemacht haben mag, stellt sich vielleicht schon deshalb nicht mehr, weil, was nicht vorhanden ist, auch nicht verlorengehen kann. Fegt die Händler und Gaukler aus dem Tempel!, möchte man rufen, denn leider liegt der Gedanke allzu nahe, daß sich der Kunstbetrieb aus dem Verbrauch kreativen Potentials ernährt. Alternative Regungen werden gebunden und der wirtschaftlichen Verwertung zugeführt und das, was man einst mit dem Begriff des Kollektivs verbunden hat, in neuen Varianten über kurze Fristen dem endgültigen Verzehr überlassen. In diesem Betrieb und in einem Gemisch, für das dieses Festival lediglich ein gutes Beispiel darstellt, geht das verloren, was Kunst, Theater, Literatur eigentlich leisten könnten, nämlich eine Vision, wie unrealistisch auch immer sie gemessen am täglichen Überlebenskampf des Menschen im Kapitalismus, gemessen am drohenden Erfolg des Teile und Herrsche sein mag, zu entwickeln und bis zur Spitze ihrer Umsetzung zu treiben.

Stattdessen wird mit geübter Zielsicherheit eine Beliebigkeit gegen die nächste getauscht, bis eine so verwirrende Vielfalt entsteht, daß sich die Frage nach einer eindeutigen Aussage und Positionierung im einem allgemein beseelten Gemisch aus dem Abenteuer, vom Zuschauer in die Rolle des Entdeckers oder Voyeurs oder auch des Objekts der Begierde zu schlüpfen, verliert, um dann im Happening zu verenden.

Performance im Stile der Live Art Parade "Dynamo Themen Rave" gleicht mit "Original Gay Pride, Schweigemarsch, Klassik Rave, traditioneller schwäbischer Faschingsumzug, G8 Protest, Kasperle Theater, Passions Spiele, Euromayday und großem Polonaise Blankenese Finale" dem Angebot eines Kiosks, mit der geradezu notwendigen Begleiterscheinung und Folge, darin enthaltene existentielle und bedeutende gesellschaftliche Interessen auf Postkartenniveau und Augenblicksmakulatur zu schrumpfen. Seinem Namen getreu schlägt Showcase Beat Le Mot die letzten Reste widerständigen Potentials aus einem Begriff heraus, den Menschen einmal mit einer Vision vom anderen Leben zu füllen bereit waren, und zur hämmernden Gleichtönigkeit des Rave zurecht. Jegliches gesellschaftskritische Potential wird so der Beliebigkeit anheimgestellt: Alles ist Ausdruck, alles ist Karneval. Bleibt doch die Frage: Fühlt sich der Mensch tatsächlich glückselig geschaukelt und geborgen im großen Kollektiv Masse?

Nun, ein Projekt, das wollen wir an dieser Stelle nicht verschweigen, sticht dann doch heraus. BODY SWAP - Der Titel verrät nicht ganz, was sich dahinter verbirgt: Zwei Choreographinnen tauschen - auf Zeit - ihr Leben, und das in jeder Hinsicht. Eine jede bemüht sich getreulich, im Umfeld der anderen genau die andere zu sein, mit allen Implikationen, die sich wohl niemand, der sich dieser Herausforderung nicht gestellt hat, in aller Konsequenz auszumalen in der Lage sein dürfte. Welcher Advocatus Diaboli mag wohl dieses Projekt ersonnen haben, das in seiner Dimension ein echtes Potential zur Völkerverständigung - zumal über den EU-Rahmen hinaus - in sich birgt! Überzeugend haben die beiden Akteurinnen, die Hamburger Choreographin Dani Brown und die Singapurer Choreographin Joavien Ng, ihren Auftrag vorgestellt und wären möglicherweise in der Lage, so menschlich und so aufgeschlossen für Neues und insbesondere den anderen Menschen gegenüber sie sich in ihrer Umgebung bewegen, eine Richtung einzuschlagen, die über eine Beliebigkeit hinausweist. Sie stellen sich einer "künstlerischen" Herausforderung, die kaum eine Lücke läßt und alle Achtung verdient.

Die Choreographinnen Dani Brown und Joavien Ng

Die Choreographinnen Dani Brown und Joavien Ng

Kampnagel, läßt sich sagen, bedient in alter Theatertradition die Interessen des Hofes, erfüllt seinen Bildungs- und Befriedungsauftrag am Bürger und macht ganz nebenbei die EU noch ein wenig schmackhafter. So bleibt für uns nur noch die Aufforderung: Laß die Narren spielen! damit der Hof zufrieden ist.

14. April 2009


Weitere Informationen im Schattenblick unter:
Schattenblick -> INFOPOOL -> KUNST -> VERANSTALTUNGEN
THEATER/16221: Hamburg - Das Kampnagel Programm, Mai 2009
http://schattenblick.de/infopool/kunst/veransta/the16221.html
THEATER/16224: Hamburg - Live Art Festival "Kollektive aller Länder!" im Mai auf Kampnagel
http://schattenblick.de/infopool/kunst/veransta/the16224.html

sowie auf: www.kampnagel.de