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BERICHT/023: An Evening of Meat im Old Boys Club - London (SB)


Mitten im Nirgendwo:
Plötzlich ein Geruch, als sinnlich zu beschreiben

An Evening of Meat im Old Boys Club

von Britta Barthel


Ohne die geringste Ahnung, wo es mich hin verschlagen würde oder welcher Art die Performance ist, die mir bevorsteht, laufe ich - auf der Suche nach dem scheinbar versteckten 'Old Boys Club' - eine ruhige Seitenstraße in Londons eher raueren Gegend um Dalston Junction entlang. Weder wissend, wie versteckt der Ort ist, den ich anstrebe, noch was das überhaupt für ein Platz sein wird, finde ich mich auf einmal vor einem Gebäude stehend, welches mich stark an ein Internat des 19. Jahrhunderts erinnert. Und dann ist da dieser Schnitt. Die Welt verändert sich. Beim Betreten des Gebäudes betrete ich zugleich ein Bild, eine Atmosphäre, ein Gefühl.
Das Empfinden, mich inmitten einer Untergrund-Club-Gesellschaft zu befinden, überkommt mich von hinten und ganz plötzlich. Die Empfindung kreist natürlich um die Art von Club, zu dem man eindeutig eingeladen sein muß, um Einlass zu erhalten. Allein, das ist natürlich nicht der Fall. Wohl gibt es eine Liste mit Namen drauf, allerdings gibt es auch noch genug Platz für solche, die nicht auf ihr erscheinen.
Nun betrete ich einen Raum, der mir den Eindruck vermittelt, mich in einer Kirche zu befinden. Allerdings mit dem fundamentalen Unterschied, daß diese Kirche eindeutig von einem mysteriösen Ritual ein- und übernommen wurde. Gothic, schwarz, klare Anzeichen für eine Veranstaltung, die eindeutig und in höchstem Maße sinnlich zu werden verspricht. Eine Geschmacksfrage ist es, ganz klar. Sofas, Stühle sowie das Tuch eines langen Esstisches im Zentrum des Raumes sind in edlen Farben wie dunklem blau und rot und natürlich schwarz gehalten. Eine Mischung aus recht speziellen Malereien, einem Flügel in einer Ecke und anderen Gegenständen, nützlich sowie nutzlos, dekorieren den Raum und kreieren eine Welt für sich.
Der musikalische Klangteppich, erzeugt vom Flügel sowie einer Band, die sich gleich am Eingang postiert hat, welcher vor dem Betreten des Raumes meine volle Aufmerksamkeit auf sich zog, wird nun mehr und mehr zu dem, was das Wort schon sagt: einem atmosphärischen Boden für weitere Geschehnisse.
Die Performer tauchen nun auf einmal auf. Sie sind überall und scheinen in jedem zu stecken. Stück für Stück zeichnen sich dann klare Linien zwischen drei verschiedenen Gruppen ab:
Auf dem Tisch befinden sich Frauen. Sitzend, in verschiedenen Positionen - keinerlei Bewegung. In Kostümen, die sich mit der Umgebung vereinen: düster, sinnlich. In der Tat.
Dann sind da noch die 'Kreaturen'. Verteilt sind sie über den ganzen Boden, gekleidet in schwarz. Und die Elfen. Tänzer, männlich ganz klar, in schwarzen Kleidern und scheinbar nur da zum Servieren von Speise und Trank. Und doch: Auch sie sind zweifellos Performer. Ausgezeichnet mit einer Maske, die eindeutig an Schwäne erinnert - Tschaikowskis Schwäne. Mit Absicht?
Und während ich mich inmitten einer Performance fühle, von dem Moment an, in dem ich das Gebäude betrat, beginnt nun um mich herum die Performance.
Die Ereignisse fangen an sich zu beschleunigen. Kleine Geschichten erwachsen aus jeder Ecke. Die Geschichte der Verführung scheint den Tisch in der Mitte zu bestimmen. Es ist die Geschichte, die wir alle kennen, mit Frauen - schönen Frauen, die sich über den Tisch bewegen, mit viel Körper und wenig Stoff.
Allerdings so simpel ist es nicht. Entwickeln doch sich gerade Duette. Duette, die uns von Leidenschaft erzählen, aber auch von der unausweichlichen Jagd nach Schutz: Ihn zu geben sowie zu empfangen. All dies spielt sich innerhalb eines flüssigen Prozesses sich biegender und windender Körper ab, welche die Tänzer immer weiter entlang dieses Esstisches bewegen.
Leidenschaft ist im ganzen Raum zu spüren. Unten am Boden erschaffen die 'Kreaturen' ihre eigene Welt. Einige sich glücklich innerhalb dieser bewegend. Andere halten Ausschau. Es scheint, sie sind nach etwas auf der Suche. Sie buhlen um die Aufmerksamkeit dieser Lady. Sie bewegt sich durch den Raum, eine gehetzte Stimmung an sich haftend. Sie scheint zu organisieren, zu kontrollieren. Verloren wirkt sie jedoch zumeist. Dann jedoch gibt es wieder einen ganz klaren Weg, dem sie folgt, und ihr Handeln macht zeitweise Sinn. Über alledem verbindet sie. In einer dominanten Position scheint diese Lady die Kontrolle über das Geschehen zu haben und man könnte meinen, daß das Allübergreifende, welches von Zeit zu Zeit den Raum erfasst, ihr zuzuschreiben ist.
Das Essen wird serviert. Es ist für die Gruppe bestimmt, die an dem großen Tisch sitzt. Und angesichts all der Körper und Bewegung direkt neben dem Essen, bewahren sie ihre Würde in einem beeindruckenden Ausmaß. Wir, die Gruppe außerhalb, werden mit Wein versorgt, außerdem gehen Tabletts mit Fingerfood in regelmäßigen Abständen um.
Über drei Stunden später verlasse ich den 'Old Boys Club'. Mein Blickfeld ist nicht mehr ganz klar und ich habe das Gefühl, daß ich gerade in den Genuss einer recht dekadenten Veranstaltung gekommen bin. Es ist ein schuldiges Gefühl, allerdings nicht unbedingt eins der schlechten Sorte.

Für weitere Informationen sehen Sie:
http://marchperformancegroup.blogspot.com/

12. April 2011