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BERICHT/035: Die Komödianten - Uraufführung der Politsatire "Schlaflos in Neumünster" in Kiel (SB)


"Können, wenn man kann, ist keine Kunst."


Wie menschlich schwächelnd sind Politiker - und wieweit dürfen sie es sein? Mit diesem Fragenkomplex ließe sich aufs kürzeste beschreiben, worum es in dem neuen Stück von John von Düffel, das am 23. Februar 2012 im Theater "Die Komödianten" in Kiel zur Uraufführung kam, geht.

Aktueller kann Theater kaum sein.

Die zeitliche Nähe zur Landtagswahl in Schleswig-Holstein am 6. Mai war planbar, die fast punktgenaue Koinzidenz mit dem Rücktritt Christian Wulffs als Bundespräsident und der Kür seines 'besseren' Nachfolgers Joachim Gauck kaum. Wieder war nach zu Guttenberg ein einigermaßen junger, aufstrebender Politiker über die eigenen Begehrlichkeiten gefallen. Dabei wird die Nähe und Verflochtenheit von Wirtschaft und Politik doch immer unverhohlener und sprichwörtlich zu Markte getragen, gegenseitige Vorteilsnahme und -gewährung sind längst kein Geheimnis oder ein auch nur zu verbergen gesuchter Tatbestand mehr.

Wer da melancholisch in die Vergangenheit blickt und meint, früher oder woanders sei es besser gewesen, macht sich etwas vor. Selbst charismatische Politiker wie einst Willy Brandt oder John F. Kennedy, die Teilen einer ganzen Jugendgeneration als Vorbild und Idol galten, schwächelten, ganz menschlich... So heißt es denn auch aus berufenem Munde, Wulff sei nicht über seine Taten gestolpert, sondern über sein Krisenmanagement. (1)

John von Düffel, einer der meistgespielten deutschsprachigen Dramatiker, Spezialist für Komödiantisches aus einem "schrägen Blickwinkel", der sich bereits mit "Rinderwahnsinn" (1999), "Born in the RAF" (2001) oder "Ich, Heinz Erhardt" (2009) kritisch mit der bundesrepublikanischen Wirklichkeit auseinandersetzte, hat sein neues Stück "Schlaflos in Neumünster" gemeinsam mit den Kieler Komödianten "aus der Taufe gehoben", so Düffel in einer Grußadresse aus Berlin zur Premiere. Während Auftritt und Rede des Wahlkämpfers nach Auskunft der Pressesprecherin Petra Bolek aus der Feder der Komödianten stammt, beginnt der Originaltext John von Düffels nach der Pause mit dem zweiten Teil des Stücks.

Der 'Landesvater' mit Frauenbeauftragter und Teddybär - Foto: © 2012 by Theater Die Komödianten

Der 'Landesvater' für Frauenrechte und Tierschutz
Foto: © 2012 by Theater Die Komödianten

Zunächst erwartet in Neumünster die Partei "Die Besseren" ihren Berliner Abgeordneten und Sprecher für Verteidigung und Kultur zu einer Wahlkampfveranstaltung. Dabei muß sein Auftritt gleich zu Beginn wiederholt werden: "Bitte noch einmal für die Presse!", so Anke Pfletschinger als harsche Journalistin. Die Rolle des medial orientierten Landesvaters, der mehr als für sein Volk einen Blick für die Kamera hat - eine Paraderolle für Markus Dentler - , ist zwar komödiantisch überzogen, aber doch so sehr am Original und den Politikern vom Maul abgeschaut, daß manch einer sich oder seine Parteikollegen wiedererkannt haben dürfte.

Da ist von der Wichtigkeit und zentralen Bedeutung gerade dieses Bundeslandes die Rede - in anderen wird man dasselbe sagen -, von Zukunft und Integration und von Transparenz. Dicht an der Wirklichkeit, aber im Rahmen des Theaters dem politischen Alltag enthoben, wird witzig, was sonst eher langweilig oder tragisch, bestenfalls ärgerlich wäre. "Unsere Zukunft können wir nur erfolgreich gestalten", denn: "Wir als Politiker haben im Vorwege erklärt, daß sich das ändern muß!"

Die Inszenierung (Markus Dentler zeichnet diesmal auch für die Regie und als Dramaturg verantwortlich) bezieht das Publikum von Anfang an mit ein, in Kiel ein Heimspiel. So war, wer während der Aufführung geplant kommentierte oder wer eher spontan dazwischenrief, nicht immer auszumachen und auch während der Pause blieben Schauspieler und Publikum gern in den Rollen von Wahlkämpfern und Wahlvolk.

Nach der Rede und den bei solchen Anlässen üblichen Auftritten von Frauenbeauftragter, Tierschutz und Jugend lädt der Landesvater nach einer Pause zu einem "zwanglosen Beisammensein" in die Hotelbar.

Da entpuppt sich der Politiker, der sich tagsüber kämpferisch und als ein Mann mit Visionen gibt, als Mensch, der nachts nicht schlafen kann, weil er - als kleiner Pedant - mit seiner Umwelt nicht zurechtkommt. Wie soll er auf Wohltätigkeitsveranstaltungen Gefühle zeigen, die er gar nicht kennt, wie die zahllosen Widrigkeiten zwischen seinen Auftritten ertragen: ständig wechselnde Hotels, zu kleine Betten, nervende Nachbarn - die gleichen Mitbürger, für die und deren Zukunft er eben noch wortreich einstand - und eine Ehefrau, die alles verschläft. Auch aktuelle Seitenhiebe auf die Causa Wulff fehlen nicht, ist doch auch der u.a. über ein von einem guten Freund bezahltes Hotelbett gestolpert. Am Ende seiner One-Man-Show, die ohne die erheischte Resonanz der in der Hotelbar anwesenden Gäste bleibt, überlegt sich der Landesvater, der seine Ehefrau nie betrügen würde, ob ein kleiner Seitensprung nicht doch...

Der Wahlkampfredner mit der Bardame - Foto: © 2012 by Theater Die Komödianten

'Ich würde meine Frau nie betrügen ...'
Foto: © 2012 by Theater Die Komödianten

Der Text von John von Düffel, weder inhaltlich noch sprachlich ein Höhepunkt und von lediglich konsensorientierter Komik, der über die Bedienung sattsam bekannter Klischees nur selten hinauskommt, hätte wohl kaum ein ganzes Stück getragen, ohne den Wahlkampfauftritt im ersten Teil wäre auch der zweite belanglos geblieben. Der Satz des Autors aus einem Gespräch mit Nils Tabert: "Ich will, daß meine Texte durch Schauspieler anfangen zu leben." - hier bekam er geradezu tragende Bedeutung.

Einmal mehr war den Komödianten ihre Spielfreude anzumerken, allen voran Theaterchef Markus Dentler, aber auch Anke Pfletschinger als Barfrau und Reporterin, Utha Bonowsky, Brigitte Hoth und Jana Lissek als engagiertes Wahlkampfteam oder Ivan Dentler als Bodyguard in sorgsam akzentuierten Nebenrollen, ohne die die Einsamkeit und Volksferne des Landesvaters nicht so zum Ausdruck gekommen wäre. Das Publikum, das in bester Stimmung und Vorfreude auf einen unterhaltsamen Abend gekommen war, erlebte genau den. Ob "Schlaflos in Neumünster" allerdings auf einer nach dem 31. März eventuell geplanten Tour über Land vor nicht heimischem Publikum ebenso ankommt, wird sich zeigen müssen.

Theater ist schon längst keine moralische, geschweige denn moralstiftende Instanz mehr. Sehr wohl aber kann so ein Stück aufs Unterhaltsamste zum Nachdenken anregen, auch über eigene Korrumpierbarkeit und über die von den Wählern nicht nur tolerierte, sondern geradezu eingeforderte Lügenfassade moralischer Anständigkeit.

Am Ende bekommt das Publikum sein Stück und das Volk den Präsidenten, den es sich wünscht und den es verdient. - Ein wenig Schlaflosigkeit dürfte uns allen gut bekommen.

Der Wahlkämpfer mit seinem Team - Foto: © 2012 by Theater Die Komödianten

Chef im Ring
Foto: © 2012 by Theater Die Komödianten

Anmerkung:
(1) Prof. Nobert Bolz
http://charismatismus.wordpress.com/?s=wulffs+probleme

24. Februar 2012