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BERICHT/069: Zeit der Kannibalen im Theater Die Komödianten in Kiel - dem Kritikversagen abgelauscht ... (SB)


Premiere im Theater Die Komödianten in Kiel am 28. April 2016

Up or Out


Fressen oder gefressen werden - up or out - auf diese Kurzformel läßt sich die Welt von Wirtschaftsmagnaten, Managern und Unternehmensberatern bringen. Der Begriff vom Raubtier-Kapitalismus macht nicht von ungefähr die Runde, auch wenn er lediglich offenbart, was die Natur dieser Wirtschafts- und Gesellschaftsform im Kern und von Anfang an ist: Verbrauch und Verschleiß von Mensch und Natur zum alleinigen Zwecke der Profitmaximierung.

"Zeit der Kannibalen" scheint daher ein passender Titel für ein Stück, das sich mit den Auswüchsen und menschlichen Abgründen wirtschaftlicher Globalisierung befaßt: Die Unternehmensberater Öllers und Niederländer reisen seit sechs Jahren um die Welt, vorzugsweise in die Länder des Trikont, um dort Geschäfte für ihre Company abzuwickeln, Unternehmensstandorte zu schließen oder neue aufzuziehen. Die Mission: Ihren Kunden dabei zu helfen, "den Konkurrenten in die Suppe zu scheißen". Ihr Ziel: nach oben kommen, als Partner in den Firmenolymp aufsteigen, um welchen Preis auch immer. Klar, daß sie dabei berufsbezogene Treterqualitäten entwickeln, getrieben von der ständigen, geradezu panischen Angst vor Absturz und Statusverlust. Ihr Geschäft betreiben sie vom Hotelzimmer aus. In einer von der Außenwelt abgeschotteten Umgebung von Luxussuiten, die weltweit überall gleich sind, haben sie den Bezug zur Realität längst verloren. Überheblichkeit, sagt Autor Stefan Weigl in einem Interview mit dem Deutschlandfunk anläßlich der Premiere des gleichnamigen Films, sei in diesem Job eine Berufsvoraussetzung, wer sich "mit der Außenwelt auseinandersetzt, könnte diese Arbeit nicht machen". [1]

Als sich für den abwesenden Kollegen Hellinger der Traum vom Aufstieg erfüllt, tritt Bianca März seine Nachfolge an. Die Frau im Team provoziert zusätzlichen Konfliktstoff, zumal ihre Rolle undurchsichtig ist. Sitzt sie im gleichen Boot oder soll sie die anderen ausspionieren? Später erfahren die drei, daß Hellinger sich aus dem Fenster gestürzt hat und die Company verkauft wird. Verzweiflung breitet sich aus, Konkurrenz und gegenseitiges Mißtrauen wachsen an. Da macht der neue Chef das ersehnte Angebot: alle drei sollen Partner der Company werden.

Am Ende erweist sich, daß die, die andere mit teils tödlicher Konsequenz über den Tisch ziehen, selbst die Betrogenen sind und daß ihr vorgetragener Sarkasmus und ihre Fuck-Off-Haltung der Wirklichkeit von Gewehrsalven nicht standhält. Angelernte Fassaden stürzen ein, Neurosen brechen sich Bahn, aus Kontrollfreaks werden zitternde, kotzende, schreiende Nervenbündel.

Zeit der Kannibalen wurde 2014 zunächst als Film (Regie Johannes Naber, Drehbuch Stefan Weigl) in Szene gesetzt und erhielt beste Kritiken. Anke Westphal nannte ihn in der Frankfurter Rundschau einen der aufregendsten neuen deutschen Filme der vergangenen Jahre [2], obwohl er fast ausschließlich im Studio gedreht wurde. Ein Kammerstück für drei Personen, das auch auf der Bühne seinen Siegeszug anträte, hieß es bereits bei seinem Erscheinen. Naheliegend also, daß Regisseur Johannes Naber bald eine Theaterfassung erarbeitete. Uraufgeführt wurde im November 2015 in Mönchengladbach, jetzt wird das Stück auch im Theater Die Komödianten in Kiel gespielt. Premiere war am Donnerstag, dem 28. April.


Bianca März verfolgt mit Mißtrauen ein amüsiertes Gespräch zwischen Öllers und Niederländer - Foto: © 2016 by Thomas Eisenkrätzer

Weniger Kollegen als Konkurrenten: Öller, Niederländer und Bianca März (v. lks.)
Foto: © 2016 by Thomas Eisenkrätzer

Ivan Dentler (Regie), der auch die Rolle des Frank Öllers übernimmt, ist eine temporeiche, mitreißende Inszenierung gelungen. Kurze Szenen, flotte Dialoge, ein Feuerwerk von Schlagabtäuschen, sich in die Breite entwickelnde Charaktere: Christian R. Meyer als Kai Niederländer - kalt und unbewegt und doch sichtlich genervt, mit einer Phobie vor Insekten und einer Vorliebe für immer gleiche Hotelzimmer, weil sie ein Wunder an Effizienz sind und "Zeiträume schaffen, über das nachzudenken, was man besser machen kann", der seine Koffer im Dunkeln und auf Zeit packt, um im Notfall vorbereitet zu sein, Ivan Dentler als Frank Öllers, extrovertierter als sein Kollege, der am Band eines dauerkriselnden Familenlebens hängt, das nur per Telefon existiert, weil er nie zuhause ist, Anna Nigulis als ehrgeizige Bianca März mit einem umweltneutralen Account, der den CO2-Ausstoß vermeidet, die eigentlich Ärztin werden wollte, bei einer NGO in Burundi gearbeitet hat und sich feministische Attitüden und einen Faible für fremde Kulturen bewahrt hat. Daß Bianca und Niederländer bei den Grünen sind, zeigt ein Stück Realitätsbezug zu bundesdeutscher Parteienwirklichkeit. Alle drei wollen die Welt verändern - auf ihre Weise. Öllers hat da ganz eigene Vorstellungen:

"Ich kann einfach keinen tolerieren, der mit einer dreckigen Glasscherbe kleinen Mädchen die Schamlippen absäbelt."
"Dann tu was dagegen!"
"Ja, tu ich auch."
"Ja? Was denn?"
"Ich verbreite den Kapitalismus."
"Der Kapitalismus soll die Welt retten?"
"Nein, der Kapitalismus soll diese Welt zerstören!"
"Mensch Öllers, du bist ja'n Romantiker."

Als die ersten Explosionen zu hören sind, witzelt Öllers noch über eine mögliche Steinigung oder Gruppenvergewaltigung, weil "vielleicht irgendein Kopftuchmädchen den Jungfrauentest nicht bestanden hat". Am Ende bricht die Wirklichkeit gewaltsam in die nur scheinbar hermetisch abgeriegelte Geschäftswelt.

Eine großartige und überzeugende Leistung der Kieler Theatertruppe, die sich hinter den Darstellern der Filmvorlage (Devid Stresow, Sebastian Blomberg, Katharina Schüttler), an denen die Aufführungen in anderen deutschen Städten oft gemessen wurde, nicht verstecken muß und die mit der ganzen Bandbreite schauspielerischen Könnens auch körperlich bis an die Grenzen geht - Öllers zwischen nacktem Kalkül und familiärem Versagen, Niederländer zwischen Zynismus und Neurosen, Bianca zwischen undurchsichtigem Taktieren und romantischer Gefühlsduselei. Daß die Protagonisten in Kiel etwas jünger sind, macht manche Szenen sogar glaubhafter, etwa das ausgesprochen angstdevote Verhalten dem neuen Chef gegenüber. Dazu ein brillanter Markus Dentler in der Rolle des 'new boss' John Schernikau, der per Videokonferenz zugeschaltet wird, und eine variable Liesa Strehler als Zimmermädchen und Hotelpage. Beim anhaltenden Schlußapplaus verweist Regisseur Ivan Dentler zu Recht auf die hervorragende Leistung der Technik, die aus dem Off die bedrohliche Wirklichkeit in die Beraterblase des Hotelzimmers transportiert, per Telefon, Videozuschaltung oder donnernder Geräuschkulisse.


Öllers und Niederländer (stehend) bringen Bianca März (sitzend) in Bedrängnis, im Hintergrund das Zimmermädchen Aisha mit einem Tablett - Foto: © 2016 by Thomas Eisenkrätzer

Eskalierende Lage
Foto: © 2016 by Thomas Eisenkrätzer

Wo Rolf Hochhuths McKinsey den Opfern einer Diktatur der Weltwirtschaft eine Stimme gibt, beschäftigt sich Stefan Weigl mit den Tätern. Trotzdem ist das Stück weniger eine Kapitalismus- oder eine Globalisierungskritik, noch bildet es das tatsächliche Berufsbild eines Unternehmensberaters ab. Eher lebt es von sarkastischen, tabubrechenden Sprüchen, von einem Dauerfeuer brutalisierter Wortgefechte, auf kein Gespräch gerichtet, sondern selbst Teil des Konkurrenzkampfes. Wo Facebook "was für Loser ist", die mit nichts anderem beschäftigt sind, als sich gegenseitig die Unterhosen zu zeigen, karmagläubige Inder als bestes Menschenmaterial gehandelt werden, auf das man keinesfalls verzichten sollte, weil sie wissen, daß "geschlagen werden ein Zugewinn" ist - "so wissen sie, daß sie es nicht anders verdienen" -, wo Öllers Vorschlag, alle Straßen und Plätze in Berlin nach Konzentrationslagern zu benennen, den ersten Szenenapplaus erntet und chaotische Zustände gehypt werden, weil sie marktförderlich sind, geht es um wenig mehr als vordergründige Effekthascherei. Jeder weiß, was gemeint ist und kann angelesene Zahlen und Fakten beisteuern - aber eigentlich ist das alles egal.

Stefan Weigl, auf dessen Buch auch die Bühnenfassung basiert, kennt, wovon er schreibt. Als Werbetexter hat er viele Jahre für Banken und große Firmen Marketingkonzepte erstellt. Seine Dialoge sind brutal und zynisch, aber auch klischeehaft und banal. Es sei, sagt er, ein Kampf mit Worten, der dazu diene, sich abzugrenzen, sich selber hochzupuschen, sich zu bestätigen, daß man zu einer bestimmten Gruppe gehört. [1] Das sei wahnsinnig wichtig, zumal bei Menschen, möchte man hinzufügen, die ohne Bezug sind zu irgendwas, weder zu ihrer Umgebung noch zu sich selbst.

Auch das macht den Erfolg des Stückes aus: daß man sich für einen Abend vom moralingetränkten Betroffenheitsgeplänkel verabschieden darf, sich erholen kann vom schlechten Weltgewissen und einer Anständigkeitskultur, die erfahrungsgemäß dem Ansturm von Krieg und Elend ohnehin nur sehr bedingt standhält.

Ein brisanter Stoff - leicht verdaulich gemacht. Eine Komödie über ein ernstes Thema. Er habe eine humoristische Herangehensweise gewählt, sagt Weigl, das Stück solle ja auch Spaß machen, sonst könne man das nicht aushalten.


Die Darsteller lachend im Vorraum des Theaters - Foto: © 2016 by Schattenblick

Gut gelaunt nach einer gelungenen Premiere: Christian R. Meyer, Liesa Strehler, Anna Nigulis, Markus Dentler und Ivan Dentler (v. lks.)
Foto: © 2016 by Schattenblick


Anmerkungen:


[1] http://www.fr-online.de/film/-zeit-der-kannibalen--der-sound-des-dschihad,1473350,27196124.html

[2] http://www.deutschlandradiokultur.de/bitterboese-komoedie-witzfiguren-des-kapitalismus.1287.de.html?dram:article_id=285682

5. Mai 2016


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