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BERICHT/073: Die Bühne der Forschung ... (SB)


Projeto Brasil - Tropicalypse Now!
Michelle Moura: FOLE
am 09.06.2016 auf Kampnagel in Hamburg

FOLE - eine Kernfrage.


Etwas stur mutet sie an, unverständlich, kalt und fremd. Die Forschung ist nicht da zum Wohlfühlen, auch nicht zum Kuscheln oder gar zum Vergessen. Mit selbstverständlichem Gleichmut begibt sich Michelle Moura in die sofort schwierige Lage, genau die ihre mit einem Publikum zu kommunizieren.
Die Bühne ist ein weißes Quadrat, das Licht sehr hell im ganzen Raum. Dort beginnt ihr Prozess, ganz von vorne, gleich wie in jedem anderen Labor. FOLE: wörtlich übersetzt bedeutet es in etwa Blasebalg. Und so arbeitet die brasilianische Choreografin in ihrem Solo in dem Bogen zwischen An- und Entspannung, aufbäumen und Zusammenfall. Dies ist erst einmal auch eine Praxis, auf welche sich im Tanz ganze Techniken begründen. Doch dann kommt die Frage, der sie folgt: Was bewegt den Körper? An diesem Punkt wird die Forschung zum Drang und straft jede Behauptung Lügen, sie sei kalt, trocken oder gar ermüdend.


Tänzerin in Aktion - Foto: © 2016 by Cristiano Prim

Foto: © 2016 by Cristiano Prim

Im Raum baut Moura eine Präsenz der Kontinuität auf. Nie im Stillstand bewegen sich ihr Körper, ihre Stimme und ihr ganzes Sein fortwährend voran, immer zwischen beiden Enden eines Blasebalgs. Mit langen, schwarzen Streifen bemalt ist ihr Körper. Das unterstreicht nur den Eindruck, den man bekommt, während sie sich beinahe in Ekstase zu tanzen scheint, daß ihre Fragen sich nicht rein aus der Bewegung speisen. Sie erforscht alte brasilianische Rituale und Zeremonien, spirituelle Weltansichten und Therapien. Nur leicht und an einigen Stellen wird ihr Tanz und die Intention von Licht und Tönen unterstützt, die nicht aus Moura selbst entspringen. Es entsteht so ein vierzig minütiges Solo, das den Zuschauer mitnimmt auf eine Reise der Kontinuität, der Ekstasen und Zusammenbrüche und während dem sich in mir die Frage entspann, ob es genau das Moment ist, aus dem wir gerade kommen, welches unseren Körper im nächsten Schritt bewegt.
Das Publikum indes hat gekämpft. Während zu meiner rechten nicht selten der Blick auf die Uhr fiel, wurde zu meiner linken getuschelt und gekichert. Eine Gruppe verließ den Raum.
Forschung - oft lächerlich anmutend, pedantisch, etwas verschroben und bestimmt nicht bekömmlich zu verdauen - hat sich doch auch nie, auch wenn öffentlich präsentiert, zur Volksunterhaltung gemeldet. Was sie tut, und das hat sie mit Moura gemein, ist, den Antworten weitere Fragen zu liefern und sich so auf den Weg zu begeben, der fern ist von seichter Unterhaltung und zugänglichem Spaß, dem zu begegnen, was wirklich neu ist und brennt.

12. Juni 2016


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