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BERICHT/081: Wer einmal aus dem Blechnapf frisst - zur Sache gebracht ... (SB)


Wenn die Bühne das bessere Buch ist
Wer einmal aus dem Blechnapf frisst

Aufführung am 17.03.2017 im Thalia Theater Hamburg


Es ist manchmal sehr schwierig, bei klassischer Literatur den Überblick zu behalten und es passiert leicht, dass der eine oder andere große Klassiker unbemerkt an einem vorbeizieht. So erging es mir mit "Wer einmal aus dem Blechnapf frisst", ein Roman der 1932 vom deutschen Schriftsteller Hans Fallada geschrieben wurde. Wohl hatte ich den Titel irgendwann schon einmal gehört, doch bewusst wahrgenommen hatte ich weder Autor noch Buch. Ungeachtet dieser Wissenslücke hatte ich den Auftrag, über eine Bühnenadaption dieses ausgewiesenen Klassikers zu schreiben und die Aufführung stand kurz bevor. Während ich also im Foyer des nicht weniger namhaften Theaters stand und auf die Öffnung der Saaltüren wartete, blätterte ich ein wenig in dem Roman herum, der dort, auf einem kleinen Tisch in einer Ecke, zum Verkauf angeboten wurde. Neugierig schlug ich das Buch irgendwo in der Mitte auf und fing an zu lesen. Doch schon nach wenigen Sätzen blickte ich auf und raunte meiner Begleitung zu: "Dieses Buch werde ich vermutlich nie lesen. Es ist gar nicht schön geschrieben!". Der Schreibstil wirkte auf mich roh, die Sätze abgehackt und es war wenig Charmantes daran zu finden. Hinter dem eher tristen Einband vermutete ich nach meiner Stippvisite eine anstrengende Geschichte, die womöglich nur in ihrem zeitlichen Kontext wirklich verstanden werden konnte. Etwas angespannt in Erwartung dessen, was in den nächsten zweieinhalb Stunden passieren würde, zückte ich ergeben den Notizblock und machte mich bereit, im dunklen Theatersaal einige unleserliche Stichworte darauf zu kritzeln.

Nun: manchmal ist es sehr wichtig, das Quellenmaterial zu kennen und manchmal besteht die Schönheit eines Theaterstückes darin, eben nicht zu wissen, was einen erwartet. Die Geschichte führte mich und meine Begleitung von einer berliner Gefängniszelle in das Hamburg der 1920er Jahre. Im Hafen wurden noch Säcke und Kisten auf die Schiffe verladen und auf St. Pauli war der Abend, an dem man aus dem Gefängnis entlassen wurde, bei jeder Hure umsonst. Nur der Jungfernstieg scheint sich kaum verändert zu haben, er ist damals wie heute ein merkwürdiger Ort. Eine absonderlich verschnupft wirkende Blase, in der Arm und Reich, ein Junge aus Billstedt und ein Mädchen aus Blankenese, zwar aufeinandertreffen, doch ebenso selbstverständlich aneinander vorbei gleiten. In diesem Hamburg nun kommt Willy Kufalt an, der jüngst aus einer fünfjährigen Haft entlassen wurde. Erwartungsvoll und selbstsicher, denn er hat seine Strafe verbüßt und ist erpicht darauf, von nun an ein anständiges Leben zu führen. Nur einen kleinen Job mit geregeltem Einkommen möchte er, vielleicht auch irgendwann eine Frau kennenlernen. Schnell jedoch muss er erkennen, dass seine Umwelt nicht das geringste Interesse daran hat, ihm auch nur das allerkleinste Zugeständnis zu machen. Der Stempel auf seinen Entlassungspapieren zeichnet seinen Weg vor: sein Arbeitsgeld bekommt er selbstredend nicht ausgezahlt und was ihm jenseits der Zellwände entgegentritt, ist eine genauso undurchdringliche Wand aus Bürokratie, Niedertracht und Machtmissbrauch, die ihn zusehends zermürbt. Die einzige, immer wiederkehrende Konstante in Kufalts Leben wird das tägliche Scheitern an allen Fronten. Doch Willy Kufalt ist nicht so leicht klein zu kriegen: akribisch, pflichtgetreu und scheinbar unverwüstlich versucht er, die Hürden zu überwinden, die ihn von einem guten und rechtschaffenen Leben trennen. Und während er mit dem Charme eines Besessenen gegen die Umstände ankämpft, beginnt ihn diese Welt zu langweilen, die ihm an jeder Ecke grinsend ins Gesicht lügt. Als die vor ihm baumelnde Karotte, die vermeintliche Chance auf ein faires und angenehmes Leben, ihm ranzig wird, beschließt er, ein waschechter Krimineller zu werden. Die Aussicht, eines Tages wieder im Gefängnis zu landen, erscheint inzwischen sogar recht schön, ist dies doch ein Ort, an dem er die Spielregeln von Lug und Trug kennt. Was folgt, ist eine Kette aus kleinen Betrügereien, Juwelendiebstahl und am Ende ein Mord, die ihn schlussendlich auch dorthin zurückbringt.

Obwohl die Geschichte von Willy Kufalt tatsächlich zeitlos und universell ist, versetzt die Inszenierung von Luc Perceval die Zuschauer mitten in den Zeitgeist der 1920er Jahre. Roter Faden ist dabei ein Bänkelsänger in Frack und Zylinder. Mit wehmütigen Schlagern von Liebe und Tod begleitet er den qualvollen Niedergang des Protagonisten in Momenten kurz aufflackernder Hoffnung und in denen der größten Enttäuschung. En passant entsteht dadurch eine ganz besondere Atmosphäre. Zudem wurde dem gesamten Stück ein dezenter Klangteppich aus Rauschen und Knistern unterlegt, der subtil das Gefühl einer alten Schallplatte vermittelt. Das Bühnenbild wurde wirkungsvoll reduziert auf einen großen Vorhang, der dezent mit Schatten von Menschen und Gegenständen bespielt wird. Im Zentrum steht, stets monolithisch, der von Tilo Werner verkörperte Willy Kufalt, um den herum die Welt verrückt zu spielen scheint. Als einziger Charakter bleibt Kufalt stets ernst und zielgerichtet, alle anderen Darsteller dagegen wirken hektisch, quirlig und irrsinnig. Im Ergebnis wirkt das Stück in seiner eigentlich vollkommen abstrusen Mischung aus Wahnsinn und Starrsinn dennoch homogen und insbesondere durch den Gesang von Hendrik Lücke erstaunlich rund. Auch die recht lange Spieldauer von etwa 150 Minuten ist geschickt gewählt, um den Zuschauer in die Geschichte eintauchen zu lassen.

Meine Befürchtungen, ein langes, schweres, altbackenes Theaterstück ertragen zu müssen, waren also unbegründet. Auch jetzt werde ich den Roman vermutlich nicht lesen wollen, denn ich glaube, die Art, wie er geschrieben wurde, hat tatsächlich viel mit dem zeitlichen Kontext zu tun. Die Geschichte, die er erzählt, ist jedoch zeitlos, denn das gesellschaftliche Grundprinzip, einerseits zu behaupten, jeder der es nur ausreichend wolle, hätte die Chance auf ein selbstbestimmtes Leben und andererseits alles irgend Mögliche zu tun, um genau dieses zu verhindern, verbleibt universell.

24. März 2017


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