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BERICHT/093: Kampnagelsommer - gut inszenierte Beliebigkeit ... (SB)



Das Stück "Bacantes - Prelude to a Purge", übersetzt "Bakchen - Vorspiel zu einer Reinigung", von der portugiesischen Choreographin Marlene Monteiro Freitas, das am 24. August auf dem Kampnagel Sommerfestival 2017 Deutschlandpremiere feierte, basiert auf dem Drama "Die Bakchen" von Euripides, das zu den größten Tragödien der griechischen Klassik gehört. Vielleicht wurde deshalb mehrmals im Begleitheft auf den "losen" Bezug hingewiesen, denn die Choreographie von Monteiro Freitas ließ Dramatik vollkommen vermissen.


Tänzerin steht auf einem Fuß, Hand vor dem einem Auge, hinter ihr ein Posaunist und drei Tänzer auf Stühlen sitzend - Foto: © 2017 by Filipe Ferreira

Schlichte Bühneneleganz
Foto: © 2017 by Filipe Ferreira

Bei Euripides' "Bakchen" dreht sich laut Nietzsche alles um das Ringen zweier Prinzipien, zwischen der apollinischen Vernunft und der dionysischen Unvernunft. Von jenem Gegensatzpaar war bei "Bacantes - Prelude to a Purge" jedoch nichts zu spüren. Die Elemente des Stücks wirkten beliebig. Zur Unterstreichung des nicht-linearen Charakters der Choreographie war diese bereits im Gange, als das Publikum in den Saal hineingelassen wurde. Zwischen den Handlungen der einzelnen Akteure - acht Tänzer und fünf Posaunisten - war ein Zusammenhang trotz allen Interagierens nicht zu erkennen. Möglicherweise sollte auf die Sinnlosigkeit des menschlichen Daseins abgehoben werden - vielleicht auch nicht.


Zwei Tänzerinnen im Sitzen blicken seitlich mit großen Augen Richtung Publikum - Foto: © 2017 by Filipe Ferreira

Was guckst Du?
Foto: © 2017 by Filipe Ferreira

Die Inszenierung an sich war von sehr hoher Qualität. Sowohl das durch gelbe und schwarze Linien gezeichnete Bühnenbild mit niedriger Decke und einer langgezogenen Leinwand im Hintergrund als auch die Kostümierung der Tänzer und der Posaunisten waren durchdacht und wirkungsvoll. Monteiro Freitas und ihre Truppe haben musikalisch und körpersprachlich, ganz besonders in der Mimik, Großartiges geleistet. Es soll in keiner Weise die Mühe in Frage gestellt werden. Doch beispielsweise der running gag, zu was man alles einen Notenständer umfunktionieren kann - Gewehr, Kopfhörer, Staubsauger, Schreibmaschine, Spiegel, Periskop u. v. m. - hat nach mehr als zwei Stunden irgendwann seinen Reiz verloren.


Zwei Tänzer und eine Tänzerin tun, als ob sie laufen, im Sitzen - Foto: © 2017 by Filipe Ferreira

Auf der Stelle treten
Foto: © 2017 by Filipe Ferreira

Zwischendurch wurde die Hektik auf der Bühne durch das Abspielen eines Segments der Schwarzweiß-Dokumentation "Extreme Private Eros: Love Song 1974", in dem die ehemalige Freundin des Regisseurs Kazuo Hara zu Hause allein ein Kind zur Welt bringt, unterbrochen. Danach stürzte sich die Kompanie in eine wilde Schlußphase zu Maurice Ravels Boléro. Die blutroten Hände, mit denen die drei Tänzerinnen ihre Finger vor dem Mund wiederholt ver- und entknoteten, spielten auf die Geburtsmetapher an. Nach dem Schlußakkord des mehr als zehn Minuten langen Boléro war auch Monteiro Freitas' Stück zu Ende - einfach so. Es blieb ein Gefühl der Leere zurück. Die durch die Anlehnung an Euripides in Aussicht gestellte Katharsis ist ausgeblieben, und zwar aufgrund des Fehlens einer Gesamtkonzeption, die als Absicht zu erkennen gewesen wäre und die das Ganze zu mehr als der Summe der Einzelteile gemacht hätte.


Vier Posaunisten sitzen, drei mit Saugglocken auf dem Kopf; ein fünfter hält zwei Saugglocken vor die Brust - Foto: © 2017 by Filipe Ferreira

Bin ich hier richtig?
Foto: © 2017 by Filipe Ferreira


26. August 2017


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