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BERICHT/104: 35 Jahre Theater Die Komödianten in Kiel - Bühne, Bindung und Diskurs ... (SB)



Zum 35jährigen Theaterjubiläum der Komödianten in Kiel spielte Markus Dentler noch einmal BAGGER von Henning Mankell

Der Mann traut sich was. Vor 35 Jahren gründete Markus Dentler, Theatermann mit Tradition und Leidenschaft, in Kiel das erste Privattheater Schleswig-Holsteins. Der Name ist Programm im besten Sinne: Die Komödianten. Den gebürtigen Schwaben, der selbst aus einer Künstler- und Theaterfamilie stammt, verschlug es nach einigen Bühnenwanderjahren 1984 endgültig in den Norden der Republik. Zunächst in einem ehemaligen Speisesaal am Kieler Westring untergebracht, zog das Theater nach einem Jahr in die alte Schlosserei an der Wilhelminenstraße. Allein - dort gab es keine Bestuhlung - und Geld dafür war auch nicht da. Daher wurden die Zuschauer gebeten, statt eines Eintrittsgeldes einen Stuhl mitzubringen und so entstand ein bunt zusammengewürfeltes, einmaliges, unverwechselbares Interieur und von Beginn an eine ganz besondere Verbindung zum Publikum, die bis heute spürbar ist.


Bühnenbild mit Bar und leerem Stuhl - Foto: © 2019 by Schattenblick

Blick in die Theaterkulisse
Foto: © 2019 by Schattenblick

Theater sollte aber nicht nur auf der Bühne des kleinen Zimmertheaters stattfinden, Markus Dentler lockte sein Publikum schon früh mit den verschiedensten innovativen Formaten ins Freie, auf die Kieler Förde, mit Goethe ins Schwimmbad, in Busse, Wohnzimmer, Landgasthöfe und Museen oder auf die Halligen. Er erfand den Sklavenmarkt, das Hundetheater und den Menschenzoo. Vom Kieler Leuchtturm hat er es Poesie regnen lassen, las Liebesgedichte von Goethe, Schiller und Shakespeare in der UNO. Und im Innenhof des Kieler Rathauses entführt Saint-Exupéry's Der Kleine Prinz sommers seit nunmehr 25 Jahren das Publikum auf seine Planetenreise.

Dentler gastierte mit seiner Truppe in Kiels Partnerstädten Kaliningrad, Gdynia, Brest und Coventry, um nur einige wenige Stationen zu nennen, war weltweit unterwegs von Moskau bis New York, von Mazedonien bis Massachusetts, von Berlin bis Buenos Aires und auf Kuba. Für sein europaübergreifendes Engagement wurde er 2014 "für seine außergewöhnlichen Verdienste um das kulturelle Leben Kiels" mit der Andreas-Gayk-Medaille ausgezeichnet.


Markus Dentler und Christoph Munk nach der Vorstellung an der Bar des Bühnenbildes - Foto: © 2019 by Schattenblick

Markus Dentler und Christoph Munk lassen 35 Jahre Theatergeschichte Revue passieren
Foto: © 2019 by Schattenblick

Unvergessen auch die Reise zusammen mit Regisseur Christoph Munk nach Managua in den 80ern zu Ernesto Cardenal, einem der bedeutendsten Dichter Nicaraguas und nach der Revolution der Sandinistas acht Jahre lang Kulturminister, Christ und Marxist und Träger des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels 1980, mit dem Dentler seit geraumer Zeit im Briefwechsel stand. "Markus eroberte dieses Ministerium im Handstreich", weiß Christoph Munk in seinem Jubiläumsrückblick zu erzählen, "schiebt die beiden Telefonfräulein beiseite, rennt die Treppe hoch, entdeckt Ernesto Cardenal auf dem Flur und ruft 'Erneschto, i bin do!'" In Zusammenarbeit mit den deutschen Botschaften wurde innerhalb von nur einem Tag eine Tournee nach Managua, Costa Rica und Guatemala organisiert. "Die Kulturattachés waren sich einig, die Ministerien waren sich einig. Wir sind voller Hoffnungen zurückgefahren", erinnert sich Munk. Leider scheiterte das Projekt am Einspruch des Goethe-Institutes, das "sich weigerte, eigene Planungen von Menschen anzuerkennen und zu bezahlen. Was wir ins Ausland schicken, das bestimmen wir im Goethe-Institut und sonst niemand." - "Aber was wir mitgebracht haben, ist immerhin die Genehmigung von Ernesto Cardenal, ganz offiziell, all' seine Texte tantiemenfrei aufzuführen", fügt Dentler nicht ohne Stolz hinzu.

Auch auf der eigenen Bühne in der Wilheminenstrasse ist das Programm seit jeher vielfältig, eine gelungene Mischung aus Avantgarde und Tradition, ernsten Themen und unterhaltsamen Boulevardstücken, gewürzt mit einer Prise Lesung und einem ordentlichen Schuß Musik. Der Erfolg gab den Komödianten recht. Was zunächst auf eine sehr überschaubare Zeitspanne ausgelegt war, geht jetzt ins 35. Jahr. "Man kann das Publikum doch nicht alleine lassen", sagt der Theaterchef.


Markus Dentler grüßt aus dem Führerhaus eines Baggers - Foto: © 2004 by Thomas Eisenkrätzer

Markus Dentler als Baggerfahrer 2004
Foto: © 2004 by Thomas Eisenkrätzer

Zum Jubiläum war Markus Dentler am 3. Mai noch einmal in seiner Paraderolle zu erleben, als Rune F. Lindgren in Henning Mankells Bagger, eine Rolle, so urteilte die Presse seinerzeit, die der schwedische Erfolgsautor ihm auf den Leib geschrieben haben könnte. Das Stück aus dem Jahr 2002 habe er damals in Ystad gesehen, "verstanden habe ich nichts, aber ich habe gesehen, wie die Leute vom Lachen ins Weinen gefallen sind und zurück."

Grund genug, für eine Übersetzung zu sorgen und das Stück 2004 als deutsche Erstaufführung nach Kiel zu holen. Bagger ist ein Monolog über Schein und Sein, über Hoffen und Scheitern, Wollen und Nichtkönnen. Über die Erkenntnis des eigenen Versagens und die Unfähigkeit, es zu ändern. [1]

Im grün-weiß gestreiften Hemd, rosa gemusterter Krawatte und zurückgegeltem Haarkranz hat sich Rune sorgfältig vorbereitet auf ein Rendezvous mit "der heißesten Lady, die du dir vorstellen kannst" in einer Bar, die schon bessere Tage gesehen hat. Aber er muß sich in Geduld üben. "Ohne Geduld läuft nichts", lautet eine seiner zum Besten gegebenen Weisheiten, von denen er einige auf Lager hat, daß Ehrlichkeit absolut sein muß und wahre Schönheit von innen kommt ... Der sichtbar in die Jahre Gekommene sinniert über sein Leben, seinen Vater, der vergeblich im Keller einen pflanzlichen Maschendrahtzaun zu züchten versuchte, seine Ex-Frau, die ihn für einen Anderen mit mehr Haaren auf dem Kopf verlassen hat - "Mit Glatze und Eierkopf wirst du nichts bei den Frauen" - und seinen frühen Traum vom Fußballprofi, der sich nach 46 Sekunden auf dem Platz ohne Ballkontakt erledigte. Jetzt gehören ihm 49 % eines Baggers, was bedeutet, daß sein Kompagnon Johannson mit seinen 51 % bestimmt, wo 's lang geht, während Rune schuften muß.

Zur Lage seines Landes hat er eine ganz eigene Meinung. daß es mit einem riesengroßen Bagger einmal gründlich plattgemacht werden müßte für einen kompletten Neustart, man die Steuern besser durch ein Lottospielsystem ersetzen sollte, was nicht nur gerechter, sondern auch lukrativer wäre, und für eine erfolgreiche Politik eine neue Partei vonnöten sei, die Partei der Unzufriedenen PDU. Er sei kein Rassist, sagt er, gegen die Ausländer, die Dänen, habe er nichts, aber die Illegalen, die müssen raus. Und Gott? Gott ist ein Rubbellos.

Dentler inszeniert diesen zunehmend betrunkenen 'Verlierer im Alltag', wie ihn Regisseur Christoph Munk fast liebevoll nennt, mit Hingabe, variantenreicher Sprache und Gestik und einer präzisen Mimik, die sich Zeit läßt und jede Gefühlsregung mitnimmt. Das ist sehr komisch, manchmal traurig, bisweilen beklemmend ob der rechtspopulistischen Anklänge mancher Äußerungen des Protagonisten, dabei hoch aktuell. Ein gelungenes Solo, ein deftiges Stück Gesellschaftsporträt - Markus Dentler at his best.

Am Ende ist die Schöne nicht gekommen, aber Rune Lindgren hat sich, den fiktiven Barkeeper und sein Publikum aufs trefflichste unterhalten. Ein Typ, räsoniert Christoph Munk in seiner Festrede, "der nichts zu bejubeln hat in seinem Leben, aber trotzdem sich nicht weinend auskotzt am Tresen, sondern er läßt sich tragen von einem Traum. Und das ist, was das klassische Theater bestimmt, daß es immer einen Traum hat. Und auch wenn er diesen Traum am Ende in Flammen aufgehen läßt (das Bild seiner Angebeteten im Aschenbecher verbrennt, Anm. d. Red.) - und das ist das Schöne am Theater - er wird morgen Abend wiederkommen."

Man kann der Truppe um Markus Dentler für 35 Jahre Steh- und Spielvermögen nur gratulieren. Reich geworden sind sie - trotz einiger Unterstützung durch Sponsoren und die Stadt Kiel, wie Kulturchef Scheelje in seiner Begrüßungsansprache bedauernd feststellte, ein winzig kleiner Teil im Verhältnis zu den großen Theatern - dabei nicht, fahren immer noch eher Rad als Royce, aber: "Zwei Bretter und die Leidenschaft zu spielen - mehr brauchst du nicht", zitierte Dentler bereits vor 10 Jahren den spanischen Dichter Lope de Vega (1562-1635). Und es ist diese Leidenschaft, Lust und Spielfreude, sichtbar, hörbar, fühlbar, die die Zuschauer immer wieder ins kleine Zimmertheater und auf die inzwischen neue Bestuhlung treibt, so es sie denn darauf hält. Der Abend endete einmal mehr mit tosendem Applaus.

Ein Hoch auf die Kunst, auf die Kreativität, auf die Komödianten von Kiel. Let the show go on!!


Gelb blühender Strauch vor dem Theater - Foto: © 2019 by Schattenblick

Blumen zum Jubiläum
Foto: © 2019 by Schattenblick

Anmerkung:
[1] https://www.dtver.de/de/author/details/index/id/864


13. Mai 2019


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