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TIERHALTUNG/462: Neues aus dem Hennenkäfig (PROVIEH)


PROVIEH Heft 3 - Oktober 2008
Magazin des Vereins gegen tierquälerische Massentierhaltung e.V.

Neues aus dem Hennenkäfig
Schafft das Bundesverfassungsgericht bald Abhilfe?

Von Stefan Johnigk


"Der Käfig ist tot" - Es lebe der Käfig! Ist so die Proklamation gemeint, die Helmut Born, Generalsekretär des Deutschen Bauernverbandes jüngst verbreitete? Ende 2008, in wenigen Wochen, läuft die Übergangsfrist für Käfighaltung ab und Deutschlands Käfighennen kommen endlich raus aus dem Käfig. Doch für die meisten heißt es gleich wieder rein - in die deutsche Variante der sogenannten "ausgestalteten Käfige" nach EU-Norm. Sie wird der Öffentlichkeit von den Werbestrategen der Eierindustriellen euphemistisch als "Kleingruppenhaltung", "Kleinvoliere" oder gar "Hühner-WG" verkauft.


Kleingruppe = Großkäfig

In den neuen Großkäfigen teilen sich nicht wie früher 4 Hennen, sondern 20 bis 60 Hennen einen Käfig. Die Deckenhöhe von 50 bis 60 cm in den "Kleinvolieren" (volare: Lateinisch für "fliegen") bietet nicht einmal genügend Raum zum Flügelschlagen auf der Stelle stehend. Lobbyisten des Bauernverbandes und der Käfigeierindustrie fordern für diese Verbrauchertäuschung gar noch eine eigene Kennzeichnung auf Schaleneiern. Die "3 = Käfigei = Quälerei" passt ihnen nicht ins Marketingkonzept. Wäre auch eine Kennzeichnung der verarbeiteten Eier Pflicht, so wäre den Qualeiern bald der Markt ganz entzogen. Dafür kämpft PROVIEH Seite an Seite mit Verbraucherschützern.

Hoffnung auf ein endgültiges Verbot der Käfighennenhaltung bringt ein Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht (BVG). Wie PROVIEH bereits berichtete (siehe z. B. Heft 4/2006 und 1/2007), stellte das Land Rheinland-Pfalz am 25.06.2007 einen Normenkontrollantrag zur Tierschutz-Nutztierhaltungsverordnung. Die sogenannte "Kleingruppenhaltung" - auch Seehofer-Käfig genannt - verstößt gegen das Tierschutzgesetz, weil sie in keiner Weise die Lebensbedürfnisse der Hennen hinreichend berücksichtigt. Schon in seinem Urteil von 1999 zum Verbot der herkömmlichen Käfighaltung konstatierte das BVG, dass zu einer verhaltensgerechten Unterbringung von Hennen die ungestörte und geschützte Eiablage, die Eigenkörperpflege, das Sandbaden und das erhöhte Sitzen auf Stangen gehören. Nun bat das Gericht auch PROVIEH um eine fachliche Stellungnahme - eine Bitte, der unser Verein gern nachkommt.

Die "Ausgestaltung" der neuen Käfige als Antwort auf die vom BVG formulierten Mindestanforderungen für Hühnerhaltung wirkt geradezu grotesk. Sandbaden, Scharren und Picken sollen die Hennen auf einer "Einstreumatte" von gerade mal 90 cm² je Tier. Das ist, als müssten wir Menschen uns in einer Seifenschale waschen. Statt Linderung von juckenden Hautbestandteilen und Parasiten zu verschaffen, steigert dieses unzureichende Angebot nur das Bedürfnis der Hennen nach einem wohltuenden Bad im Staub. Doch auch die verzweifelten Badeversuche auf dem nackten Plastik-Gitterrost bringen keine Erleichterung.

Als "Nestfläche" stehen magere 90 cm² je Huhn zur Verfügung - ohne Einstreu und gerade mal so groß wie ein Bierdeckel. Weil meist mehrere Hennen gemeinsam in Legestimmung kommen, entsteht unvermeidliches Gedränge und großer Stress im "Nestbereich". Flüchten die Hennen nach der Eiablage vorzeitig mit ausgestülpter Kloake, picken ihre Nachbarinnen sie blutig - der erste Schritt zum so oft beschriebenen Kannibalismus. Da hilft den Technokraten nur noch Abdunkeln, damit die Hennen sich in diesen Anlagen nicht gegenseitig zerfleischen. Sonnenlicht ist, so die Käfighersteller, "systembedingt" leider nicht möglich, obgleich gesetzlich vorgeschrieben. Legehennen nehmen in der Natur Sonnenbäder bei 5.000 bis 100.000 Lux zur Vitaminbildung und für wichtige Stoffwechselvorgänge. Doch im Käfig wird ihnen deutlich weniger Licht zugestanden als z. B. einem Schwein, dem der Gesetzgeber immerhin 80 Lux zubilligt.

Hennen fliegen gerne auf einen Ast oder erhöhte Sitzstangen, um geschützt zu ruhen. Doch bei einer Käfighöhe von 50 bis 60 cm stellen die zwei symbolisch angebrachten Sitzstangen für die ca. 30 cm großen Tieren eher eine Barriere oder Stolperstange dar. Die sitzenden Hennen werden von unten mit dem Schnabel gepickt und finden keine Ruhe.

Alles in allem sind solche Beobachtungen unter Praxisbedingungen bereits ein vernichtender Eindruck im Licht der vom BVG geforderten verhaltensgerechten Unterbringung. Das hielt die Bundesregierung aber nicht davon ab, fünf Forschungsinstitute mit einem Gutachten zur Qualität der "Kleingruppenhaltung" im Umfang von rund 1,4 Millionen EUR zu beauftragen. Die Hälfte dieser Gelder stammt direkt aus der auf Geflügelproduktion ausgerichteten Industrie.

Bis heute wurden schon allein in Niedersachsen 1,9 Mio. Hennen in die sogenannte "Kleingruppenhaltung" eingestallt. Aufnahmen aus dem Alltagselend in diesen neuen Eierfabriken stehen im klaren Kontrast zu den Werbefilmchen der Käfighersteller. Sie belegen zweifelsfrei, was PROVIEH und andere Tierschützer seit langem öffentlich äußern. Die Seehofer-Käfige sind reine Industrieanlagen. Den Hühnern aber bringen sie keine wesentlichen Daseinsverbesserungen.

Doch nicht in allen Bundesländern wird so freudig in die neuen Seehofer-Käfige investiert wie in Niedersachsen. Die Geflügelwirtschaft in Thüringen setzt lieber auf Haltungssysteme am Boden, im Freiland oder gar nach Öko-Standards. So sollen Fehlinvestitionen vermieden werden, denn dem deutschen Käfig gibt man hier keine großen Zukunftschancen. "Uns ist klar, dass die Kennzeichnung von Eiern aus dieser Haltung die "3" für Käfighaltung bleiben wird", äußerte sich ein Vertreter des Verbandes der Thüringischen Geflügelwirtschaft gegenüber PROVIEH. Aufgrund der unsicheren Zukunftsaussichten für den Seehofer-Käfig stecken auch Halter in anderen Bundesländern wie im schleswig-holsteinischen Kühren ihr Geld mittlerweile lieber in Bodenhaltungssysteme.

Gute Alternativen zur Käfighaltung sind erprobt und stehen zur Verfügung. Prof. Fölsch, Vorstandsmitglied von PROVIEH, hat schon in den 70er Jahren in der Schweiz Volierenhaltungen mit Kaltscharrraum entwickelt. Sie sind in der Praxis vielfach erprobt. Gerade die ökologische Legehennenhaltung beweist, wie auch die große Nachfrage von Handelsketten bedient werden kann. Der Ausstieg aus der Käfighaltung in Deutschland muss einen Einstieg in artgemäße Haltungen bedeuten. Das ist der Wille der Verbraucher und dafür setzt sich PROVIEH mit Nachdruck ein. Nehmen wir die Proklamation des Bauernverbandes beim Wort: "Der Käfig ist tot".


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Quelle:
PROVIEH Heft 3, Oktober, 2008, Seite 6-8
Herausgeber: PROVIEH - Verein gegen tierquälerische Massentierhaltung e.V.
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PROVIEH erscheint viermal jährlich.


veröffentlicht im Schattenblick zum 16. Dezember 2008