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TIERHALTUNG/491: Wo beginnt eigentlich Massentierhaltung? (PROVIEH)


PROVIEH MAGAZIN - Ausgabe 03 / 2009
Magazin des Vereins gegen tierquälerische Massentierhaltung e.V.

Wo beginnt eigentlich Massentierhaltung?

12 norddeutsche Demeter-Bauern im Gespräch mit Stefan Johnigk


Was ist "Massentierhaltung"? 3.000 Hennen pro Hof, 30.000 oder schon 300? Und wie ist das bei Schweinen oder Rindern? "Gar nicht so einfach zu beantworten", fanden auch norddeutsche Biobauern, die auf Einladung des Demeter-Verbandes mit PROVIEH zu einer Beratung zusammen kamen.

"Massentierhaltung" ist ein beliebter, aber irreführender Begriff. Er bezieht sich nicht in erster Linie auf hohe Tierzahlen, sondern auf das Bestreben von Investoren, bei der Tierhaltung unter Einsatz von Kapital ein Höchstmaß an Rendite zu erzielen. Immer weniger Beschäftigte auf den Höfen, immer engere Haltung der Nutztiere und immer effizientere Verwertung des eingesetzten Futters zu Fleisch, Eiern oder Milch sind dabei das Ziel. Es wird automatisiert und rationalisiert, wo es nur geht. Die Zuwendung zu den Tieren geht verloren. Diese industrielle Intensiv-Tierhaltung ist meistens gemeint, wenn von Massentierhaltung geredet wird. Die Grenzen des Zumutbaren sind schon längst überschritten.

Schon längst braucht die industrielle Intensiv-Tierhaltung keine landwirtschaftlichen Flächen mehr, sie braucht nur noch Standorte für ihre Tierfabriken. Sie beackert kein Land, sondern kauft ihr Kraftfutter auf dem Weltmarkt zusammen. Sie schert sich nicht um Stoffkreisläufe, sondern lässt die Gülle tonnenweise in Tankwagen fortschaffen, damit sie auf fremden Feldern ausgebracht oder in den hoch subventionierten Biogasanlagen mit zusammengekauftem, intensiv angebautem Mais (den "Energiepflanzen") vermischt wird. Die auf "Hochleistung" gezüchteten Nutztiere werden in den industriellen Prozess eingebunden wie leblose Produktionsmittel. Leiden und die Verletzung artgemäßer Lebensbedürfnisse sind die Folgen.

Biobauern betreiben ihre Höfe anders. Viele sind Bauern aus Leidenschaft. Nicht die Rentabilität steht für sie im Vordergrund. Der Kreislauf von Saat, Wachstum und Ernte und ein schonender Umgang mit Tieren und Umwelt sind ihnen wichtig. Sie nehmen die Fürsorgepflicht für ihre Tiere ernst und entwickeln eine persönliche Beziehung zu ihnen. Das Wohlergehen der Tiere ist wichtiger als die Ertragsmaximierung. Das klingt sehr nach Bauernhofromantik, bedeutet aber Tag für Tag schwere Arbeit. Der Einsatz technischer Mittel soll die Bauern unterstützen und nicht wegrationalisieren. Wo ein automatischer Mistschieber im Rinderlaufstall den Kot einsammelt, gewinnt der Bauer mehr Zeit für wichtigere Aufgaben. Aber auch im Biolandbau stellt sich die Frage, wie viele Tiere ein Hof halten muss, um zu überleben. Droht die "Massentierhaltung" auch bei den Ökos Einzug zu nehmen? Das kann vermieden werden, wenn sich Bauern und Kunden gemeinsam dagegen wehren, so das einhellige Ergebnis der gemeinsamen Beratung.

Das Auskommen mit dem eigenen Biohof zu erzielen ist heutzutage nicht leicht, vor allem, wenn man dem Preiskampf mit den Billigheimern ausgesetzt ist. Es erfordert Mut, bei diesem Wettrennen standhaft zu bleiben, denn das Vertrauen der Kunden zu erhalten ist überlebenswichtig. Nur dann sind Kunden bereit, die Mehrkosten für eine umwelt- und artgerechte, gesunde Tierhaltung zu zahlen, und der Biolandbau kann sich von der Billigware absetzen. Bewusstseinsbildung beim Verbraucher ist notwendig. Sie kann durch Gesellschaftervereine, Hofpatenschaften und andere Beteiligungsmodelle zwischen Kunden und Bauern vertieft werden. Organisationen wie der Demeter-Verband und PROVIEH unterstützen diese Anstrengungen und tragen auf ihre Weise zur Erhaltung der Biolandwirtschaft bei.

Aber auch Kontrolle darf nicht fehlen. Die Öko-Zertifizierungsstellen sind wichtig für die Einhaltung eines möglichst hohen Tierschutzstandards. Doch woran bemisst sich die Artgerechtigkeit einer Tierhaltung? Kann sie allein mit dem Zollstock kontrolliert werden, indem im Hennenstall die Länge der Sitzstangen und die Breite der Auslaufklappen gemessen werden? Sicherlich nicht. Viel wichtiger ist, dass Hühner zügig und ohne Streit durch die Auslaufklappen in ihren Auslauf gehen können und dies auch gerne tun. Doch um das zu überprüfen braucht man Zeit und Erfahrung. Das ist der Grund, warum Tierschutz heute überwiegend doch mit dem Zollstock bemessen wird.

Hält ein Großbetrieb mit 30.000 Hennen in 10 Ställen formal die Zollstock-Kriterien der EU-Ökoverordnung ein, steht ihm das begehrte Biosiegel zu. Er erhält einen Konkurrenzvorteil gegenüber anderen Ökobauern, die höhere Standards einhalten. Dabei kümmert es den Verordnungsgeber wenig, ob die Hühner tatsächlich durch die korrekt bemessenen Auslaufklappen ins Freiland gehen oder sich nicht nach draußen trauen, weil ihnen dort weder Büsche, Bäume oder sonstige Deckungsmöglichkeiten das Gefühl geben, sicher vor Greifvögeln zu sein. Und ob Rinder in ganzjähriger Freilandhaltung lieber in einem gebauten Unterstand Schutz vor dem Wetter suchen oder ob die ursprünglichen Waldbewohner Buschbestand und Knicks als Witterungsschutz bevorzugen, wird in keiner Verordnung hinterfragt.

Die Demeterbauern und PROVIEH sind sich einig: Eine sinnvolle Beurteilung der Tiergerechtigkeit kann nur über eine Prüfung vor Ort erfolgen. Es muss kontrolliert werden, ob die Nutztiere in ihrer Umgebung alle artgerechten Verhaltensweisen hinreichend ausüben können und dieses auch tatsächlich tun. Im Grunde müsste man die Verordnungsgeber mal aus ihren Sesseln raus auf die Höfe holen, um ihnen wieder ein wenig Bezug zur Lebenswirklichkeit von Nutztieren und Bauern zu geben. Ein Tierschutzsiegel in Form eines Punktesystems mit Kontrolle von Tiergerechtigkeit und Funktionsprüfungen der Anlagen wäre tausendmal sinnvoller als jeder Tierschutz-TÜV mit dem Zollstock.

In der industriellen Intensivtierhaltung werden Nutztiere zu "Höchstleistungen" gezwungen, worunter sie leiden und krank werden. Biobauern dagegen zeigen tagtäglich: Werden Nutztiere artgerecht gehalten, wachsen sie auch gesund auf. Gute Leistung muss nicht zu Leiden führen.


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Quelle:
PROVIEH MAGAZIN - Ausgabe 03/2009, Seite 18-20
Herausgeber: PROVIEH - Verein gegen
tierquälerische Massentierhaltung e.V.
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PROVIEH erscheint viermal jährlich.


veröffentlicht im Schattenblick zum 6. November 2009