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TIERHALTUNG/541: Verstümmelungen ade! (PROVIEH)


PROVIEH Heft 2/2011
Magazin des Vereins gegen tierquälerische Massentierhaltung e.V.

Verstümmelungen ade!

von Sabine Ohm und Stefan Johnigk


Die Kampagnenarbeit von PROVIEH trägt weitere Früchte, indem deutsche Behörden in Zugzwang gebracht wurden. Bisher wurde das vorbeugende Amputieren der Ringelschwänze von Ferkeln stillschweigend geduldet, obwohl diese Praxis gegen geltendes EU-Recht verstößt. Seit Januar 2011 gilt in Nordrhein-Westfalen (NRW) ein Erlass, der das routinemäßige Schwanzkupieren bei Schweinen erschwert. Schweinehalter müssen sich halbjährlich vom Tierarzt beraten lassen, wie Haltung, Lüftung oder Fütterung zu verbessern seien, um das Auftreten von Verhaltensstörungen wie Schwanzbeißen zu vermeiden. Erst nach einer solchen Beratung gilt das vorsorgliche Kürzen der Schwänze im Einzelbetrieb als legal. Im Mai 2011 zog die Landesregierung in Thüringen mit einem ähnlichen Erlass nach.


Zur Erinnerung: PROVIEH hatte 2009 die deutschen Landwirtschaftsminister auf den Verstoß gegen EU-Recht hingewiesen und eine Beendigung dieser Praxis gefordert. Als nichts geschah, reichte PROVIEH Ende 2009 eine Beschwerde bei der EU-Kommission ein und verwies auf die filmische Dokumentation unserer britischen Partnerorganisation Compassion in World Farming (CIWF): In ihr wird gezeigt, dass in Deutschland und anderen EU-Ländern mit viel Schweinehaltung dem Borstenvieh kein ausreichendes Beschäftigungsmaterial angeboten wird und dass bei über 90 Prozent der Ferkel ohne Betäubung der Schwanz vorbeugend gekürzt wird. Dieser Verstoß gegen EU-Recht kann für Schweinebauern sehr teuer werden, denn bei der Vergabe von EU-Agrarsubventionen gilt: Wer Geld erhält und gegen EU-Recht verstößt, kann zu Rückzahlungen gezwungen werden. Das heißt im Brüsseler Jargon "Cross-compliance".

PROVIEH ergänzte Anfang 2010 seine Vorwürfe um den Aspekt, dass die Bundesregierung die EU-Richtlinie unzureichend in nationales Recht umgesetzt hat. Die EU-Kommission ging der Beschwerde von PROVIEH nach und schickte schon im März 2010 EU-Vertreter in deutsche Landesministerien. Die deutsche Bundesregierung dagegen wiegelte nur ab und versuchte, das Problem zu leugnen mit Hinweisen auf Forschungs- und Aufklärungsarbeiten, die zur Lösung des Problems führen sollten. Deshalb wollte die EU das Beschwerdeverfahren schon zu den Akten legen. Doch die verstärkt angesetzten Cross-Compliance-Kontrollen bestätigten die angemahnten Missstände. Als PROVIEH im August 2010 zudem neue Beweise in Brüssel vorlegte, wurde die Schließung des Verfahrens verhindert. Deutsche Behörden bleiben also weiterhin unter Druck, die angemahnten Missstände endlich abzustellen.


Vollzugsdefizite schließen

Allgemein gilt, dass die Bundesregierung EU-Vorgaben in deutsches Recht umsetzen muss und dass die Agrarministerien der Länder diese Umsetzungen durch Kontrollen sicherstellen müssen. Sie müssen zum Beispiel kontrollieren, dass in den Betrieben ihrer Zuständigkeit das Verbot des routinemäßigen Schwanzkürzens eingehalten wird. Wie zuvor schon bei der Ferkelkastration beginnt es bei Bund und Ländern zu dämmern, dass sie Tierschutzprobleme nicht wie gewohnt einfach aussitzen können. Deshalb forcieren sie zurzeit Forschungsvorhaben an den landwirtschaftlichen Lehr- und Versuchsanstalten der Länder, die untersuchen sollen, mit welchen Maßnahmen Verhaltensstörungen wie Schwanzbeißen und Kannibalismus vorbeugend verhindert werden können. Das Landwirtschaftsministerium in NRW sieht das Schwanzkupieren zwar noch als wirkungsvollste Maßnahme gegen Schwanzbeißen an, macht aber zugleich unmissverständlich klar, dass es als Routineeingriff nicht mehr geduldet werde.

Angesichts des bisherigen Vollzugsdefizits haben auch deutsche Behörden einiges wieder gut zu machen. Seit Jahrzehnten heizen sie mit ihrer Förderungs- und Genehmigungspraxis die industrielle Intensivtierhaltung an, die einseitig auf billige Fleischerzeugung ausgerichtet ist. Investitionsförderungen für tierschonende Haltung, verhaltensgerecht strukturierte Ställe oder kleine Biobetriebe werden meist verweigert, weil sie "nicht wachstumsorientiert beziehungsweise nicht am Weltmarkt wettbewerbsfähig" seien. Jetzt müssen viele Schweinebauern das Kunststück vollbringen, in strukturlosen Ställen auf kahlen Vollspaltenböden und mit beschäftigungsarmem Schnellmastfutter unversehrte Schweine ohne Verhaltensstörungen großzuziehen. Steigende Futterpreise und das Preisdumping der Discounter machen ihnen zusätzlich das Leben schwer. Auf öffentliche Förderung beim Verzicht aufs Verstümmeln können sie nicht hoffen, denn für die Einhaltung geltender Bestimmungen darf der Staat keine Prämien vergeben. Doch es gibt andere Möglichkeiten.


Praxisnahe Hilfe gefragt

Die Bauern müssen so schnell wie möglich auf praktische Empfehlungen von Betrieben zurückgreifen können, die bereits jetzt erfolgreich auf das Verstümmeln verzichten. Das Landwirtschaftsministerium in NRW arbeitet mit Nachdruck an einem entsprechenden Leitfaden, der noch im Sommer 2011 vorgestellt werden soll. PROVIEH wird gemeinsam mit CIWF eine kostenlose Broschüre herausgeben, welche Beschäftigungsmaterialien für Schweine wirklich geeignet sind, um Verhaltensstörungen zu vermeiden. Darüber hinaus besucht PROVIEH als Fachverband mit konventionellen Schweinebauern solche Betriebe, auf denen Schwanzbeißen und Kannibalismus erfolgreich vermieden werden. Im Gespräch untereinander lassen sich Erfahrungen zwischen Landwirten am schnellsten weiter geben.

Ein weiterer Baustein zum Vermeiden von Verhaltensstörungen bei Schweinen kündigt sich auf EU-Ebene an. Der Umweltausschuss des Europäischen Parlaments fordert in einem Entschließungsentwurf, die Verfütterung von hygienisch einwandfreien, potenziell auch für den menschlichen Verzehr geeigneten Resten aus der Geflügelschlachtung für Schweine wieder zuzulassen. Voraussichtlich Anfang Juli 2011 wird darüber im Plenum des EU-Parlaments abgestimmt. "Es ist purer Luxus, dass wir Teile von Tieren, die wir nicht essen möchten, die aber zum menschlichen Verzehr geeignet sind, einfach wegwerfen", so die federführende SPD-Europaabgeordnete Dagmar Roth-Behrendt. Aus Nutztierschutzsicht ist dieser Schritt zu begrüßen, denn Schweine sind Allesfresser. Von Natur aus nehmen sie sehr gerne tierisches Eiweiß zu sich, vom Mäusenest über Frösche bis zum gefallenen Reh. Es könnte einen Zusammenhang geben zwischen dem Blutdurst beim Schwanzbeißen und dem Mangel an tierischen Eiweißen im Schweinefutter. Doch eine Verbesserung der Haltungsbedingungen bleibt für PROVIEH der wichtigste Schritt zur Vermeidung von Verhaltensstörungen.


Handel in der Pflicht

Tierschutzrelevante Verbesserungen in der Schweinehaltung sind nicht umsonst zu haben. Der Handel muss seiner Verantwortung gerecht werden und darf die Kunden nicht länger mit extremen Billigangeboten von Fleisch ködern. Mit dem Slogan "So nicht!" wehrt sich PROVIEH gegen Verstümmelungen beim Schwein. Aktive PROVIEH-Mitglieder haben die schwarzweiße Kampagnenkarte bereits in zahlreichen Filialen des Lebensmitteleinzelhandels verbreitet. PROVIEH setzt sich dafür ein, dass Fleisch von unversehrt großgezogenen Schweinen mit fairen Preisen honoriert wird. Trotzdem werben etliche Discounter in der Grillsaison weiter mit Schnäppchen und heizen den Preisdruck an. Das steht im krassen Gegensatz zur Werbung mit Tierschutz und Regionalität, die sich einige Ketten unverfroren auf die Fahnen schreiben. Das verärgert auch die Interessensgemeinschaft der Schweinehalter Deutschlands e.V. (ISN). "Wir müssen prüfen, wer bei den Tiefpreisen vorprescht", sagt Dr. Torsten Staack, Geschäftsführer der ISN. Und komme man nicht in Gesprächen weiter, so scheue man sich nicht, die Ketten öffentlich anzuprangern.

PROVIEH begrüßt es, wenn Tierhalter den Kampagnendruck auf den Handel unterstützen. Denn nicht nur beim Schwanzkürzen, auch bei der Ebermast und bei der Gruppenhaltung von Sauen stehen viele Veränderungen für die Bauern ins Haus. Die Zahl der ohne schmerzhafte Kastration aufgezogenen männlichen Schweine steigt weiter an. Praxisorientierte Projekte arbeiten mit Nachdruck an Lösungen, wie am Schlachtband Geruchsabweichungen erkannt werden können. Fortschritte werden auch bei Untersuchungen gemacht, inwiefern Fütterung, Stressvermeidung und Zucht die Geruchsbelastung von Ebern verringern können. Ein kompletter Ausstieg aus der Ferkelkastration, wie ihn PROVIEH seit 2008 fordert, rückt also unaufhaltsam näher.

Auch um die Gruppenhaltung von tragenden Sauen müssen sich die Schweinebauern intensiv kümmern. Sie wird ab 2013 EU-weit die derzeit noch übliche Haltung im Kastenstand ablösen. Dann dürfen Sauen nur noch zur Besamung und zum Abferkeln in engen Metallkäfigen fixiert werden. Das wird eine enorme Umstellung, wie PROVIEH bei einem Besuch mit konventionellen Schweinebauern auf dem Lehr- und Versuchsgut Futterkamp erfahren konnte. Gemeinsam mit CIWF wird PROVIEH eine Broschüre mit Tipps zur Gruppenhaltung für Sauen herausgeben. Die Bauern hierzulande können von den Erfahrungen ihrer britischen Kollegen profitieren, denn in England ist die Gruppenhaltung von Sauen schon seit Jahren selbstverständlich.


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Quelle:
PROVIEH Heft 2/2011, Seite 24-27
Herausgeber: PROVIEH - Verein gegen tierquälerische Massentierhaltung e.V.
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PROVIEH erscheint viermal jährlich.


veröffentlicht im Schattenblick zum 4. Januar 2012