Schattenblick → INFOPOOL → TIERE → TIERSCHUTZ


TIERHALTUNG/709: Sauen sollten Schwein haben (UBS)


Unabhängige Bauernstimme, Nr. 412 - Juli/August 2017
Die Zeitung von Bäuerinnen und Bauern

Sauen sollten Schwein haben
Artgerechte Tierhaltung im Abferkelbereich

von Claudia Schievelbein


Die Haltung von Sauen ist die Königsdisziplin in Sachen artgerechter Tierhaltung. Zu schlau und sensibel sind Schweine, zu anspruchsvoll sind die weiblichen Tiere rund um den Geburtsvorgang, als dass man sie in Enge zwingen sollte. Zu lange allerdings auch wurde in der Schweinezucht das Augenmerk nur auf immer höhere Ferkelzahlen gelegt, zu sehr sind die Sauen unserer Tage Gefangene ihrer eigenen Genetik. Zu niedlich sind aber auch die Ferkelchen, als dass man sie der Gesellschaft weiterhin als reine Produktionseinheiten vorstellen kann, bei denen von vorherein einkalkuliert ist, dass nicht alle es bis zum Mastschwein schaffen. Schon die von ihm selbst gemachten, gut ausgeleuchteten Bilder aus einem sauberen, laufenden Abferkelstall auf dem Betrieb des schleswig-holsteinischen Bauernverbandspräsidenten Werner Schwarz lösten vor Jahren einen Shitstorm aus. Sie taten es, weil das System aus Käfigen, so groß wie die Sau selbst, die darin ihre Jungen auf Rosten gebärt, inzwischen gesellschaftlich kaum noch akzeptabel ist. Bei der Sendung aktueller, von Tierrechtlern mit verwackelten Handkameras illegal aufgezeichneter Bilder warnte der Sender Stern TV sensible Zuschauer an den entsprechenden Stellen und wies sie an, die Augen zu schließen. Bei solchen Bildern wird im gängigen System aus Käfig und Rosten der Faktor Mensch zum Negativposten, der bei der Geburt nicht anwesend ist, um Ferkeln aus Eihüllen und Kotschlitzen zu helfen oder später dann zu kleine, schwache oder kranke Tiere nicht sachgerecht tötet. Das System aus Käfig und Kosten macht zusammen mit Kostendruck und Produktionszahlen offensichtlich nicht nur etwas mit den Schweinen in ihm, sondern auch mit manchen Menschen. Nicht erst seit es eine öffentliche Diskussion um die gesellschaftlichen Ansprüche an die Nutztier- und insbesondere an die Schweinehaltung gibt, machen sich auch Bauern und Bäuerinnen Gedanken darum, wie Dinge verbessert werden können. Jetzt trafen sie sich mit Beratern und Wissenschaftlern im Landwirtschaftlichen Bildungszentrum im niedersächsischen Echem zum Thema: "Herausforderung freies Abferkeln"

Die Sau raus

Es ist nicht so einfach, die Sau wieder rauszulassen, wenn man Jahrzehnte etwas anderes gelernt hat. Da ist zum einen der Arbeitsschutz, der immer wieder in unterschiedlichen Beiträgen der Veranstaltung Erwähnung fand. Eine aggressiv ihre Ferkel verteidigende "Elefantendame" ist kein Spaß im Umgang mit dem Betreuungspersonal und es bedarf Schutzmechanismen, aber auch wieder mehr Schulung und Zutrauen für Menschen, die bislang nur noch den Umgang mit fixierten Sauen gewöhnt waren. Artgerechte Haltungssysteme erfordern - wieder - mehr Tierbeobachtung vom Betreuer, betont Jan Hempler, Berater für artgerechte Tierhaltung bei der Landwirtschaftskammer in Niedersachsen. Ein intensives Mensch-Tier-Verhältnis sei Grundvoraussetzung für eine artgerechte Tierhaltung und müsse in der Aus- und Weiterbildung wieder stärker vermittelt werden. Beobachtung und Beziehung wurden ersetzt durch Mechanik. Bislang immer stärkstes Argument für den ja auch Ferkelschutzkorb genannten Kastenstand in der Abferkelbucht ist der Ferkelschutz. Unterschiedliche Untersuchungen kommen zu unterschiedlichen Ergebnissen in Sachen Erdrückungsverluste im Speziellen und Ferkelverluste im Allgemeinen. Zwar scheint es einen gewissen Vorteil des Kastenstandes im Hinblick auf Erdrückungen zu geben. Weitet man den Blick auf allgemeine Ferkelverluste und blickt auch in den Aufzuchtstall, so relativiert sich vieles. "Meine Beobachtung ist, dass immer mehr Ferkel, die konventionell bis zum Absetzen durchgebracht werden, dann im Aufzuchtstall verloren werden", stellt Hempler in den Raum und wird von Kollegen bestätigt. An dieser Stelle spielen wieder die zuchtbedingt gestiegenen Ferkelzahlen eine Rolle, die eben auch einen höheren Anteil schwächerer Tiere mit geringeren Geburtsgewichten zur Folge haben. "Wenn auch die Verlustraten sinken, so steigen doch immer noch die absoluten Zahlen toter Ferkel", erklärt Ralf Bussemas vom Thünen-Institut für ökologischen Landbau in Trenthorst, "und das ist ein ethisches Problem." Auch unter ökologischen Bedingungen hat er oft mehr lebend geborene Ferkel im Stall, als die Sauen aufzuziehen in der Lage;sind. Umsetzungen sind in kleineren Herden, wie sie im Ökolandbau doch noch häufiger vorkommen, schwieriger. Er spricht für eine noch gezieltere Auswahl der Sauen auf Eigenschaften wie höhere Geburtsgewichte und geringere Wurfgrößen und strenge Eigenremontierung.

Fast alles richtig

Ökosauen ferkeln unfixiert im Stroh und mit Zugang zu Auslauf, in Echem kann das im neuen Stall besichtigt werden. Dort, so sagt Jan Hempler, habe man stallbautechnisch fast alles richtig gemacht, damit freie Abferkelung gelingen kann. Die Bucht ist mit 8 m² groß genug und hat eine Seite, an der sich die Sau vorzugsweise ablegt, um Nase und Blick in den Durchgang zu "hängen". Von dort ist der Weg für die Ferkel ins Nest kurz. Die unterschiedlichen Klimazonen schaffen in der eingestreuten Bucht einen wärmeren Bereich als im Mistgang dahinter und im darauf folgenden halb überdachten Auslauf. Dort wird abgekotet, da Kontaktaufnahmen zu Nachbarausläufen möglich und Außenklimareize vorhanden sind. Auch die Ferkel, die im Prinzip ab der ersten Lebenswoche nach draußen können, nehmen das so an. Die Verlustraten liegen nicht höher als in konventionellen Ställen. Bleibt die Preisfrage, die mit 8.500 Euro pro Sauenplatz eine erhebliche ist. "Da kann ich meinen Taschenrechner gleich wieder einpacken", sagt ein Bauer halblaut. Bei momentan möglichen Bioferkelpreisen von 115 Euro ist das noch wirtschaftlich zu machen, aber eben auch nur dann.

Bewegung oder Drehung?

Perspektiven für viele Betriebe der in Deutschland noch bäuerlich strukturierten Sauenhaltung müssen her. Liegen die in den vielfach als einfachere Lösung angesehenen Bewegungsbuchten? Auch sie waren in ihren unterschiedlichen Ausführungen Thema in Echem. So stellte Barbara Voß vom Bundeshybridzuchtprogramm (BHZP) ein mit Bundesmitteln gefördertes Projekt vor, in dem Verhaltens-, Gesundheits- und bestimmte Merkmale, die das Wohlergehen der Sau erfassen sollen, erhoben werden, um daraus neue Impulse in die Züchtung zu geben. Die Projektsauen werden in Bewegungsbuchten des Stalleinrichters Big Dutchman gehalten, die während der Geburt ein Fixieren der Sau ermöglichen, sich dann aber mittels eines Schwenkmechanismus aufklappen lassen. Diese Bucht, wie auch alle anderen der Kategorie, die so eine längerfristige Fixierung der Sau versehen, braucht zwar weniger Platz als die freie Abferkelung und bietet mechanischen Arbeitsschutz, aber auch Angriffspunkte für Kritik. So wurde deutlich, dass die sechs oder sieben Quadratmeter Fläche für die großrahmigen Sauen der heutigen Zeit kaum als Bewegungs-, sondern eher als "Umdrehbuchten" bezeichnet werden müssen, bieten sie doch kaum mehr Platz als für eine Drehung. In Sachen Erdrückungsverluste verzeichnen die meisten Untersuchungen, auch die des BHZP, im Zeitraum nach der Öffnung der Fixierung einen Anstieg, der am Ende auch kaum Unterschiede zu anderen Systemen bringt. Vielleicht der größte Nachteil ist aber, dass die Sau im Moment direkt vor der Geburt, wenn sie ein Nest bauen möchte, diesem Trieb nicht nachgehen kann. Und auch die Fixierung bei der Geburt selber kann aus Sicht des Tierverhaltens nur negativ bewertet werden. Nichts desto trotz scheinen Stalleinrichter in der Bewegungsbucht mit Blick auf die gesellschaftliche Diskussion die Zukunft zu sehen. Auf Messen übertreffen sie sich mit Angeboten dazu. Beate Bünger, Wissenschaftlerin am Institut für Tierschutz und Tierhaltung in Celle und langjährige Expertin insbesondere für das Verhalten von Sauen, warnt allerdings vor "üblen Kompromissen" hinsichtlich Platz oder Fixierung. Und das Fazit? Freie Abferkelung in strukturierten Buchten oberhalb von 7,5 Quadratmetern Größe mit Stroh und Auslauf von Sauen, die eher ein paar weniger Ferkel, dafür aber mit höheren Geburtsgewichten auf die Welt bringen, ist der Königsweg. Für bäuerliche Betriebe muss er vor allem durch finanzielle Unterstützung überhaupt begehbar gemacht werden.

*

Quelle:
Unabhängige Bauernstimme, Nr. 412 - Juli/August 2017, S. 11 + 14
Herausgeber: Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft - Bauernblatt e.V.
Bahnhofstr. 31, 59065 Hamm
Telefon: 02381/490 22 20, Fax: 02381/49 22 21
E-Mail: redaktion@bauernstimme.de
Internet: www.bauernstimme.de
 
Erscheinungsweise: monatlich (11 x jährlich)
Einzelausgabe: 3,45 Euro
Abonnementpreis: 41,40 Euro jährlich
(verbilligt auf Antrag 30,00 Euro jährlich)


veröffentlicht im Schattenblick zum 26. August 2017

Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang