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TIERHALTUNG/732: Wenn Pferde sprechen könnten - Pferdeschutz im Fokus (PROVIEH)


PROVIEH MAGAZIN - Ausgabe 1/2018

Wenn Pferde sprechen könnten - Pferdeschutz im Fokus

von Kathrin Kofent


Die Welt des Pferdes hat sich verändert. Früher war es ein unverzichtbares Arbeitstier und Kriegsbegleiter, heute nimmt es in seiner Bedeutung für den Menschen eine ambivalente Stellung ein. Vom Zugtier, Milch- und Fleischlieferant, Sportgerät und -kamerad, bis hin zum Freizeitbegleiter und Freund erfüllt es viele sehr unterschiedliche Ansprüche.

Rund 1,3 Millionen Pferde leben in Deutschland. Heute wird ein Pferd durchschnittlich nicht älter als acht Jahre. In Hinblick auf eine eigentliche Lebenserwartung von 30 und mehr Jahren zeigt dies, dass in den letzten Jahrzehnten vieles falsch gelaufen ist. Der Umgang mit diesen hochsozialen Herdentieren hat sich wider ihre Natur und Bedürfnisse entwickelt. Viele Pferde leiden unter falscher Haltung, schlechtem Fütterungsmanagement, Überforderung und Missachtung ihrer Bedürfnisse und Eignung in Training und Sport. Auch im Freizeitbereich gibt es viele Probleme. Dort wollen die Tierhalter oft das Beste für ihr Pferd, doch spiegelt die Sicht des Menschen oft nicht die Bedürfnisse des Pferdes wider.


Hoffnungsvoll

Seit dem letzten Jahrzehnt haben langsam ein Umdenken und eine Sensibilisierung in Bezug auf die arteigenen Bedürfnisse des Pferdes Einzug gehalten. Manche Methoden und Techniken, welche früher durchaus akzeptiert waren, beziehungsweise es in anderen Kulturen heute noch sind, gerieten in die Kritik und wurden hinterfragt. Die Zeit scheint gekommen für eine ethisch vertretbare, dem Wesen und den Bedürfnissen mehr entsprechende Pferdehaltung und "-nutzung".

Für die Tierart Pferd gibt es leider keine Haltungsverordnung, die genauere Angaben zur Durchführung des Tierschutzgesetzes macht, sondern nur Leitlinien.

Diese Leitlinien dienen den zuständigen Behörden aber auch als Anordnungsgrundlage und im Rechtsfall können sich streitende Parteien darauf beziehen.

Da es sich bei Leilinien jedoch nicht um Rechtsnormen handelt, sind sie nicht rechtsverbindlich. Auch kommt ihnen nicht der Charakter von Verwaltungsrichtlinien zu. Sie sind Orientierungs- und Auslegungshilfe bei der Anwendung der einschlägigen Rechtsvorschriften und nicht Rechtsgrundlage.

2009 waren bereits die "Leitlinien zu Beurteilung von Pferdehaltungen unter Tierschutzgesichtspunkten" von einer Sachverständigengruppe im Auftrag des Bundesministeriums für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) neu formuliert worden. Nach 25 Jahren entschied das BMEL ebenso die "Leitlinien Tierschutz im Pferdesport" aus dem Jahre 1992 zu überarbeiten. Diese Leitlinien zeigen die Anforderungen auf, welche an Umgang, Ausbildung und Training von Pferden sowie an jegliche "Nutzung" dieser Tiere, unter den Aspekten des Tierschutzes zu stellen sind. Dies gilt insbesondere in sportlichen Wettbewerben (einschließlich Leistungsprüfungen), in der Freizeit, bei der Reiter- und Fahrerausbildung, aber auch in der Land- und Forstwirtschaft.

Im Sommer 2017 wurden zahlreiche Tierschutzverbände, Vertreter der Tierärzteschaft, die Deutsche Reiterliche Vereinigung und sonstige Verbände und Fachleute um Stellungnahmen zu einem Neuentwurf gebeten. Ziel war es, diesen Leitlinien einen möglichst hohen Stellenwert zu ermöglichen. Als ein Vertreter des Tierschutzes nahm PROVIEH auf Einladung des BMEL an zwei Sitzungen in Bonn teil. In großer Runde wurde der Entwurf detailliert diskutiert und überarbeitet. Erfreulicherweise konnten wir trotz einiger Kompromisse durchaus merkliche Verbesserungen erreichen. Größtes Streitthema war die geltende Ausnahme für Vollblüter. Diese dürfen, da sie als frühreife Pferderassen eingestuft werden, bislang bereits vor Vollendung des dritten Lebensjahres bei Galopp- und Trabrennen an den Start gehen. PROVIEH spricht sich hier gemeinsam mit vielen anderen für eine Lösung aus, die Gewinne und Prestige ausblendet und rein zum Wohle des Pferdes gefasst wird. Die Leitlinien werden voraussichtlich noch in diesem Sommer vom BMEL veröffentlicht.


Ausblick

PROVIEH hofft, dass eine breite Streuung der neuen Leitlinien über alle Verbände und die Länder so viele Pferdehalter und "Nutzer" erreicht wie möglich. Zudem soll an die Existenz der Leitlinien zur Haltung erinnert werden.

Auch im Tierschutzbeirat Schleswig-Holstein möchte PROVIEH eine Verbesserung der Situation der Pferde erreichen. Hier werden aktuell mögliche Maßnahmen erörtert und abgestimmt.

Sachkenntnisse rund um die Pferdehaltung und "-nutzung" sind erforderlich, aber für den einzelnen Pferdehalter nicht gesetzlich vorgeschrieben. Hier müssen das Angebot verbessert und kostengünstige Seminare und Schulungen für jedermann zugänglich gemacht werden.


Die aktuelle Fassung beider Leitlinien finden Sie hier:
www.bmel.de/SharedDocs/Downloads/Tier/Tierschutz/GutachtenLeitlinien/HaltungPferde.html
www.provieh.de/respekt-vor-dem-pferd


Mängel in der Umsetzung

Leider ist Papier geduldig und wie so oft gestaltet sich die Umsetzung der Leitlinien schleppend, so dass viele Pferde von den Verbesserungen noch nichts spüren. Obwohl bereits seit 25 Jahren als unerlaubte Hilfsmittel und Manipulationen in den Leitlinien vermerkt, sind fragliche Trainingsmethoden und Hilfsmittel nach wie vor gang und gäbe. Über 90 Prozent der Pferde in Deutschland werden nach wie vor in Boxen gehalten, von denen zahlreiche nicht einmal den Mindestmaßen der Leitlinien entsprechen. Damit nicht genug: Auch der in den Leitlinien geforderte tägliche freie Auslauf bleibt sehr vielen Pferden verwehrt.
Ein weiteres großes Problemfeld in der Haltung ist die mangelnde Fütterung mit Raufutter. Herkömmlich werden Pferde nur mit zwei bis drei Heumahlzeiten täglich versorgt und hohe Gaben an Kraftfutter sind teilweise üblich. Es kommt - vor allem nachts - zu langen Nüchternzeiten. Verschiedene Studien zeigen auf, dass etwa 50 Prozent der untersuchten Fohlen, 60 Prozent der Sport- und Freizeitpferde und etwa 90 Prozent der Rennpferde unter Magengeschwüren leiden. Regelmäßige Fütterung mit so wenig Fresspausen wie möglich, eine artgemäße Haltung und eine dem Einzeltier angepasste "Nutzung" sollten die Antwort auf diese dramatischen Ergebnisse sein.

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Quelle:
PROVIEH MAGAZIN - Ausgabe 1/2018, Seite 34-36
Herausgeber: PROVIEH e.V.
Küterstraße 7-9, 24103 Kiel
Telefon: 0431/248 28-0, Telefax: 0431/248 28-29
E-Mail: info@provieh.de
Internet: www.provieh.de
 
PROVIEH erscheint viermal jährlich.


veröffentlicht im Schattenblick zum 28. September 2018

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