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SCHLACHTEN/075: Französische Schlachthöfe führen Videoüberwachung ein (PROVIEH)


PROVIEH Magazin 1/2017
Magazin des Vereins gegen tierquälerische Massentierhaltung e.V.

Französische Schlachthöfe führen Videoüberwachung ein

von Angela Dinter


Aufdeckung von schweren Tierschutzvergehen

Die französische Tierschutzorganisation L 214 deckte im Juni 2016 mit heimlich gedrehtem Videomaterial schwere Tierschutzverstöße in französischen Schlachthöfen auf. L 214 steht für den "Code Rural", der französischen Landwirtschaftsrichtlinie, welche Tiere als "fühlende Lebewesen" beschreibt. Fünfzig Stunden Tierqualen, gefilmt zwischen 2015 und 2016 wurden zu einem YouTube-Video zusammengefasst und im Internet veröffentlicht. Über eine Million Menschen haben dieses Video gesehen und weiterverbreitet. Die Bilder sind so grausam und verstörend, dass es zu heftigen Protestwellen in sozialen Netzwerken und sogar zu Demonstrationen in Paris kam.

Das Bildmaterial zeigt Pferde und Rinder, denen bei vollem Bewusstsein die Kehle durchtrennt wird, die panisch um sich treten oder sich an einem Bein aufgehängt im Todeskampf aufbäumen. Schreiende Schweine, schwer misshandelte Schafe und jeglichen Tierschutz missachtende Schlachthofmitarbeiter.


Betäubung vor Schlachtung ist nicht die Regel

Auch die Betäubung der Tiere vor der Schlachtung ist leider nicht die Regel, obwohl bereits 1964 unter dem Druck einer Petition in Frankreich die Betäubung von Schlachttieren vor ihrer Entblutung per Dekret eingeführt wurde. In einem 2011 erschienenen Bericht präzisiert der französische Generalrat für Ernährung, Landwirtschaft und ländliche Räume, dass 51 Prozent der Schlachtungen in Frankreich rituelle Schlachtungen sind. Gemäß der jüdischen und muslimischen Tradition werden die Tiere ohne Betäubung geschlachtet. In Paris und dem Umland werden 100 Prozent der Schlachttiere geschächtet. Die französischen Schlachthöfe definieren Schächten als Schlachtstandard, weil es Arbeitsschritte und Kosten spart.

Obwohl die muslimische Gesellschaft nur 7,5 Prozent der französischen Bevölkerung ausmacht, wächst der Markt von betäubungslos geschlachteten Tieren in Frankreich. Dies erklärt, wieso zum Beispiel Deutschland große Mengen halal-erzeugte Waren anbieten kann, obwohl keine neuen Ausnahmegenehmigungen zur rituellen Schlachtung erteilt werden. Frankreichs Schlachthöfe leben vom Fleischexport zu Tode gequälter Tiere.


Halbherzige Überprüfung

Wegen des großen öffentlichen Drucks mussten die französischen Behörden sofort handeln. Das zuständige Landwirtschaftsministerium leitete Ermittlungen ein und ließ 259 Schlachthöfe überprüfen. Auf Grund der Ergebnisse kam es zur vorübergehenden Schließung von drei Standorten und zur Anordnung von Mängelbeseitigungen bei 80 weiteren Betreibern. Doch weitere Videoaufnahmen von L 214 zeigten immer noch gravierende Tierschutzverstöße bei den überprüften Schlachthöfen.

Es bestand also nach wie vor erheblicher Handlungsbedarf. Die Nationalversammlung ordnete daher die Gründung einer Parlamentskommission an, deren Aufgabe in der Ausarbeitung von Verbesserungsmaßnahmen für Schlachthöfe bestand.

Fünfundsechzig gute Vorschläge wurden von der Kommission in kurzer Zeit erarbeitet, darunter die Abschaffung der betäubungslosen Schlachtung, die ständige Überwachung durch Amtsveterinäre und die besonders wichtige Forderung nach verpflichtender Videoüberwachung an den bekannten, kritischen Punkten in allen Schlachtbetrieben.


Geschlossenes Video-Überwachungssystem für alle Schlachthöfe

Umgesetzt werden kann ein derartiges Vorgehen im Rahmen eines betriebsinternen "geschlossenen" Videoüberwachungssystems, bekannt als CCTV (Closed Circuit Television). Diese Aufzeichnungssysteme sind bereits bei der Überwachung von öffentlichen Plätzen und Einrichtungen bekannt. Sie sind nur einem ausgewählten Kreis von Betrachtern zugänglich und können die Vorgaben des Datenschutzes einhalten. Die Angestellten sind sich dadurch jeder Zeit bewusst, dass der schonende Umgang mit den Tieren eine Priorität des Unternehmens ist und überwacht wird. Das schärft ihr Bewusstsein für das Tierwohl.

Diese Maßnahme wird nun, trotz heftiger Gegenwehr der Schlachtbranche, ab 2018 umgesetzt. Bereits in 2017 fällt der Startschuss zur Pilotphase, in der die Umsetzung des Verfahrens Schritt für Schritt eingeführt wird.


Deutscher Tierschutz auch im Schlachthof? Weit gefehlt

Hierzulande werden jährlich etwa eine Milliarde Tiere geschlachtet. Bei Geflügel und Schweinen ist die genaue Ermittlung der Fehlbetäubungen kaum möglich, da sie durch Elektro- oder CO²-Betäubung keiner mechanischen Einwirkung unterzogen werden. Beim Schwein wird eine Fehlbetäubungsrate von ein Prozent angenommen. Hinzu kommt die Gefahr des zu kurzen Ausblutens. Umgerechnet auf die Schlachtzahl von 60 Millionen Schweinen pro Jahr bedeutet dies, dass jährlich 600.000 Tiere an ihrem Blut ersticken oder durch zu kurzes Ausbluten in der Brühmaschine bei lebendigem Leib gekocht werden.

Beim Rind kann anhand der Einschussposition des Bolzenschussapparates die Effektivität der Betäubung ermittelt werden. Hochrechnungen von wissenschaftlichen Untersuchungen haben ergeben, dass ein knappes Drittel der Bolzenschüsse fehlerhaft ist. Das heißt, unter Umständen sind die Tiere zwar durch den Bolzenschuss gelähmt, aber bei vollem Bewusstsein. Wir können davon ausgehen, dass jedes Jahr etwa eine Millionen Rinder ihre eigene Schlachtung mit mangelhafter bis nicht vorhandener Betäubung miterleben müssen.


Tierschutzverstöße an 90 Prozent der bayerischen Schlachthöfe

Diese Thesen werden noch übertroffen durch die aktuelle Doktorarbeit von Tanya Reymann zum Thema "Vergleichende Überprüfung des Tierschutzes in Schlachthöfen anhand rechtlicher Vorgaben und fachlicher Leitparameter"
(https://edoc.ub.uni-muenchen.de/19189/1/Reymann_Tanya.pdf). Sie überprüft die Einhaltung von Tierschutzvorgaben an bayerischen Schlachthöfen.

Die Veröffentlichung schlug in Fachkreisen hohe Wellen, wurde jedoch von der deutschen Bevölkerung kaum wahrgenommen. Tanya Reymann beschreibt verwahrloste und schwer krank angelieferte Tiere, endlos lange Wartezeiten für Rinder, eingepfercht im Treibgang ohne Futter oder Wasser und wie so oft: aggressives und grobes Personal unter Zeitdruck.

Sie berichtet auch von zehn Prozent fehlbetäubter Schweine in bayerischen Schlachthöfen und Fachpersonal, welches dies nicht mal erkennt oder sogar ignoriert. Nachbetäubungen erfolgten nur nach ausdrücklicher Anordnung durch Kontrollpersonal.

18 der insgesamt 20 kontrollierten Schlachthöfe in Bayern wiesen Mängel auf, die auch nach erneuter Überprüfung nicht beseitigt wurden. Ähnlich wie in Frankreich wurden den Betrieben positive Bescheinigungen ausgestellt, obwohl weiterhin schwerwiegende Verstöße gegen das Tierschutzgesetz vorlagen. Tanya Reymanns Fazit fällt sehr deutlich aus: Sie ist der Meinung, dass der Tierschutz in Schlachtbetrieben deutlich verbessert werden kann und auf Grund der erheblichen Defizite auch dringend verbessert werden muss.

Wir können davon ausgehen, dass die Situation in allen deutschen und auch europäischen Schlachthöfen gleich oder ähnlich ist. Betriebsgröße oder Ausstattung spielen eine eher untergeordnete Rolle, wenn es um die Einhaltung von Tierschutzstandards geht. Der ausschlaggebende Faktor ist der Mensch und dessen persönliche moralische Grenze.

Wenn es um ein derart ethisch relevantes Thema geht, sollten die EU-Kommission und unsere Bundesregierung Verantwortung übernehmen und dem Beispiel von Frankreich folgen und eine verpflichtende Videoüberwachung in Schlachthöfen einführen.


INFOBOX

PROVIEH ruft als Mitglied der "Europäischen Allianz für Videoüberwachung in Schlachthöfen" dazu auf, diese Technik auch in Deutschland und dem restlichen Europa zum Wohl der Tiere zu nutzen. PROVIEH unterstützt die EU-Petition zur Videoüberwachung in Schlachthöfen:

www.europewide-cctv-in-allslaughterhouses.eu/

www.petitionen24.com/europaweite_videouberwachung_an_schlachthofen_und_dokumentation

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Quelle:
PROVIEH Magazin 1/2017, Seite 30-32
Herausgeber: PROVIEH - Verein gegen tierquälerische Massentierhaltung e.V.
Küterstraße 7-9, 24103 Kiel
Telefon: 0431/248 28-0
Telefax: 0431/248 28-29
E-Mail: info@provieh.de
Internet: www.provieh.de
 
PROVIEH erscheint viermal jährlich.


veröffentlicht im Schattenblick zum 15. Juni 2017

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