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TIERVERSUCH/707: Es ist möglich, Dinge zu verändern! (tierrechte)


tierrechte 4.16 - Nr. 77, Dezember 2016
Menschen für Tierrechte - Bundesverband der Tierversuchsgegner e.V

Es ist möglich, Dinge zu verändern!

von Dr. Christiane Hohensee und Christina Ledermann


Wirksame Strategie & kluge Taktik

In dieser Ausgabe stellt Ihnen das tierrechte-Magazin Persönlichkeiten vor, die sich auf ganz unterschiedliche Art und Weise für Tiere einsetzen. Sie kommen aus den verschiedensten gesellschaftlichen Bereichen wie Wissenschaft, Behörden, Politik, Rechtswissenschaft, Landwirtschaft, Finanzwirtschaft und Literatur. Sie sind nicht alle klassische TierrechtlerInnen. Darauf kam es und auch nicht an. Wir fanden es entscheidend, dass ihr Engagement wirkt. Dass es das Potenzial hat, etwas für die Tiere zu verändern. Diese Menschen leben uns vor, dass es viele Wege gibt, diese Welt besser zu machen.

"Tierschutz ist mein Herz- und Magenthema", sagt Claudia Hämmerling. Die fröhliche 62-jährige war bis zur aktuellen Neuwahl verkehrs- und tierschutzpolitische Sprecherin der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen im Berliner Abgeordnetenhaus. Hämmerling ist eine Vollblutpolitikerin, die auch nach Jahren in der Politik noch Visionen hat und sich nicht scheut, ungewöhnliche Vorschläge zu machen.


Geboren in der DDR, kam Claudia Hämmerling über die Bürgerrechtsbewegung zu den Grünen. Als junger Mensch habe sie sich noch keine Gedanken über Tierhaltung gemacht. Darüber hätte sie in der DDR nichts gewusst. Heute jedoch, seit sie hinter die Kulissen der bunten Wiesenhof-Reklame blicke, komme ihr unser respektloser Umgang mit den Tieren immer gruseliger vor. "Es würde mir heute die Hand umdrehen, wenn ich meine Gabel in ein Schnitzel picken müsste", sagt Hämmerling und schwärmt im nächsten Moment von veganen Gerichten. Doch was Ernährung betrifft, da ist Hämmerling realistisch: Die Maximalforderung, vegetarisch oder vegan zu leben, könne man in der Politik nicht aufmachen. Man könne es aber denen, die Tiere quälen, unbequemer machen und man könne Alternativen fördern. In der Landwirtschaft sieht sie vor allem die Regierung in der Pflicht. Statt freiwilligen Selbstverpflichtungen müsse es klare Regeln geben - und diese müssten konsequent kontrolliert werden. Sie sieht aber auch die Verantwortung des Verbrauchers - und der ist ihrer Meinung nach alles andere als mündig. Die meisten Menschen griffen immer noch bevorzugt zu billigem Qualfleisch aus Massentierhaltung, statt sich pflanzlich zu ernähren oder wenigstens Fleisch aus Biohaltung zu essen.


"Forschungsaktivitäten entstehen da, wo das Geld hinfließt"

Was das Thema Tierversuche betrifft, zieht die Politikerin unerwartete Parallelen zwischen ihren Themen "Tierschutz" und "Verkehr": Beim Tierversuch sei es ähnlich wie in der Verkehrspolitik: Die Forschungsaktivitäten entstünden da, wo das Geld hinfließe. Elektroautos und Solarstrom gäbe es vor allem wegen der Förderpolitik. Aus den circa 2,7 Milliarden Euro schweren Forschungsbudgets flössen bisher nur vier bis fünf Millionen pro Jahr in tierversuchsfreie Methoden. Wenn man hier aufstocken würde - da ist sich Hämmerling sicher - wäre es bald möglich, aus dem Tierversuch auszusteigen. Viele Wissenschaftler hätten bereits Ideen für neue Verfahren in ihren Schubladen. Bisher sähen sie aber keine Chancen, dafür Gelder zu bekommen. Ein großer Hemmschuh bei der Vergabe von Förderungen ist ihrer Ansicht nach die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG).


Hemmschuh DFG

In den Vergabegremien säßen vor allem Forscher, die selbst Tierversuche machen würden. Die wüssten nicht genug über die neuen Verfahren, um zu erfassen, was überhaupt erforscht werden soll. Die Kompetenz, den Fokus bei der Forschungsförderung zu verschieben, habe die Bundesregierung. Doch es sei fraglich, ob diese mutig genug sei, sich mit der starken Tierversuchslobby anzulegen. Einerseits basierten die Karrieren der meisten Wissenschaftler auf dem Tierversuch. Diesen Forschern müsse man eine Alternative anbieten, in andere Forschungsbereiche umzusteigen. Andererseits würde mit Tierversuchen unglaublich viel Geld verdient, beispielsweise mit der Zucht transgener Mäuse - das funktioniere wie in jedem anderen Wirtschaftsbereich.


"Wer Studien manipuliert, müsste bestraft werden"

Ein wichtiger Ansatzpunkt sei auch die abschließende Bewertung eines Tierversuchs. Wenn man die Ergebnisse aus allen Tierversuchen wirklich überprüfen würde, könne man bilanzieren, wie wenig effizient der Tierversuch sei. Gegen Wissenschaftler, die ihre Studien manipulierten, damit sie am Ende das Ergebnis hätten, was sie sich vorher gewünscht haben, würde Hämmerling entschieden vorgehen. Die im Januar veröffentlichte Charité-Studie unter Beteiligung von Professor Ulrich Dirnagl, nach der mehr als 40 Prozent aller Studien an Tieren manipuliert seien, habe sie entsetzt. Doch genau hier sieht sie einen Ansatzpunkt: Forscher, die ihre Studien manipulieren, sollten nicht nur die Forschungsgelder zurückzahlen, sie müssten auch bestraft werden. Denn die Manipulationen widersprächen den Grundsätzen wissenschaftlichen Arbeitens. Somit gäbe es keine rechtliche Grundlage für das Leid der Tiere. Hämmerling ist klar, dass es bis dahin noch ein weiter Weg ist. Doch sie ist - trotz Jahren in der Opposition - optimistisch. Wenn sich Menschen zur Wehr setzten und Mehrheiten schafften, sei es möglich, Dinge zu verändern.


Ein ausführliches Interview mit Claudia Hämmerling lesen Sie unter:
www.mag.tierrechte.de/99


Claudia Hämmerling hat ein Kinderbuch geschrieben, in das all ihr Wissen zu Tierversuchen eingeflossen ist.

Taschenbuch
ISBN-10: 3734542146
ISBN-13: 978-3734542145
140 Seiten
11,95 Euro

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Quelle:
tierrechte 4.16 - Nr. 77/Dezember 2016, S. 9
Infodienst der Menschen für Tierrechte -
Bundesverband der Tierversuchsgegner e.V.
Roermonder Straße 4a, 52072 Aachen
Telefon: 0241/15 72 14, Fax: 0241/15 56 42
eMail: info@tierrechte.de
Internet: www.tierrechte.de
 
tierrechte erscheint viermal jährlich.
Der Verkaufspreis ist im Mitgliedsbeitrag enthalten.


veröffentlicht im Schattenblick zum 27. Januar 2017

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