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TIERVERSUCH/790: Richtlinie 426 - was steckt dahinter? (tierrechte)


Magazin tierrechte - Ausgabe 3/2019
Menschen für Tierrechte - Bundesverband der Tierversuchsgegner e.V

Richtlinie 426 - was steckt dahinter?

von Carolin Spicher und Dr. Christiane Hohensee


Für in-vivo-Tierstudien auf Entwicklungsneurotoxizität müssen unzählige Tiere ihr Leben lassen. Die Versuche sind für die Pharmabranche enorm kosten- und zeitintensiv. Kritik kommt auch von Seiten der Wissenschaft. Denn die meisten entwicklungsneurotoxischen Phänomene, wie Sprachstörungen, können am Tier gar nicht gemessen werden.


Die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) gibt in der Richtlinie 426 vor, wie die nervenschädigende Wirkung von Substanzen gemessen werden muss. Die Richtlinie beschreibt detailliert, welche Tierart und wie viele Tiere zum Einsatz kommen müssen und auch, wie die Versuche ablaufen.


1000 Tiere pro Prüfsubstanz

Die bevorzugte Tierart der Richtlinie 426 ist die Ratte, genau genommen schwangere Rattenweibchen und ihre Welpen (Würfe). Das zu testende Mittel soll in drei Dosen und einer Kontrollgruppe geprüft werden. Das entspricht vier Versuchsgruppen mit einer empfohlenen "Stichprobengröße" von 20 Würfen (je 8-12 Jungtiere) pro Gruppe. So kommt man auf mindestens 80 Muttertiere und bis zu 960 Welpen, also ungefähr 1000 Tieren pro Prüfsubstanz, die für diese Versuche gezüchtet und getötet werden. Damit aber nicht genug. Um die Größe der Würfe statistisch zu vereinheitlichen, wörtlich zu "standardisieren", werden überzählige Welpen nach dem Zufallsprinzip wenige Tage nach der Geburt "eliminiert", also getötet. Ein Wurf soll möglichst auch die gleiche Anzahl an männlichen und weiblichen Welpen haben.


Muttertiere nach Entwöhnung getötet

Die zu testende Substanz wird den schwangeren und säugenden Muttertieren während der Versuchsdauer mindestens einmal täglich ab dem Zeitpunkt der Einnistung des Eis, bis zum Tag 21 nach der Geburt der Tiere (postnatale Entwicklung), also der Entwöhnung verabreicht. Dadurch sind die Welpen während der prä- und postnatalen neurologischen Entwicklung der Prüfsubstanz ausgesetzt. Die Muttertiere bekommen das Mittel in der Regel so verabreicht, wie auch eine schwangere Frau dem Stoff ausgesetzt wäre. Sie werden dann auf Auswirkungen der Prüfsubstanz während der Schwangerschaft und Stillzeit untersucht und schon nach dem Absetzen der Welpen getötet.


Gemessen wird Hirnentwicklung

Zur Beurteilung der Entwicklungsneurotoxizität werden von den Welpen nach dem Zufallsprinzip Tiere ausgewählt und in einer Batterie verschiedener Tests untersucht. Einige dürfen bis zum Tag 70 nach der Geburt (sexuelle Reifung) leben, der Rest wird zu verschiedenen Zeitpunkten bis zum Lebenstag 22 getötet und das Gehirn untersucht. Die lebenden Tiere werden täglich auf ihren Gesundheitszustand untersucht, was ständigen Stress für die Tiere bedeutet. Möglich sind auch Untersuchungen zur verhaltensbezogenen Entwicklung, motorischen Aktivität, motorischen und sensorischen Funktion, oder auch Tests zum Lernen und zum Gedächtnis.


Im Tier oft nicht messbar

Die Versuche sind gesetzlich vorgeschrieben. Doch es regt sich Kritik an den vorgeschriebenen Testverfahren aus den Reihen der Wissenschaftler. Prof. Marcel Leist, der selbst zu Entwicklungsneurotoxizität an der Universität Konstanz forscht, kritisiert, dass die meisten entwicklungsneurotoxischen Phänomene, wie beispielsweise Sprachstörungen, eine Beeinträchtigung der Aufmerksamkeitsdauer oder der Intelligenzquotient am Tier gar nicht gemessen werden können. Nicht zuletzt deshalb braucht es neue, humanspezifische Testsysteme.

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Quelle:
Magazin tierrechte - Ausgabe 3/2019, S. 10
Menschen für Tierrechte
Bundesverband der Tierversuchsgegner e.V.
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Telefon: 0211 / 22 08 56 48, Fax. 0211 / 22 08 56 49
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Internet: www.tierrechte.de
 
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veröffentlicht im Schattenblick zum 15. Oktober 2019

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