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ABWASSER/285: Wann braucht's eine "Vierte Reinigungsstufe"? (BBU WASSER-RUNDBRIEF)


BBU-WASSER-RUNDBRIEF - Nr. 1134 vom 17. Okt. 2018 38. Jahrgang

regioWASSER e.V. - Freiburger Arbeitskreis Wasser im Bundesverband Bürgerinitiativen Umweltschutz e.V. (BBU)

Wann braucht's eine "Vierte Reinigungsstufe"?


An Hand welcher Kriterien kann man entscheiden, ob man für den "guten ökologischen Zustand" in einem Bach oder einem Fluss bestehende Kläranlagen mit einer "Vierten Reinigungsstufe" ausbauen muss? Die "4. Stufe" dient dazu, Mikroverunreinigungen - wie beispielsweise Hormone, Pharmawirkstoffe und weitere schwer abbaubare Abwasserinhaltsstoffe - aus dem Abwasser herauszuholen. Bei dem in Deutschland üblichen dreistufigen Klärverfahren (mechanisch, biologisch und Nährstoffeliminierung) werden viele Mikroverunreinigungen nur mit beschränktem Wirkungsgrad oder gar nicht aus dem Abwasser entfernt. In Fachkreisen wird derzeit mit großem Elan darüber gestritten, in welchen Fällen man überhaupt über den Bau einer "4. Stufe" zur Eliminierung von Mikroverunreinigungen nachdenken muss. Wir haben in den entsprechenden Gremien vorgeschlagen, das Verhältnis von gereinigtem Abwasser zum Gesamtabfluss im jeweiligen Fließgewässer zum Maßstab zu machen: Wenn in einem Bach oder in einem Fluss der Anteil des gereinigten Abwassers ein Drittel des mittleren Abflusses (MQ) überschreitet, wäre das ein erster Anhalt, um weitere Prüfschritte in Angriff zu nehmen. Falls an dem Fließgewässer flussabwärts direkt oder indirekt Trinkwasser entnommen wird, müsste für eine weitere Prüfung schon ein Drittel des Mittleren Niedrigwasser-Abflusses (MNQ) als Kriterium ausreichen. Ein Drittel des mittleren Abflusses stellen aus unserer Sicht schon ein großzügiges Kriterium dar: Denn mittlerweile hat sich herausgestellt, dass bereits ein Abwasseranteil von einem Viertel die Fließgewässerbiozönosen erheblich beeinträchtigen kann.

Die Angst der Kommunen und der Länder vor "Ein-Drittel-MQ"

Kommunale Interessenverbände und vor allem einige Bundesländer werden von der Angst umgetrieben, dass die Kriterien "1/3 MQ" bzw. "1/3 MNQ" einen Automatismus auslösen könnten. Den Wasserbehörden wird seitens einiger kommunaler Interessenvertreter "Bequemlichkeit" unterstellt. Wenn die beiden Kriterien erst mal in der Welt seien, würden die Behörden bei einer Überschreitung von "1/3 MQ" bzw. von "1/3 MNQ" dogmatisch den Bau einer "4. Stufe" anordnen. Baden-Württemberg argumentiert zudem, dass die beiden Kriterien dazu führen würden, dass in Ba.-Wü. schätzungsweise 60 Prozent aller Kläranlagen mit einer "4. Stufe" ausgerüstet werden müssten. Das sei nicht sinnvoll und schon gar nicht finanzierbar.

Auch andere Länder argumentieren, dass Ihnen die notwendige Flexibilität genommen würde, wenn man die von uns genannten Zahlen auf Papier bringen würde. Angesichtes dieser Ängste und Befürchtungen hilft es auch nichts, wenn wir betonen, dass die Überschreitung der beiden genannten Kriterien keineswegs einen Automatismus auslösten sollte. Eingeleitet würde nur eine nähere Prüfung, in der auch alle anderen Aspekte bis hin zu den Finanzierungsfragen Berücksichtigung finden sollten. Umgekehrt würde aber der völlige Verzicht auf mit Zahlen hinterlegten Kriterien dazu führen, dass man die Freiheit bekomme, gar nichts für die Eliminierung von Mikroverunreinigungen zu unternehmen.

Als denkbare Auffanglösung wird derzeit folgende Lösung diskutiert: Wenn sich keine bundesweit geltenden Kriterien verankern lassen, dann sollten die Länder selbst länderspezifische Kriterien aufstellen. Das dürfe aber nicht hinter verschlossenen Türen stattfinden. Die länderspezifischen Bemühungen zur Findung geeigneter Kriterienwerte müssten transparent stattfinden und sollten zeitnah über die Bühne gehen.

Kann die "4. Stufe" auch Keime und Mikroplastik

Bei den gegenwärtigen Debatten um die "Vierte Reinigungsstufe" zur Entfernung von Mikroverunreinigungen kommt zunehmend die Frage auf, ob man mit der Installierung der "4. Stufe" vielleicht massig viel Geld in den Sand setzen wird. Denn wenn sich künftig die Aufregung über Mikroplastik und mehrfache resistente Keime noch weiter steigern wird (s. RUNDBR. 1133/3, 1131/3), könnte man sich gezwungen sehen, auch Keime und Mikroplastik aus dem Abwasser entfernen zu müssen. Die "4. Stufe" ist dazu aber nur eingeschränkt in der Lage. Nicht nur teure Nachrüstungen mit einer "5. Stufe" seien dann zu erwarten. Schlimmer noch wäre der Vorwurf "Warum habt Ihr daran nicht rechtzeitig gedacht?!" Zumindest moralisch würden die Abwasserfachleute dann für ihren mangelnden Weitblick haftbar gemacht. Vergleichsweise einfach wäre noch die Entfernung ("Eliminierung") von Mikroplastik. Teilweise beim Aktivkohleverfahren - und bei der Ozonung sowieso - muss man das gereinigte Abwasser filtrieren. Wenn der Filter richtig dimensioniert und betrieben wird, lässt sich das Mikroplastik im Abwasser herausfiltern. Schwieriger ist es bei den Keimen und bei den Genschnipseln mit Antibiotikaresistenzen. An den riesigen inneren Oberflächen der porösen Aktivkohle bleiben zwar auch viele Keime hängen, aber gleichwohl nicht genug. Wenn man bei der alternativen Ozonung mit genügend hohen Ozondosen arbeitet, werden nicht nur Mikroverunreinigungen "kaputt-oxidiert". Das aggressive Ozon killt auch Keime. Wird das Aktivkohleverfahren mit der Ozonung kombiniert, kann der Wirkungsgrad bei der Keimentfernung noch mal nach oben getrieben werden. Um aber alle Keime abzutöten, müsste man eigentlich noch eine Ultraviolett-Entkeimung nachschalten. Einige Fachleute grübeln deshalb, ob man doch wieder Membranverfahren in Erwägung ziehen sollte.

Die Membranverfahren standen neben den Aktivkohleverfahren und der Ozonung ursprünglich auch zur Debatte, um Mikroverunreinigungen zu eliminieren. Membranverfahren haben aber einen vergleichsweise hohen Energieaufwand und sind technisch anspruchsvoll (Verblockung, Reinigungschemikalien, Konzentratentsorgung) (s. 939/1-2, 736/1-2, 622/1). Deshalb sind die Membranverfahren wieder von der Kandidatenliste der geeigneten Verfahren zur Eliminierung von Mikroverunreinigungen weitgehend gestrichen worden (s. 924/3). Vorteil der Membranverfahren ist aber, dass sie praktisch "Alles" zurückhalten: Mikroverunreinigungen, kleinstes Mikroplastik, Bakterien und - bei entsprechend feinporigen Membranen - sogar Viren. Wir favorisieren deshalb den Einsatz von Membranverfahren. Aber was meinen die LeserInnen des WASSER-RUNDBRIEFS? Bitte gerne mal melden ...

"Klein, mobil, persistent" - Mikroverunreinigungen im Trinkwasser

Unter anderem über die oben genannten Fragen soll auf der Konferenz "Spurenstoffe in der aquatischen Umwelt" am 20. und 21. Nov. 2018 in Heidelberg diskutiert werden. So wird sich eines der Referate der Frage "Multiple Antibiotikaresistenzen - Was bringt die 4. Reinigungsstufe?" widmen. Ferner soll neben vielen anderen Aspekten die Strategie der EU-Kommission zur Eindämmung von Mikroverunreinigungen in der aquatischen Umwelt (s. RUNDBR. 1121/1-2) vorgestellt werden. Es wird aber nicht nur um Mikroverunreinigungen und Antibiotikaresistenzen im Abwasser gehen. Trinkwasser ist ebenfalls ein Thema: "Klein, mobil, persistent - Relevanz organischer Spurenstoffe für die Trinkwasserversorgung" (s. RUNDBR. 1133/3-4). Das ganze Programm unter:
https://www.spurenstoffe-bw.de/programm/programm_uebersicht/

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Quelle:
BBU-WASSER-RUNDBRIEF Nr. 1134
Herausgeber:
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© Freiburger Ak Wasser im BBU


veröffentlicht im Schattenblick zum 6. November 2018

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