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ATOM/969: Kritiker wurden für dumm erklärt - Interview zum Gorleben-Untersuchungsausschuß (.ausgestrahlt)


.ausgestrahlt / gemeinsam gegen atomenergie - Rundbrief 13 / Herbst 2011

Kritiker wurden für dumm erklärt

Ulrike Donat, Rechtsanwältin und zeitweilige Mitarbeiterin im Gorleben-Untersuchungsausschuss, über die dubiose, manipulierte und kriterienlose Suche nach einem Endlager


Frau Donat, der Gorleben-Untersuchungsausschuss des Bundestages tagt seit 1,5 Jahren. Was sind die drei wichtigsten Erkenntnisse bisher?

Ulrike Donat: Erstens: Der wissenschaftliche Bericht, der 1983 Grundlage der Entscheidung über die untertägige Erkundung des Gorlebener Salzstocks war, wurde massiv manipuliert. Zweitens: Schon die Auswahl Gorlebens als Endlager-Standort 1977 war willkürlich. Die vom niedersächsischen Umweltminister Sander (FDP) noch 2010 behauptete "sorgfältige Auswahl" hat es nicht gegeben. Drittens: Die Stollen unter Tage liegen ganz anders, als die der Öffentlichkeit bisher zugänglichen Planungsunterlagen zeigen. Wegen massiver, unerwarteter geologischer Probleme hat man die Richtung und die Lage der sogenannten Erkundungsbereiche erheblich geändert - die Probleme aber ignoriert.

Willkürliche Standortwahl? Die Regierung behauptet bislang, Gorleben sei in einem sorgfältigen Suchverfahren ausgewählt worden!

Das ist keinesfalls so. Das Bundesforschungsministerium ließ 1974 Salzstöcke und Tongesteine in der BRD untersuchen, das Ergebnis waren drei Standortvorschläge: Wahn im Emsland, Lichtenhorst bei Nienburg an der Weser und Lutterloh in der Südheide unweit von Celle. Wahn war der Favorit, aber dort sind die Bauern aufgestanden. Anfang 1976 bekam überraschend der von der SPD nominierte Ministerpräsident im Landtag keine Mehrheit. Stattdessen wurde Ernst Albrecht von der CDU zum Ministerpräsident einer Minderheitenregierung gewählt. Er brauchte jede Stimme. Die CDU-Abgeordneten aus dem Emsland drohten damals, ihm die Gefolgschaft aufzukündigen - deswegen sollte es Wahn dann nicht mehr sein. Und dann tauchte auf einmal Gorleben auf, ...

... ins Spiel gebracht im November 1976 nach eigenen Angaben vom damaligen niedersächsischen CDUFinanzminister Walther Leisler Kiep.

In dessen Erinnerungen heißt es, dass er sich direkt davor mit RWE-Vorstand Heinrich Mandel beraten hat. Der war damals Präsident des Deutschen Atomforums.

Kabinettsprotokolle aus Hannover legen nahe, dass die Landesregierung sich damals praktisch unmittelbar auf Gorleben festlegte. Angeblich hat eine Studie diese Entscheidung gut begründet. Was ist damit?

Diese Studie gibt es schlichtweg nicht. Jedenfalls kann sich keiner daran erinnern und in den maßgeblichen Akten gibt es auch keinerlei Hinweis darauf.

Auf die Standortbenennung folgten erste geologische Untersuchungen - mit welchem Ergebnis?

Kritische Wissenschaftler, allen voran die Geologen Klaus Duphorn und Eckhard Grimmel, warnten: Das ist kein einfacher Salzstock, da gibt es Verfaltungen und Einbrüche und das Deckgebirge fehlt. Sie wurden für dumm erklärt, von der Atomindustrie gemobbt, mit Gegengutachten überschüttet. Anderen ging es genauso: Alle Leute, die kritische Äußerungen gemacht haben, sind rausgeschmissen, ihre Ergebnisse nicht aufgenommen worden.

Zum Beispiel?

Der Physiker Heinz Nickel etwa. Der hatte ein Resonanzverfahren entwickelt, mit dem man den Untergrund durchleuchten konnte. Und er stellte fest, dass es dort ganz anders aussah als man vermutet hatte - andere Gesteinsschichten als erwartet. Die Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR), die die Untersuchungsergebnisse zu Gorleben dokumentieren sollte, hat diese höchst kritischen Befunde einfach aus ihren Zusammenfassungen herausgehalten. Im Mai 1983 präsentierte sie einen Bericht zur Geologie in Gorleben, in dem alles glatt aussah. Im Juni entschied dann die Bundesregierung, den Gorlebener Salzstock untertägig zu erkunden. Und erst im Juli sind dann die kritischen Befunde veröffentlicht worden. Nickels Warnungen haben sich übrigens beim Bau des Bergwerks bewahrheitet. Auch die frühen Hinweise auf Gas im Salz haben die zuständigen Stellen ignoriert.

Gas im Salz?

Ja. Man wusste schon in den 1970ern, dass in dem Gebiet Erdgas lagert, in 3.000 Metern Tiefe. Man hat sogar darüber diskutiert, ob die Rohstoffgewinnung oder die Endlagerung Vorrang haben sollte. Im DDR-Teil des Salzstocks hatte es 1969 bei Bohrungen eine Gasexplosion gegeben. Sorgen um die Sicherheit des geplanten Endlagers hat man sich trotzdem keine gemacht - man ging davon aus, Salz ist dicht. Dabei hat man inzwischen überall in dem angeblich so reinen Salz Gaseinschlüsse gefunden, auch von Gas, das von unten aufgestiegen ist. Das Erdgas ist explosiv. Andere Gaseinschlüsse dehnen sich bei Hitze, wie sie hochradioaktiver Atommüll erzeugt, aus. Das kann die Dichtigkeit des Salzgesteins verändern und Risse bilden.

Waren die Behörden, die die Eignung Gorlebens als Endlager untersuchen sollten, parteiisch?

Es ist immer einseitig untersucht worden. Der Untersuchungsausschuss hat sehr deutlich gezeigt, dass die Wissenschaftler in der BGR und in der Physikalisch Technischen Bundesanstalt (PTB) sehr verbandelt sind mit der Atomindustrie und dass dort keinerlei unabhängige Wissenschaftler mehr arbeiten. Mehr noch: In der ganzen Bundesrepublik gibt es praktisch keine unabhängigen qualifizierten Salzgeologen mehr, die Atomlager in Salz beurteilen können -kritischen Geologen ist die Karriere verweigert worden. Das ist erschreckend.

Anfang der 1980er gab es allerdings durchaus eine Debatte, ob man überhaupt in die Tiefbohrungen in Gorleben einsteigen sollte.

Ja. Aber im Herbst 1982 kam der Regierungswechsel zur CDU-FDP-Regierung unter Kohl. Die wollte in Gorleben zeigen: Wir setzen auf Atom. Jedenfalls wurden dann alle kritischen Ergebnisse aus den Abschlussberichten der PTB und der BGR rausgestrichen. Auf einmal sah es so aus, als sei Gorleben "eignungshöffig".

Eignungs... wie bitte?

"Eignungshöffig". Das ist ein politischer Kampfbegriff. "Höffig" ist Geologensprache: Ein erdölhöffiges Gebiet etwa ist eines, das ein reiches Erdölvorkommen verspricht. In Gorleben hoffen Regierung und Atomindustrie demnach, dass der Salzstock geeignet ist, dort irgendwann Atommüll lagern zu können - aber für eine solche Aussage müsste man erstmal Kriterien haben, und dann prüfen, ob diese erfüllt sind. In Gorleben aber wird seit über 30 Jahren untersucht und gebohrt ohne irgendwelche vorher festgelegten Kriterien.

Immerhin gibt es einen Salzstock ...

Aber die Zone mit dem "richtigen" Salz darin ist viel kleiner als gedacht. Und die beiden grundlegenden Sicherheitskriterien, die es bis 1979 oder 1980 mal gab, nämlich ein intaktes Deckgebirge über dem Salzstock und ausgedehntes Salz ohne geologische Störungen, sind beide nicht erfüllt. Der Salzstock ist voller Störungen, darunter Einfaltungen aus dem sehr spröden Gestein Anhydrit, das leicht Klüfte bildet und daher potenziell wasserleitend ist. Und das Deckgebirge ist in Teilen gar nicht vorhanden! Zusätzliche Probleme wie das Gas kommen hinzu. Es gibt also in Wahrheit keinerlei Anzeichen dafür, dass man hier sicher Atommüll lagern könnte. Da von "eignungshöffig" zu reden, ist absurd.

Sie halten das Vorgehen der Behörden für unseriös?

In Gorleben gibt es nur ein bisschen Salz - alle zusätzlichen geologischen Sicherheitsbarrieren fehlen. Und um das zu vertuschen, hat man seit 1983 alle harten Kriterien fallen lassen. Man hat nicht mehr gesagt: Da muss es dicht sein, dort ist so viel Sicherheitsabstand nötig und so weiter. Sondern man hat stattdessen mit Modellrechnungen angefangen - so wie in der "Vorläufigen Sicherheitsanalyse", die das Umweltministerium derzeit erarbeiten lässt. Im Gegensatz zu harten geologischen Kriterien kann diese Rechenwege kein Mensch mehr überprüfen. Das macht das Ganze undurchschaubar.

Der Drang, an Gorleben festzuhalten, war schon in den 1980ern sehr groß. Warum?

Für Philippsburg, Brokdorf und andere AKW standen Teilgenehmigungen an, Bürgerinnen und Bürger hatten dagegen geklagt. Und die Gerichte verlangten, dass die Entsorgung des Atommülls gesichert sein müsse. Eine Teilerrichtungsgenehmigung für Brokdorf hätte es nicht gegeben, wenn die Regierung nicht den Anschein erweckt hätte, dass die Entsorgung schon klappen werde. Dazu musste sie einen Standort für ein Endlager und Fortschritte bei dessen Realisierung vorweisen können. Andernfalls wäre das schon damals das Aus für die Atomkraft gewesen.

Und heute? Im Gorlebener Salzstock wird seit einem Jahr wieder gebuddelt. Welchen Sinn macht das?

Es soll den Standort zementieren. Offiziell geht es darum, den endgültigen Nachweis "geeignet oder ungeeignet" zu erbringen. Wobei jetzt schon klar ist, dass da am Ende "geeignet" stehen soll - was ja kein Problem sein wird, wenn jedes Kriterium flexibel gehandhabt und entsprechend "errechnet" werden kann. Ich bin sicher, dass Regierung und Atomindustrie, wenn der "Erkundungsbereich" im Salzstock ausgebaut ist, versuchen werden, den hochradioaktiven Abfall da runter zu bringen - ungeachtet dessen, dass das sogenannte Atommüllendlager dort nicht eine Million Jahre, sondern noch nicht einmal die nächsten hundert Jahre halten wird. Wir wissen doch um die Problematik von Salz aus der Asse und aus Morsleben.

Interview: Armin Simon


Ulrike Donat, ist selbstständige Rechtsanwältin und Mediatorin in Hamburg. Zusammen mit der BI Lüchow-Dannenberg und anderen Initiativen streitet sie seit Jahren für das Demonstrations- und andere Grundrechte im Wendland. Die vergangenen Monate wühlte sie sich als Referentin der Bundestagsfraktion der Grünen durch die Akten des Gorleben-Untersuchungsausschusses.


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Quelle:
Rundbrief 14, Herbst 2011, S. 4-5
Herausgeber: .ausgestrahlt
Normannenweg 17-21, 20537 Hamburg
E-Mail: info@ausgestrahlt.de
Internet: www.ausgestrahlt.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 26. Oktober 2011