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MASSNAHMEN/126: Schutzmaßnahmen für die Europäische Sumpfschildkröte eingeleitet (DER RABE RALF)


DER RABE RALF
Nr. 189 - Dezember 2015/Januar 2016
Die Berliner Umweltzeitung

Vom Aussterben bedroht
Schutzmaßnahmen für die Europäische Sumpfschildkröte eingeleitet

von Volker Voss


In freier Wildbahn sind die Europäischen Sumpfschildkröten in Berlin-Brandenburg kaum zu sehen. Sie gelten als sehr scheu und leben überwiegend im Wasser, wo sie bei der geringsten Störung sofort abtauchen. Sie werden auch die "heimlichen Bewohner" unserer Gewässer genannt. Hier kennen wir sie eher aus Aquarien und Zoos, wo sie in künstlich angelegten Teichen oder hinter dicken Glasscheiben bewundert werden können. Die Europäische Sumpfschildkröte (Emys orbicularis) mit ihrem dunkel gefärbten Rückenpanzer und kleinen weißen bis gelblichen Punkten und Strichen ist mittlerweile vom Aussterben bedroht. Deshalb sind dringend Schutzmaßnahmen notwendig, um sie zu retten. Es handelt sich bei ihnen inzwischen um die einzige heimische Schildkrötenart und die am meisten vom Aussterben bedrohte Tierart in Deutschland überhaupt.

Beim Rundgang über das 20 Hektar große Gelände des NABU-Naturschutzzentrums Blumberger Mühle im UNESCO-Biosphärenreservat Schorfheide-Chorin gelingt es gerade mal, eins dieser seltenen Tiere zu sichten. Immerhin befinden sich in einem der dort vorhandenen 20 Teiche etwa 15 Exemplare dieser Art, die es lieber vorziehen, unbeobachtet und vor allem ungestört zu bleiben, berichtet NABU-Mitarbeiter Mathias Otto.

Überleben sichern

Um ihr Überleben und möglichst auch ihre Vermehrung zu sichern, ist es wichtig, die Bestände aufzustocken. Mittlerweile gibt es nur noch drei Standorte in Deutschland, an denen die Europäische Sumpfschildkröte anzutreffen ist, und zwar im Nordosten. Genauer genommen sind das die Gebiete Nordost-Brandenburg, Südost-Mecklenburg und die Märkische Schweiz. In diesen Gegenden könnte noch eine Reproduktion stattfinden, hofft NABU-Mitarbeiter Otto. Dazu wurde von mehreren Brandenburger Naturschutzverbänden ein entsprechendes Aufzuchtprogramm mit Unterstützung des Landesumweltamtes Brandenburg eingeleitet. In anderen Bundesländern gilt sie bereits als ausgestorben. Anders als in Deutschland gibt es in Süd- und Mitteleuropa, Nordafrika sowie im Baltikum und in Polen noch sehr viele Sumpfschildkröten mit etwa 15 Unterarten.

Um aber überhaupt Schutzmaßnahmen einleiten zu können, muss zunächst eine Analyse der aktuellen Gefährdungssituation erstellt werden. So ist auch die Bevölkerung aufgerufen, den Naturschutzorganisationen eventuelle Beobachtungen, insbesondere auch über Lebend- oder Totfunde mitzuteilen, möglichst mit genauer Ortsangabe.

Lebensraumverlust

Das Überleben dieser Tierart ist aufgrund der starken Veränderungen in ihrem natürlichen Lebensraum gefährdet. Ihr Lebensraum hat sich infolge von Zersiedelung, expandierender Landwirtschaft, Trockenlegung von Sümpfen und Wasserläufen erheblich reduziert. Da wäre beispielsweise das hohe Verkehrsaufkommen als nicht zu unterschätzendes Gefahrenpotenzial zu nennen: "Gerade der Straßenverkehr macht viel aus, weil die Population ohnehin schon stark ausgedünnt ist", berichtet NABU-Mitarbeiter Otto. Auch die Klimaveränderungen sind für diese wärmeliebenden Reptilien eine nicht zu unterschätzende Gefahr und Grund für den Rückgang ihrer Population. Denn aufgrund kühlerer und feuchterer Sommerperioden kam es zu Temperaturänderungen. Eine unmittelbare, weitere Gefährdung stellen zudem die vielen "Predatoren", auch "Fressfeinde" genannt, dar, die seit jeher als die natürlichen Feinde der Schildkröten gelten. Das sind vor allem Waschbären, Marder, Wildschweine, die auch die Eiablagestellen aufwühlen sowie Füchse, Raubvögel, ebenso streunende Haustiere wie Hunde und Katzen, für die insbesondere die Jungtiere ein gefundenes Fressen sind. Außerdem ist es die an vielen Gewässerufern betriebene Fischerei mit den dort ausgelegten Reusen, in denen die Schildkröten oft ertrinken.

Appetit auf Schildkröten

Doch lange bevor all diese gefahrvollen Veränderungen einsetzten, war es bereits der ungezügelte Appetit der Menschen auf schmackhaft zubereitete Schildkrötenspeisen, der die Schildkrötenpopulation schon vor langer Zeit erheblich verminderte. Schon Ende des 17. Jahrhunderts galt die Schildkrötenmahlzeit als sogenannte "Fastenspeise" beziehungsweise als "Arme-Leute-Essen" als gern servierte Nahrung. Zu diesem Zweck gab es seinerzeit sogar Schildkröten, aber auch - Biberrezepte für die unersättlichen "Genießer". In schriftlichen Überlieferungen ist zu lesen, dass die Tiere tonnenweise abgefangen und sogar nach Böhmen und Schlesien transportiert wurden. So waren Schildkröten schon vor über hundert Jahren eher eine Seltenheit. "Das war der Anfang vom Ende", bedauert Mathias Otto. Unter günstigen Bedingungen können diese inzwischen selten gewordenen Reptilien bis zu 70 Jahre alt werden, möglich sind aber durchaus auch Hundert Jahre. Während die hiesigen Schildkröten nur einmal im Jahr zwischen Mai und Juni ihre Eier ablegen, tun dies ihre Artgenossen in südlichen Gefi lden sogar zweimal pro Jahr. Zum Ablegen eignen sich insbesondere trockene und sandige, lichtexponierte Stellen in etwa 10 Zentimeter Tiefe. Um geeignete Eiablageplätze zu finden, sind die Schildkröten in der Lage, viele Kilometer übers Land zurückzulegen. Das ist insbesondere dann der Fall, wenn beispielsweise ihre herkömmlichen Wohngewässer ausgetrocknet sind und somit keine Eiablage möglich ist. Sie ernähren sich unter anderem von Schnecken, Krebstieren, Insektenlarven und anderen wirbellosen Tieren, Kaulquappen und toten Fischen.

Wiederansiedlungsversuche

Ihre Lebensräume sind nährstoffreiche, stark verkrautete sowie stille oder fließende Gewässer, Weihen, Tümpel, Bäche, Uferbereiche von Binnenseen und Röhricht. Es wurde festgestellt, dass die hiesigen, wenigen Exemplare mit denen in Polen identisch sind. Ihr Gewicht liegt zwischen 500 und 1500 Gramm. Während es die hier heimischen Schildkröten vorziehen, sich zu verstecken, sind ihre südlichen Artgenossen weniger "lichtscheu" und somit oft auch tagsüber zu sehen.

Um geeignete Schutzmaßnahmen durchzuführen, sind zunächst bestimmte Vorbereitungen zu treffen. Als erstes werden Landschaften nach eventuell weiteren Schildkröten durchforstet. Als nächster Schritt werden nach Möglichkeit weitere Naturschutzgebiete ausgewiesen, beispielsweise auch durch Landkauf in bestimmten Vorranggebieten. Nach der Erkundung und Sicherung neuer potenzieller Lebensräume werden dann Wiederansiedlungsversuche unternommen.

Schließlich bedarf es einer Ausweisung von Ruhezonen mit Betretungs- und Angelverbot. Dies alles kann auch nur weitab von landwirtschaftlicher Nutzung erfolgen. Um den Erfolg so gut wie möglich zu sichern, ist ein regelmäßiges Populations-, Habitats- und Klima-Monitoring erforderlich. Für all diese Maßnahmen ist ebenso eine umfassende Öffentlichkeitsarbeit zweckmäßig, verweist Naturfreund Mathias Otto.

Seit 2005 laufen länderübergreifende Schutzmaßnahmen in Deutschland, Polen und im Baltikum zur Rettung der Europäischen Sumpfschildkröte. So beispielsweise im Rahmen von "LIFE-Projekten", mit denen Umweltschutzvorhaben in der EU und zukünftigen Beitrittsländern gefördert werden.

Weitere Informationen:
blumberger-muehle.nabu.de
www.lugv.brandenburg.de

Bildunterschriften der im Schattenblick nicht
veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:
• Ein typischer Schildkrötenteich
• Schildkröten verstecken sich gern
Fotos: Volker Voss

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Quelle:
DER RABE RALF
26. Jahrgang, Nr. 189, Seite 14
Herausgeber:
GRÜNE LIGA Berlin e.V. - Netzwerk ökologischer Bewegungen
Prenzlauer Allee 8, 10405 Berlin-Prenzlauer Berg
Redaktion DER RABE RALF:
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veröffentlicht im Schattenblick zum 30. Dezember 2015

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