BUND Regionalverband Südlicher Oberrhein
An die Medien, 15. Februar 2017
BUND Regionalverband Südlicher Oberrhein
Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland
Hintergrund: Immer weniger Vögel? Wo liegen die Ursachen?
Im Winter 2016/2017 rufen bei uns im Freiburger BUND-Büro immer häufiger besorgte Menschen an, die von deutlich geringeren Zahlen beobachteter Vögel berichten. Einige aktuelle Studien belegen diese Beobachtungen und nennen vielfältige Gründe für den Rückgang einiger Vogelpopulationen.
Die aktuelle NABU-Zählaktion "Stunde der Wintervögel im Winter
2016/2017", ergab:
Durchschnittlich 17 Prozent weniger Tiere als in den Jahren zuvor. Vor
allem bei häufigen Wintervögeln und Futterhausbesuchern, darunter
unter anderem allen Meisenarten, wurden die niedrigsten Zahlen seit
Beginn der Aktion 2011 verzeichnet. Dieser Trend gilt zwar bundesweit,
aber der Vogelmangel im Südwesten Deutschlands ist ausgeprägter als im
Norden und Osten.
Es gibt dafür verschiedene mögliche Gründe:
Zum einen seien einige Vögel in diesem Jahr besonders "zugfaul"
gewesen und hätten aufgrund der zu dieser Zeit sehr milden
Wintertemperaturen auf halber Zugstrecke Halt gemacht. Ein weiterer
möglicher Faktor ist der schlechte Bruterfolg der Meisen und anderer
Waldvögel im Frühjahr 2016.
Diese Aussagen machen zwar Sorgen,
dennoch wäre es falsch, von einem "akuten Vogelsterben" zu sprechen.
Temporäre Rückgänge bei einzelnen Arten gab es immer wieder. Auch
Witterungsfragen können bei Zählungen eine Rolle spielen. Wichtig sind
die langfristigen Trends und die sind bedrohlich. Nur
wissenschaftliche Studien und Forschungen können Auskunft darüber
geben, ob sich das langjährige Vogelsterben aktuell beschleunigt.
Fast die Hälfte aller Brutvögel in Deutschland stehen auf der Roten Liste, viele weitere Vogelarten auf der Vorwarnliste. Vor allem die ganz gewöhnlichen, früher weit verbreiteten Vögel sind gerade im Schwinden begriffen. 248 Vogelarten brüten in Deutschland, doch nicht einmal die Hälfte davon ist ungefährdet. So die erschreckende Bilanz der Roten Liste für Brutvögel in Deutschland, die im August 2016 erschienen ist.
Es gibt eine Vielzahl von Gründen warum die Zahl der Vögel global, bundesweit und regional seit Jahrzehnten abnimmt.
Im folgenden Beitrag möchten wir einige mögliche Ursachen für den Rückgang von Vogelpopulationen nennen.
• Die Zahl der Insekten hat in manchen Gebieten
Deutschlands
schon um bis zu 80% abgenommen und das hat natürlich auch Auswirkungen
auf die Vogelwelt. Vögel wie Schwalben oder Mauersegler leben von
Insekten. Für eine Vielzahl von Kleinvögeln in der Aufzuchtphase sind
Insekten besonders wichtig. Das massive und erschreckende globale und
bundesweite Insektensterben [1] nimmt (nicht nur) Schwalben,
Mauerseglern und Fledermäusen die Nahrungsgrundlage und führt zu einem
massiven Rückgang der Populationen. Wenn ein wichtiger Teil der
Nahrungsgrundlage wegbricht, dann hat das extreme Auswirkungen auf
alle Arten am Ende der Nahrungskette. Die Lobbyisten der
Agrargift-Industrie haben ein massives (und gut organisiertes)
Interesse daran, dass dies nicht zum Thema wird.
• Der Verlust an Natur und Lebensräumen
und die im Rahmen von Globalisierung und Freihandel immer
intensiver wirtschaftende Landwirtschaft gefährdet die Vogelwelt
besonders stark.
• Vogelschlag an Glas, an verglasten und verspiegelten
Gebäuden
Mindestens 18 Millionen Vögel [2] sterben jährlich durch
Vogelschlag an Glas. Es ist mehr als befremdlich, dass die 100.000 bis
200.000 Opfer der Windenergie so intensiv diskutiert werden, die
Hauptursachen des Vogelsterbens aber nicht.
"Glas tötet unspezifisch also potentiell alle Vogelarten, denn es
wird in fast jeder Flughöhe verbaut. Es tötet Vögel unabhängig von
Art, Alter, Geschlecht und Uhrzeit. Das belegen Studien aus den USA.
Man kann natürlich sagen, dass Vögel, die oft vorkommen
("Allerweltsarten") natürlich auch oft betroffen sind, Vögel, die
selten vorkommen nicht so oft, was aber nur an der vorhandenen Anzahl
der Vögel liegt. Viele Vogelstationen haben regelmäßig
Glas-Vogelschlag-Opfer aus verschiedensten Arten: Greifvögel, Spechte
(sogar sehr oft), Singvögel, Waldschnepfen, Zugvögel, standorttreue
Vögel... einfach alles ... bis hin zu einem Storch, bei dem die
Kollision sogar live beobachtet wurde." sagt Dr. Judith Förster,
Projektleiterin des Projektes "Vermeidung von Vogelschlag an Glas" des
BUND NRW.
• Vogelschlag an Eisenbahnzügen
"Sieben verschiedenartige Untersuchungen (an deutschen und anderen
europäischen Bahnstrecken), die 70 Tage bis mehrere Jahre dauerten und
zwischen 1982 und 2002 publiziert wurden, zeigten, dass es
pro Streckenkilometer (!)
und Jahr zu 0,29 bis 61 Vogelschlägen kommt. Auf Strecken, die nur mit
bis zu 160 km/h Geschwindigkeit befahren wurden war dieser Wert
maximal 20, an Strecken mit 200 km/h und mehr Maximaltempo zumindest
38,1. Die Aussagen zu Vogelschlag an Zügen sind auch auf Fledermäuse
zu erweitern. Als Ursache hoher Vogelschlagfrequenz an Zügen wird
gesehen, dass Züge mit Stromabnehmer 8 m über Schienenoberkante hoch
sind und damit doppelt so hoch wie Kfz auf Autobahnen." schreibt
Wikipedia und bezieht sich auf das Eisenbahnbundesamt. Dieses sagt:
"Auf den Streckenkilometer bezogen ist die Mortalitätsrate im
Schienenverkehr offenbar höher als im Straßenverkehr. Im Vergleich zur
Gesamtindividuenzahl sind Eulen und Greifvögel überdurchschnittlich
betroffen. Besonders gefährdete Arten sind Bussard, Schleiereule,
Steinkauz und Seeadler."
• Vogelschlag im Verkehr an Straßen und Autobahnen
Wer mit dem Auto unterwegs sein muss, der sieht "links und rechts
der Autobahn" erschreckend viele tote Vögel, darunter viele große
Greifvögel. Erstaunlicherweise haben wir zu diesem Großthema keine
konkreten, belastbaren Aussagen und Zahlen gefunden. Wenn Sie solche
Studien kennen, dann teilen Sie uns diese bitte mit.
• Stromleitungen als Verlustursachen
Die Vogelverluste durch Stromschlag und Leitungsanflug an
Stromleitungen sind mit abnehmender Tendenz leider immer noch groß.
Betroffen sind u.a. Greifvögel, Eulen, Kraniche, Weiß- und
Schwarzstörche. In Europa wurden bislang Opfer von 179 Vogelarten
registriert, neben häufigen Arten sind auch seltene Durchzügler,
Wintergäste und stark bedrohte Brutvögel betroffen.
"Heijnis (1980) registrierte an einem 2,85 km langen Kontrollabschnitt in fünf Jahren insgesamt 2968 verletzt oder tot gefundene Vögel (davon 522 Blässhühner und je 245 Stock- und Krickenten), Grosse et al. (1980) zählten innerhalb von neun Jahren über 4000 Freileitungsopfer (davon ca. 900 Lachmöwen, 884 Stockenten, 678 Blässhühner, 420 Bekassinen und 202 Krickenten). Hoerschelmann et al. (1988) suchten in 4 aufeinanderfolgenden Zugperioden (Herbst 1982-Frühjahr 1984) eine 4,5 km lange Strecke ab und sammelten 867 Freileitungsopfer auf (darunter 112 Kiebitze, 46 Stockenten, 39 Blässhühner, 36 Lachmöwen und 33 Bekassinen)."
Quelle: Naturschutz in Recht und Praxis - online [3]
Bei den Freileitungen hat der Druck der Umweltbewegung in den letzten Jahrzehnten zu Verbesserungen für die Vogelwelt geführt und die Forderung des BUND nach einer Trassenbündelung [4] für Hochspannungsleitungen nützt Vögeln und dem Landschaftsschutz.
• Der tropische Usutu-Virus und die Vogelgrippe
sind bei einigen Vogelarten ein Grund für den Rückgang. Die
ernstzunehmende Debatte, in wie weit die Massentierhaltung für manche
Krankheiten verantwortlich ist, steht noch am Anfang.
• Vogelfang
"Jedes Jahr fallen in den Staaten rund um das Mittelmeer
mindestens 25 Millionen Zugvögel der meist illegalen Jagd zum Opfer."
schreibt www.spektrum.de [5]
• Hauskatzen, verwilderte Hauskatzen und Vögel
Katzen und Vögel sind ein höchst emotional besetztes Thema, wie
Millionen Katzenvideos auf Youtube zeigen. Über 8 Millionen Katzen in
Deutschland töten viele Millionen Vögel. Amerikanische Studien kamen
zu dem Ergebnis, dass jedes Jahr in den USA zwischen 1,4 und 3,7
Milliarden Vögel und zwischen 6,9 und 20,7 Milliarden kleine
Säugetiere von Katzen getötet werden. Diese Zahlen lassen sich nicht
so einfach auf Deutschland übertragen und viele Fachleute gehen bei
uns von geringeren Zahlen aus. Doch jährlich 5 bis weit über 20 Vögel
töten viele "Hauskatzen mit Ausgang" [6] und diese Zahlen sind sehr
niedrig angesetzt. Das größte Problem für Natur und Vögel ist die
zunehmende Zahl von verwilderten Hauskatzen. Allein in Deutschland
gibt es schätzungsweise 2 Millionen verwilderte Katzen. Wenn es
gelänge, die Bestände verwilderter Hauskatzen zu reduzieren, könnte
das Problem auf ein erträgliches Maß verringert werden. Eine Hauskatze
fängt zwar keinen Rotmilan, die extrem große Zahl an getöteten
Kleinvögeln ist dennoch ein massives Problem. Mit den
Ausgleichszahlungen aus dem Windradbau sollten auch
Kastrationskampagnen für verwilderte Katzen finanziert werden.
• Auch Eichhörnchen, Marder und Rabenvögel
gehen die Gelege von Singvögeln an. Wenn zur Brutzeit Eier und
Jungvögel erreichbar sind, nehmen sie auch diese Nahrungsquelle wahr.
Doch so hart es klingt: Das ist Natur. Es ist erstaunlich, dass im
Zusammenhang mit dem Vogelschutz immer nur das Problem der Rabenvögel
heftig diskutiert wird und Hauskatzen, verwilderte Katzen,
Eichhörnchen und Marder in der öffentlichen Debatte fast keine Rolle
spielen. Das hat möglicherweise auch mit alten Ängsten vor den
"schwarzen Vögeln" zu tun.
• Die größten Artenverluste wird der Klimawandel
bringen.
"Die globale Erwärmung bedroht jede sechste Art" schreibt die Zeit
[7]. Alternative Energien sind eine wirksame Waffe gegen den
Klimawandel.
Über die 100.000 bis 200.000 von Windrädern getöteten Vögel wird
interessengeleitet viel diskutiert, denn jede privat gebaute
Energieerzeugungsanlage bedroht das wankende Monopol der alten
Energieversorger. Die wesentlich höheren Zahlen, ausgelöst durch
Insektensterben, Agrargifte, Lebensraumverlust, Glasscheiben,
Freileitungen, Straßen, Katzen, Bahnstrecken und durch Vogelfang
spielen in der veröffentlichten Meinung fast keine Rolle.
Das Thema Vogel- und Artengefährdung sollte nicht nur in der Nische
der Windräder [8] geführt werden, die nur für einen kleinen Teil des
Vogelsterbens verantwortlich ist. Wer mit der Lösung eines Problems
nur in der Nische ansetzt, kann keine echten Fortschritte erzielen.
Dennoch ist bei bedrohten Arten wie dem Schreiadler, dem Rotmilan oder
seltenen Fledermäusen jedes getötete Tier eines zu viel und darum wird
der BUND aus Gründen des Artenschutzes auch in Zukunft nicht jeder
Windradplanung zustimmen. Die erfreulichen Fortschritte und
Erkenntnisse, die bei der Gefahrenminimierung für Vögel bei Windrädern
erreicht wurden, sollten aber endlich auch auf den wesentlich
bedrohlicheren Vogelschlag an Glas übertragen werden.
Fünf Mal gab es in den vergangenen 540 Millionen Jahren gewaltige Artensterben, zeigen Fossilienfunde. Forscher sehen eine aktuelle, menschengemachte, sechste Welle in vollem Gange. Allein seit dem Jahr 1500 seien mehr als 320 terrestrische Wirbeltiere ausgestorben, die Bestände der verbliebenen seien im Schnitt um ein Viertel geschrumpft, schreiben Wissenschaftler um Rodolfo Dirzo von der Stanford University in der Zeitschrift "Science". Nach einem Bericht der Vereinten Nationen zur Artenvielfalt sterben bis zu 130 Tier- und Pflanzenarten täglich aus.
Der Mensch im Anthropozän hat auf die Artenvielfalt also langfristig eine "ähnlich verheerende" Wirkung wie der große Meteor-Einschlag vor 65 Millionen Jahren.
Vogelsterben, Insektensterben, Artensterben...
Unsere globale und bundesweite Raubbauwirtschaft und der unerfüllbare
und zerstörerische Traum vom unbegrenzten Wachstum führen zu immer
massiveren Schäden, nicht nur in der Vogelwelt. Hier muss der BUND und
die Umweltbewegung ansetzen.
In Sachen Vogelsterben kann die Umweltbewegung durchaus auch auf Erfolge zurückblicken. In der Mitte des letzten Jahrhundert wurde festgestellt, dass DDT dazu führte, dass Greifvögel Eier mit dünneren Schalen legten, was zu erheblichen Bestandseinbrüchen führte. DDT geriet auch unter Verdacht, beim Menschen Krebs auslösen zu können. Auch wegen des Drucks der Umweltbewegung wurde die Verwendung von DDT von den meisten westlichen Industrieländern in den 1970er-Jahren verboten. Artenschutz ist immer auch Menschenschutz.
Nachtrag
Wir misstrauen allen "genauen" Zahlenangaben zu den Zahlen der
getöteten Vögel und auch bei den Vögeln dürfen "Äpfel nicht mit
Birnen" verglichen werden. Die Zahlen können aber sehr deutlich
Schwerpunkte der Gefährdung aufzeigen. Weiter führende unabhängige
Studien sind unbedingt nötig.
[1] http://www.bund-rvso.de/schmetterlingssterben.html
[2] http://www.vogelsicherheit-an-glas.de/
[3] http://www.naturschutzrecht.net/Online-Zeitschrift/NRPO-200201/NRPO_Vogelschutz.htm#v2
[4] http://www.bund-rvso.de/hochspannungstrassen-buendeln.html
[5] www.spektrum.de/news/hier-sterben-europas-voegel/1401882
[6] http://www.bund-rvso.de/katzen-fressen-voegel.html
[7] http://www.zeit.de/wissen/umwelt/2015-04/klimawandel-globale-erwaermung-bedrohte-arten-sterben
[8] http://www.bund-rvso.de/windenergie-windraeder-voegel-fledermaeuse.html
Mehr Infos zum aktuellen Thema Insektensterben:
http://www.bund-rvso.de/schmetterlingssterben.html
Wo liegen die tatsächlichen Gefahren für unsere Vogelwelt. Ein
Zusammenfassung:
http://www.bund-rvso.de/windenergie-windraeder-voegel-fledermaeuse.html
URL: http://www.bund-rvso.de/vogelsterben-ursachen.html
*
Quelle:
Mitteilung an die Medien vom 15.02.2017
Herausgeber:
Bund für Umwelt- und Naturschutz Deutschland e.V.
BUND Regionalverband Südlicher Oberrhein
Wilhelmstr. 24a, 79098 Freiburg
Tel.: 0761/30383, Fax: 0761/23582
E-Mail: bund.freiburg@bund.net
Internet: www.bund-rvso.de
veröffentlicht im Schattenblick zum 16. Februar 2017
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