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VÖGEL/464: Zum Statusbericht "Vögel in Deutschland 2008" (Der Falke)


Der Falke - Journal für Vogelbeobachter 1/2009

Statusbericht "Vögel in Deutschland 2008":
Anpassungsfähige Arten nehmen zu - Spezialisten sind gefährdet!

Von Christoph Sudfeldt


Wie steht es um die Vogelwelt? Welche Artengruppen sind besonders gefährdet? Auf welchen Feldern ist der Handlungsbedarf am dringlichsten? Zeigt die nationale Nachhaltigkeitsstrategie schon Wirkung? Antworten auf diese Fragen gibt uns der kürzlich publizierte Bericht "Vögel in Deutschland 2008", in dem Ergebnisse aus dem "Vogelmonitoring", an dem sich mehrere Tausend Ehrenamtliche und Experten beteiligen, präsentiert werden. Seit 2008 werden Programme des Dachverbandes Deutscher Avifaunisten zur Erfassung von Brut- und Rastvögeln mit Mitteln des Bundes und der Bundesländer gefördert, um sie langfristig abzusichern. Bleibt zu wünschen, dass dieser Erfolg schon in den kommenden Jahren von einem weitaus wichtigeren abgelöst wird: dem Stopp des Verlustes an Artenvielfalt in Deutschland!


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Insgesamt brüten in Deutschland aktuell 75 bis 100 Millionen Vogelpaare. Die mit Abstand häufigste Brutvogelart ist - mit einem Bestand von ca. 10 Mio. Brutpaaren - der Buchfink. Hausperling und Amsel nehmen mit etwa 7 Mio. Brutpaaren die Plätze 2 und 3 ein. Auf den Rängen 4 bis 8 folgen - mit Beständen von 3 bis 5 Mio. Paaren - Kohlmeise, Rotkehlchen, Zilpzalp, Blaumeise und Mönchsgrasmücke. Trotz eines anhaltenden Bestandsrückganges steht die Feldlerche an 9. Stelle. Dagegen fiel der Star nach weiteren Bestandsverlusten auf den 10. Rang zurück. Mit dem 11. Rang ist die Ringeltaube die häufigste Nicht-Singvogelart.

"Jede dritte häufige Vogelart nahm zwischen 1990 und 2006 im Bestand ab. Von den 100 häufigsten Arten werden 20 als gefährdet eingestuft oder auf der sogenannten Vorwarnliste geführt", stellt Prof. Dr. Beate Jessel, Präsidentin des Bundesamtes für Naturschutz, auf der Pressekonferenz im Zoologischen Forschungsmuseum Alexander König am 18. November 2008 anlässlich der Herausgabe des Berichtes "Vögel in Deutschland 2008" heraus. Bodenbrütende Feldvögel sind nach wie vor die Hauptleidtragenden, ihre Situation wird sich ohne ein entschiedenes Gegensteuern weiter verschlechtern. Beispielsweise hat der Bestandsverlust des Kiebitzes seit 1990 mit annähernd 70 % inzwischen bedrohliche Ausmaße angenommen. Dr. Stefan Jaehne vergleicht die Situation mit der aktuellen Finanzmarktkrise. "Insbesondere Spezialisten unter den Brutvogelarten benötigen einen staatlichen Rettungsschirm. Anders lässt sich der freie Fall einiger unserer ehemals häufigsten Arten, vor allem in der intensiv genutzten Kulturlandschaft, nicht mehr umkehren", betont der Geschäftsführer der Länderarbeitsgemeinschaft der Vogelschutzwarten. "Artenreiche Brachflächen und wenig rentable Standorte werden derzeit großflächig in Monokulturen umgewandelt. Der in den kommenden Jahren zunehmende Anbau nachwachsender Rohstoffe wird die Situation ohne gezieltes Eingreifen weiter verschärfen", fürchtet Dr. Christoph Sudfeldt, Geschäftsführer des Dachverbandes Deutscher Avifaunisten. "Ohne nachhaltige Verbesserungen der Lebensbedingungen müssen sogar Arten wie Bluthänfling und Baumpieper voraussichtlich schon bald als gefährdet eingestuft werden." Die Herausgeber des Statusberichts sind sich einig: Es besteht dringender Handlungsbedarf, um den Auswirkungen des vielerorts radikalen Landschaftswandels begegnen zu können.

Neben den Bodenbrütern der Agrarlandschaft sind auch Langstreckenzieher, die überwiegend in Afrika südlich der Sahara überwintern, überproportional gefährdet und von Bestandsrückgängen betroffen: Während für nahezu ein Drittel der Kurzstreckenzieher und etwa 40 % der Standvögel die Erhaltungssituation als ungünstig zu bewerten ist, trifft dies auf etwa zwei Drittel aller Langstreckenzieher zu.


Klimawandel: Wasservögel verlagern ihre Rastgebiete
nordostwärts

Auch in Deutschland werden die Auswirkungen des Klimawandels auf die Vogelwelt immer deutlicher. Bedingt durch die geographische Lage rasten Millionen von Watvögeln insbesondere im Herbst und im Frühjahr auf dem Weg von den arktischen Brutgebieten in die in Afrika gelegenen Winterquartiere in Deutschland oder überwintern an der Ostseeküste, im Wattenmeer oder in binnenländischen Feuchtgebieten. Je nach Kälteempfindlichkeit der Arten liegt Deutschland am nordöstlichen Rand der Winterverbreitung, wie etwa bei der Löffelente oder dem Großen Brachvogel, oder mehr im Zentrum, wie etwa bei der Stockente. Die aktuelle Auswertung "Vögel in Deutschland 2008" zeigt, dass sich die Rastbestände vieler hier überwinternder Wasservögel offenbar auf Grund der zunehmend milden Winter immer mehr in Richtung Nordosten verlagern. Allgemein lässt sich festhalten, dass mit Ausnahme vieler Watvogelarten die Rast- und Winterbestände der meisten Wasservögel für die zurückliegenden Jahre einen positiven Trend aufweisen. Aber nicht in allen Fällen ging damit auch ein Anstieg der Brutbestände einher:

• Langfristige Zunahmen sowohl der Brut- als auch der Rastbestände zeigen vor allem Wasservogelarten, die außerhalb der Brutzeit in der Agrarlandschaft nach Nahrung suchen (z. B. Höckerschwan, Gänse, Kranich). Sie profitierten von einem reichen Nahrungsangebot, einer Einschränkung der Jagd in wichtigen Rastgebieten sowie den zahlreichen milden Wintern.

• Eine Reihe von Wasservogelarten zeigen zunehmende Rastbestände, obwohl ihre Brutbestände "nur" stabil oder rückläufig sind, wie etwa die Löffelente oder der Große Brachvogel. Beide Arten erreichen im nördlichen Mitteleuropa die Nordostgrenze ihrer Winterverbreitung. Ursache für die gegenläufigen Trends sind Veränderungen im Zugverhalten, die zu Verlagerungen der Winterquartiere nach Nordosten führen. Eine kürzlich durchgeführte Analyse ergab, dass sich z. B. die Winterverbreitung des Großen Brachvogels um etwa 120 km nach Nordosten verlagert hat.

• Vergleichsweise wenige Arten weisen einen positiveren Trend der Brut- gegenüber den Rastbeständen auf. Zu nennen ist beispielsweise die Stockente. Es handelt sich hierbei vor allem um Arten mit einer weit nach Nordosten reichenden Winterverbreitung. Auch hierfür wird eine Verlagerung des Winterareals nach Nordosten aufgrund der milden Winter angenommen - im Falle der Stockente bedeutet dies, dass sie ihren Verbreitungsschwerpunkt aus Mitteleuropa heraus Richtung Baltikum verlagert.

• Langfristig negative Trends sowohl bei den Brut- als auch den Rastbeständen weisen vor allem mehrere Watvogelarten auf. Deutlich wird das beispielsweise am Austernfischer, der in hohem Maße vom Wattenmeer abhängig ist und dessen anhaltender Bestandsrückgang damit in Verbindung gebracht wird, dass vor allem in den letzten Jahren - bedingt durch die milden Winter - nur wenig Muscheln, seine Hauptnahrung, nachgewachsen sind. Darüber hinaus scheint vielerorts der Bruterfolg zu gering zu sein.

Für den Wasservogelschutz ergeben sich daraus folgende Konsequenzen: Das - vor allem in den ersten Jahren des neuen Jahrtausends erfolgreich geknüpfte - Netz aus EU-Vogelschutzgebieten muss zusätzlichen Anforderungen, die sich durch die klimabedingten Änderungen des Zugverhaltens einer ganzen Reihe von Wasservogelarten ergeben, gerecht werden. In den Schutzgebieten sind deshalb zeitnah Managementpläne aufzustellen und umzusetzen, die insbesondere das Vorhalten geeigneter Lebensräume, die die Habitatansprüche der betroffenen Arten befriedigen, sowie die großräumige Einrichtung störungsfreier Kernzonen innerhalb der ausgewiesenen Schutzgebiete vorsehen. In der Fläche wirkende Programme, z. B. die Gewährung von Ausgleichszahlungen an Landwirte bei nachweislichen Schäden durch Rastvögel, sollten mit der notwendigen Flexibilität ausgestattet werden.

Dr. Christoph Sudfeldt ist Geschäftsführer des Dachverbandes Deutscher Avifaunisten e. V., der das Monitoring von Brut- und Wasservögeln koordiniert.


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Der Statusbericht "Vögel in Deutschland 2008", der vom Dachverband Deutscher Avifaunisten in Zusammenarbeit mit dem Bundesamt für Naturschutz und der Länderarbeitsgemeinschaft der Vogelschutzwarten erarbeitet wurde, ist gegen eine Schutzgebühr von 5,00 EUR zzgl. Versandkosten erhältlich beim

DDA-Schriftenversand, Zerbster Str. 7, 39264 Steckby,
E-Mail: schriftenversand@dda-web.de, Internet: www.dda-web.de.
"Vögel in Deutschland 2008" steht allen Interessierten auch zum
kostenlosen Download auf den Internetseiten des DDA (www.dda- web.de)
und des Bundesamtes für Naturschutz (www.bfn.de) zur Verfügung.

Das bundesweite Vogelmonitoring basiert vorwiegend auf ehrenamtlichen Felderhebungen. Bund und Länder finanzieren seit 1. Januar 2008 gemeinsam die bundesweite Koordination dieses Vogelmonitorings durch den DDA. Die Ergebnisse aus dem Monitoring werden für aktuelle Problemanalysen des Naturschutzes und der biologischen Vielfalt genutzt. Die Präsidentin des Bundesamtes für Naturschutz würdigte ganz besonders auch die Leistung der am Monitoring beteiligten Menschen: "Die vorwiegend ehrenamtliche Erfassung der Daten durch über 5000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zeugt von einem enormen bürgerschaftlichen Engagement. Hierdurch wird für den Naturschutz eine solide Wissensbasis erstellt. Ihnen allen gebührt mein herzlicher Dank."


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Das Wichtigste in Kürze!

• Erhaltungssituation für die Hälfte der Brutvogelarten Deutsch-lands ungünstig!
Von den 260 heimischen Brutvögeln stehen 110 Arten (42 %) auf der aktuellen Roten Liste; auf der Vorwarnliste werden weitere 21 Arten geführt.

• Bodenbrüter weiter im Rückgang!
Bodenbrütenden Feldvögeln geht es nach wie vor schlecht, die Situation von Feldlerche, Rebhuhn und Kiebitz wird sich ohne ein Gegensteuern in der Agrarpolitk weiter verschärfen.

• Brutvögel der Feuchtgrünländer und Sandstrände vor dem Aussterben!
Ein entschlossenes Handeln ist bei küstengebundenen Watvogelarten des Feuchtgrünlandes und der störungsarmen Sandstrände dringend erforderlich, um ein Aussterben weiterer Brutvogelarten zu verhindern. Ein Schicksal, das Alpenstrandläufer und Kampfläufer in Deutschland unmittelbar bevorsteht.

• Langstreckenziehern geht es überproportional schlecht!
Überproportionale Anteile von Langstreckenziehern finden sich unter den gefährdeten und abnehmenden Arten, und es gibt Hinweise auf sinkende Fortpflanzungsziffern bei Langstreckenziehern. Ein konzertiertes internationales Handeln und eine Stärkung bestehender internationaler Schutzkonventionen sind notwendig.

• Klimawandel: Wasservögel verlagern Rastgebiete nordostwärts!
Deutliche Auswirkungen des Klimawandels zeigt die Vogelwelt auch in Deutschland: Rastbestände überwinternder Wasservögel verlagern sich europaweit immer mehr in Richtung Nordosten. Das Schutzgebietsmanagement ist anzupassen.

• Indikator für Artenvielfalt: Ziel der Nachhaltigkeit noch nicht erreicht!
Der Nachhaltigkeitsindikator für Artenvielfalt und Landschaftsqualität zeigt aktuell keine Verbesserung und liegt bei 70 % des Zielwertes für 2015. Bautätigkeiten und Landnutzung müssen in Zukunft stärker auf die Ziele der Nachhaltigkeit ausgerichtet werden.


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Quelle:
Der Falke - Journal für Vogelbeobachter 1/2009
56. Jahrgang, Januar 2009, S. 22-24
mit freundlicher Genehmigung des AULA-Verlags
AULA-Verlag GmbH, Industriepark 3, 56291 Wiebelsheim
Tel.: 06766/903 141; Fax: 06766/903 320
E-Mail: falke@aula-verlag.de

Erscheinungsweise: monatlich
Einzelhelftpreis: 4,80 Euro
Das Jahresabonnement für 12 Hefte ist im In-
und Ausland für 49,- Euro zzgl. Porto erhältlich.


veröffentlicht im Schattenblick zum 17. Januar 2009