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VÖGEL/521: Schwimmende Nester - Trauerseeschwalben-Schutz im Odertal (Naturschutz heute)


NATURSCHUTZ heute - Heft 2/09
Mitgliedermagazin des Naturschutzbundes (NABU) e.V.

Schwimmende Nester
Trauerseeschwalben-Schutz im Odertal

Von Britta Hennigs


Die Mulde in der Mitte macht viel Arbeit, doch mit dem Heißdrahtschneider kennt Helmut Gille sich aus. Routiniert bringt der Naturschützer aus dem brandenburgischen Schwedt die Styrodurblöcke in Form. Damit überschwappendes Wasser ablaufen kann, wird ein Loch in den Block gebohrt, dann kommt zur Tarnung und als Witterungsschutz ein grüner Anstrich drauf. Fertig ist das Nistfloß. Mehr als 150 werden es am Ende sein - dann können die Trauerseeschwalben kommen.

Bei den Gilles ist Naturschutz Familiensache und so führt Ehefrau Rotraut Gille inzwischen sogar die Geschicke der NABU-Regionalgruppe Schwedt. Seit mehr als zwanzig Jahren kümmert sich das Ehepaar um die Seeschwalben. Pünktlich zur Rückkehr der Trauerseeschwalben aus ihren afrikanischen Winterquartieren werden die Flöße per Schlauchboot an drei Gewässern im Nationalpark Unteres Odertal ausgebracht und zum Ende der Brutsaison wieder eingeholt. Unterstützung erhält die NABU-Gruppe dabei von der Naturwacht und der Nationalparkverwaltung.


Anziehungspunkt Flussaue

Neben den Seeschwalben zieht das Odertal viele andere seltene Vogelarten an, die hier brüten oder einen idealen Rastplatz finden, darunter Seggenrohrsänger, Wachtelkönig und Zwergschnepfe.

Als ich Anfang März Rotraut Gille und Nationalparkleiter Dirk Treichel treffe, sind die Seeschwalben noch auf der Reise, sie kehren erst gegen Ende April zurück. Wir machen uns auf den Weg zum Kiebitzstrom, dem wichtigsten Brutplatz der Trauerseeschwalben. Auch jetzt ist die Flussaue voller Leben. Zahlreiche Singschwäne beginnen auf den überschwemmten Wiesen zu balzen, Seeadler ziehen ihre Kreise, hier und da blitzt das weiße Gefieder eines Silberreihers auf. An vielen Stellen zeigen gefällte Bäume mit typischen Nagespuren die Anwesenheit von Bibern an. Das Odertal ist eben nicht nur ein Paradies für Vögel.


Nisthilfen als Übergangslösung

Anspruch eines Nationalparks ist es, dass die Natur sich ohne menschliches Zutun reguliert und entwickelt. Dirk Treichel ist zuversichtlich, dass das Angebot natürlicher Seeschwalbenbrutgebiete dank der "Veränderung der Wasserverhältnisse in Richtung einer größeren Naturnähe" in den nächsten Jahren auch stetig zunehmen wird. Doch die für einen Flussnationalpark geforderten Kriterien könnten nicht von heute auf morgen verwirklicht werden.

Rotraut Gille sieht das Nistfloßprogramm ebenfalls als Überbrückungshilfe. "Von den deutschlandweit 900 Trauerseeschwalben- Brutpaaren befinden sich rund 400 in Brandenburg. Wir haben also eine besondere Verantwortung für den Erhalt dieser Art. Bis die Vorkommen auf einem gesicherten Niveau sind, brauchen sie die Unterstützung in Form der Nistflöße." Und die Entwicklung ist positiv. Wurden 2003 im Nationalpark nur noch 43 Brutpaare erfasst, waren es 2007 immerhin 127 Paare, 78 davon auf Nistflößen.


Unwetter-Verluste

Maßgeblich ist, dass künstliche Nistflöße gegenüber pflanzlichen Nistunterlagen wie etwa Krebsscheren bessere Voraussetzungen für den Bruterfolg bieten, da sie Unwettern eher standhalten. Rotraut Gille erinnert sich an einen Junitag, an dem sie nach einer stürmischen Nacht mit dem Fahrrad zum Brutplatz am Kiebitzstrom kam, voller Sorge um die Seeschwalbenküken. Aber die Nistflöße hatten standgehalten, im Gegensatz zu den Naturnestern, wo der Nachwuchs dem Unwetter zum Opfer gefallen waren.

"Verluste sind normal und in einem intakten Ökosystem sind auch erhebliche Bestandseinbrüche nicht dramatisch. Bei einer so geringen Population wie die der Trauerseeschwalbe können sie jedoch das Aussterben dieser Art beschleunigen", erklärt Gille und besteigt einen aufgeschütteten Erdhügel, den Beobachtungsposten zur Bestandsaufnahme im Kiebitzstrom. Der aufwändig aufgebaute professionelle Aussichtsturm etwa zwanzig Meter entfernt bleibt ungenutzt. "Der steht etwas ungünstig", räumt Dirk Treichel ein.

Vom Hügel aus offenbart sich das Erfolgsgeheimnis des Kiebitzstroms: Er ist ein kaum einzusehendes, von Schilf umgebenes Flachgewässer, das den Vögeln ein ungestörtes Leben ermöglicht. Und so brüten am Kiebitzstrom gelegentlich sogar Weißbart- und Weißflügelseeschwalben - beides Arten, die hier an der Grenze zu Polen den Westrand ihrer Verbreitung erreichen.

Kontakt: NABU-Regionalverband Schwedt, c/o Dr. Rotraud Gille, Tel. 03332-253194, rgille@swschwedt.de. Wer einen Besuch im Nationalpark plant, erhält Infos unter Tel. 03332-2677-201 sowie auf www.nationalpark-unteres-odertal.eu.


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Steckbrief Trauerseeschwalbe

Die Trauerseeschwalbe brütet von der französischen Atlantikküste bis zur Mongolei. Während es in den Weiten Russlands nahezu 100.000 Brutpaare gibt, sind es in Mitteleuropa lediglich 6.000 bis 8.000. Nach dem Zweiten Weltkrieg gingen bei uns die Bestände durch Gewässerverschmutzung und -regulierung um 90 Prozent zurück.

Trauerseeschwalben sind Koloniebrüter, die gerne Krebsscheren als Nestunterlage nutzen, doch diese und andere Schwimmpflanzen werden immer seltener. Nicht nur an der Oder, sondern zum Beispiel auch in den Niederlanden brüten Trauerseeschwalben heute fast nur noch auf Kunstflößen.

Trauerseeschwalben ernähren sich von Insekten, Kaulquappen und Kleinkrebsen; während des Zuges und im Winterquartier besteht die Hauptnahrung aus Fischen. Schon gegen Ende August verlassen die Altvögel ihre Brutplätze. Fast alle europäischen Trauerseeschwalben versammeln sich im Spätsommer am holländischen Ijsselmeer, um nach zwei bis drei Wochen Aufenthalt die Reise in die west- und südafrikanischen Winterquartiere fortzusetzen. Gegen Ende April treffen sie dann wieder in den Brutrevieren ein.


Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation: • Nisthilfen aus Styrodur ergänzen das natürliche Nistplatzangebot. Im Odernationalpark brütet jede zweite Trauerseeschwalbe auf einem Kunstnest.
• Weißbartseeschwalbe
• Die künstlichen Nistflöße werden von den NABU-Aktiven per Schlauchboot an drei Gewässern im Nationalpark Unteres Odertal ausgebracht und zum Ende der Brutsaison wieder eingeholt.


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Quelle:
Naturschutz heute - Heft 2/09
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veröffentlicht im Schattenblick zum 8. Juli 2009