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VÖGEL/543: Löffelstrandläufer - Hoffnung aus dem Überwinterungsgebiet in Myanmar (Der Falke)


Der Falke - Journal für Vogelbeobachter 10/2009

Hoffnung aus dem Überwinterungsgebiet in Myanmar:
Löffelstrandläufer

Von Christoph Zöckler


Noch bis vor Kurzem war das Überwinterungsgebiet des vom Aussterben bedrohten Löffelstrandläufers nur unzureichend bekannt. Aufgrund früherer Beobachtungen vermutete man es weitgehend in Indien und Bangladesch, wo noch bis Ende der 1980er Jahre Löffelstrandläufer in nennenswerten Zahlen bekannt waren. In den letzten Jahren durchgeführte internationale Expeditionen in Indien und Bangladesch sollten mehr Klarheit über das Winterquartier dieser Vogelart bringen. Erst im Januar 2008 gelang den Wissenschaftlern jedoch ein Durchbruch, als im benachbarten Myanmar, auch als Burma bekannt, insgesamt aus zwei verschiedenen Regionen mindestens 84 Individuen gemeldet wurden - etwa 10 bis 15 % des derzeit geschätzten Weltbestandes!


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Der Löffelstrandlaufer ist mit nur noch 150 bis 300 Paaren der seltenste unter den Strandläufern und im Brutgebiet nur auf einen zwei bis drei, selten bis zu fünf Kilometer breiten Küstenstreifen im äußersten Nordosten Russlands in Tschukschien und Kamchatka beschränkt. Auf dem Zug ins Winterquartier in Myanmar und Bangladesh zieht er über Sachalin an der chinesichen Küste entlang und sucht wichtige Zwischenstopps in Japan, Korea und Taiwan auf. Ein Internationaler Artenschutzplan koordiniert die Schutzbemühungen in 14 Ländern, in denen er regelmäßig auf dem Zuge angetroffen wird.

Seit dem Jahr 2005 versuchen Wissenschaftler unter Leitung des internationalen Spoon-billed Sandpiper Recovery Team (SBS RT) die möglichen Bedrohungen in den Sommer- und Winterlebensräumen sowie entlang der Zugroute zu identifizieren.


Gefährdung im Winter: Vogelfang

Ebenso wie im Vorjahr gelang es den Forschern auch im Jahr 2009 während einer von BirdLife International unterstützen Expedition in Myanmar wiederum insgesamt mindestens 63 Löffelstrandläufer zu zählen. Die Vögel hielten sich vorwiegend in den weitläufigen und ungestörten Schlickflächen der Martabanbucht unweit der Hauptstadt Rangun auf. Dieses Ergebnis belegt die hohe Bedeutung der Bucht von Martaban als wohl wichtigstes Überwinterungsquartier für Löffelstrandläufer. Zurzeit ist das Gebiet nicht konkret gefährdet - ohne jeglichen Schutz sind die Flächen jedoch mittelfristig durch die auch hier fortschreitende Küstenentwicklung bedroht, so dass ein offizieller Schutzstatus dringend erforderlich ist.

Ein weiterer bedeutender Winterlebensraum liegt auf der Sandinsel Nan Thar, nahe der Grenze zu Bangladesch. Im Jahr 2008 wurden hier bei Hochwasser immerhin 35 Individuen und im Januar 2009 wieder weniger, nämlich nur 14 Vögel gezählt. Obwohl nicht auszuschließen ist, dass bei den niedrigen Nipptiden zur Zeit der Beobachtungen einzelne Vögel übersehen wurden, gehen die Wissenschaftler von einem weiteren starken Rückgang aus. Dafür spricht auch die Tatsache, dass unter den etwa 150 Inselbewohnern Jäger sind, die den rastenden Watvögeln zu Neumond mit Netzen nachstellen.

Die einheimischen Vogelfänger kennen den Löffelstrandläufer und auch die meisten der anderen Limikolen. Einmal im Monat, zur Zeit des Neumonds, fangen sie mehrere Nächte lang die Vögel im Watt mit riesigen Stellnetzen, die an vier Meter hohen Bambusstangen befestigt werden. Beliebteste Beute sind größere Vögel, hauptsächlich Regen- und Große Brachvögel sowie Uferschnepfen, die hier mit bis zu 1800 Vögeln in großer Zahl vorkommen. Auch Kiebitzregenpfeifer und Rotschenkel werden noch gesammelt. Ganz oben auf er Liste stehen die hier nächtigenden Streifengänse, von denen es bis zu 1400 Individuen gibt. Die kleineren Strandläufer werden freigelassen, falls sie sich nicht schon im Netz erdrosselt haben.

Das Forscherteam wird vom Inselhäuptling Yie begleitet, der schon seit zwölf Jahren die zuvor unbewohnte Insel ganzjährig mit seiner fünfköpfigen Familie besiedelt. Yie fängt Vögel, seitdem er sich auf der Insel angesiedelt hat. Nan Thar war viele Jahre unbewohnt und die Strandläufer konnten hier ungestört überwintern. Auch jetzt leben die meisten Bewohner nur vorübergehend im Winter hier. In den sturm- und regenreichen Sommermonaten verlassen die meisten die Insel und gehen aufs Festland. Yie und seine Familie bleiben das ganze Jahr auf der Insel, leben vom Fischfang und unter dürftigsten Bedingungen. Das Trinkwasserloch beispielsweise sieht erbärmlich aus, Wasser aus Plastikflaschen ist für sie ein Luxus.

Nach Yies Schätzung verfangen sich jede Saison etwa 30 der seltenen Löffelstrandläufer in den Netzen. Von denen würde aber nur ein Drittel die Nacht im Netz überleben, so dass allein auf dieser Insel jährlich womöglich 20 Löffelstrandläufer als Beifang umkommen! Hiermit ließe sich auch die relativ geringe Anzahl von nur 14 beobachteten Löffelstrandläufern erklären. Vogelfang könnte eines der wichtigsten Probleme für diese bedrohte Vogelart in ihrem Überwinterungsgebiet darstellen. Vogelfang ist den Wissenschaftlern auch aus der Bucht von Martaban nahe der thailändischen Grenze und aus Bangladesch bekannt, wo im Jahr 2009 ebenfalls zwölf Löffelstrandläufer beobachtet wurden.


Ökotourismus als Lösung?

Die gefangene Vögel bringen den Inselbewohnern Bargeld - für einen Brachvogel erhält Yie umgerechnet einen Dollar und für eine Streifengans etwa drei Dollar. Während der Saison von November bis April landen gut 120 Gänse in den Netzen der Inselbewohner. Um unmittelbar Abhilfe zu schaffen, schlagen die Expeditionsteilnehmer dem Inselchef, der auch über die Jagdhoheit der Insel verfügt, vor, die Jagd gegen ein Entgelt sofort einzustellen. Yie zeigt sich an den Schutzbemühungen sowie an dem finanziellen Angebot interessiert. Im Februar stellen die Inselbewohner auch den hier laichenden Schildkröten nach, sammeln deren Eier und erschlagen die alten Tiere. Aufgrund der starken Bestandsabnahme in den letzten Jahren hat die Regierung Myanmars die Meeresschildkröten unter Schutz gestellt. Durch die ständig wachsende Bevölkerung steigt der Druck auf die natürlichen Ressourcen und somit auch die Bedrohung von Fischen, Vögeln und Reptilien.

Auf längere Sicht kann das Problem durch einen alljährlichen finanziellen Ausgleich nicht gelöst werden, es gilt ökonomische Alternativen für die Inselbewohner zu entwickeln. Am ehesten bietet sich der Ökotourismus an - es muss aber sichergestellt werden, das die Inselbewohner direkt durch die Besucher profitieren. Neben den Strandläufern und Streifengänsen sind auf Nan Thar insgesamt fast 40 verschiedene Limikolenarten anzutreffen, darunter auch die global gefährdeten Tüpfelgrünschenkel und die seltenen Sumpfläufer.

Gemeinsam mit dem SBS RT-Partner WATT (Wildbird Adventure Travel and Tours) in Myanmar organisiert die Firma ArcCona naturkundlich orientierte Reisen in das wald- und wildnisreiche Hinterland zu den wichtigen Kulturstätten des Landes und, seit 2009, auch an die artenreiche Küste. Ein Besuch der Insel Nan Thar ermöglicht Beobachtungen der Löffelstrandläufer und anderer seltener Küstenvögel, unterstützt die Schutzbemühungen und bietet gleichzeitig den Inselbewohnern von Nan Thar eine alternative Einkommensquelle. Unweit können zudem Saruskraniche und viele der überwinternden Streifengänse beobachtet werden. Mit etwas Glück trifft man sogar auf Indische Scherenschnäbel. Als kleiner Bonus wird noch die mittelalterliche Tempelstadt Mrauk Oo in die Reise einbezogen, die mit dem umliegenden Wald auch ornithologisch einiges zu bieten hat.


Schutzgebiete und Fangverbot

Im weiteren Verlauf der 2009-Expedition fanden die Forscher noch einen neuen, bisher unbekannten Rastplatz. Weiter südlich an der Küste von Arakhan wurde mindestens ein weiterer Löffelstrandläufer gesichtet. Entlang der ca. 2000 Kilometer langen Küste sind möglicherweise noch andere Rastplätze zu erwarten. Myanmar zählt eindeutig zu den wichtigsten Winterrastgebieten des Löffelstrandläufers. Obwohl im gesamten Land die wirtschaftliche Entwicklung stagniert und kaum Habitatzerstörung erfolgt, sind die stark ansteigenden Bevölkerungszahlen und der damit anwachsende Druck auf die sensible Küstenregion äußerst Besorgnis erregend. Dadurch, dass der Vogelfang als eine wesentliche Bedrohung eingestuft wurde, ist möglicherweise gerade noch rechtzeitig eine Kehrtwende im Schutzbemühen um die global nur noch auf 150 bis 300 Paare geschätzte Population eingeleitet worden. Neben der frühzeitigen Ausweisung von Schutzgebieten gilt es nun, alle vorhandenen Mittel zu mobilisieren um den Vogelfang nicht nur auf Nan Thar, sondern auch in der für den Strandläufer so wichtigen Bucht von Martaban und im benachbarten Bangladesch einzustellen.


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Widrigkeiten und glückliche Helfer

Die Reise des Spoon-billed Sandpiper Recovery Teams (SBS RT) nach Nan Thar stand für das Jahr 2009 lange im Ungewissen. Grenzstreitigkeiten zwischen Myanmar und Bangladesch um Ölvorkommen im Schelfbereich ließen eine Genehmigung für das Team mit mehreren ausländischen Beteiligten eher unwahrscheinlich erscheinen. Erst kurz vor der Abreise gaben die burmesischen Behörden ihr Einverständnis für die Expedition und hielten die Teilnehmer auch während ihres Aufenthaltes unter strenger Kontrolle. Ohne Genehmigung konnte man nirgendwo hingehen, jede Veränderung der Boote wurde bemerkt und scheinbar verdächtige Bewegungen sofort wahrgenommen. In dem abgelegenen Küstenstreifen wurden die Forscher sogar zweimal von der Polizei angehalten und nach ihrer Genehmigung gefragt.

Neben solchen Widrigkeiten hatte das Team in diesem Jahr aber auch besonderes Glück, als der junge Einheimische Ren Nou Soe für die Sache des Löffelstrandläufers gewonnen werden konnte. Ren stammt aus der nahe gelegen Provinzhauptstadt Sittwe, arbeitet als Fremdenführer und spricht hervorragend Englisch. Nach dem Einbruch des Tourismus seit 2007 hat er jedoch kaum noch Arbeit. Umwelt- und Naturschutz sind für Ren nichts Neues. Er engagiert sich in einer Umweltgruppe mit der Hauptaufgabe den Plastikmüll zu entsorgen, der die letzten Mangroven um Sittwe geradezu erstickt. Sie nennen sich die Sittwe Environmental Decorators. Rens vogelkundliche Kenntnisse sind rudimentär, sein Interesse dafür umso größer. Mit Begeisterung verfolgt er Diskussionen und hilft als Dolmetscher, der im Gegensatz zu anderen burmesischen Begleitern der Expedition den Vorteil hat, den lokalen Dialekt zu beherrschen.


Informationen zum Thema:

Schäffer, A. (2008): Löffelstrandläufer - Streunende Hunde gefährden seltenste Vogelart der Arktis. Falke 55: 26-27.

Zöckler, C. (2003): Neues vom Löffelstrandläufer Eurynorhynchus pygmeus und seinem alarmierenden Bestandsrückgang. Limicola 17: 188-203.

Zöckler, C. (2007): Ein internationaler Artenschutzplan für den Löffelstrandläufer (Calidris pygmeus). Ber. Vogelschutz 44: 121-130.

Genauere Reisedetails unter www.wild-myanmar.com/index.htm oder www.arccona.com


Wir danken BirdLife International und speziell dem Species Champion Programm, ohne dessen finanzielle Unterstützung die Untersuchungen in Myanmar nicht möglich gewesen wären. Weitere Hilfe gewährten die RSPB und die Manfred-Hermsen-Stiftung, Bremen. Für die finanzielle Unterstützung einer Studie zur Entwicklung ökonomischer Alternativen der Bevölkerung von Nan Thar danken wir der Lighthouse Foundation (Hamburg). Dr. Tony Htin Hla und Aung Moe von BANCA (BirdLife Partner in Myanmar) waren maßgeblich an der Organsiation der Expedition beteiligt.


Dr. Christoph Zöckler leitet zurzeit das Internationale SBS RT und arbeitet freiberuflich meist im Internationalen Naturschutz vorwiegend im Bereich "Arktis" für das UNEP World Conservation Centre und seine eigene Firma ArcCona in Cambridge.


Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:

- Die Funktion des namengebenden Löffel-förmigen Schnabels ist bisher ungeklärt.
- Nachweise überwinternder Löffelstrandläufer in Südostasien (große Kreise: mehr als 10 Individuen).
- Zeltplatz des Survey Teams in einem Palmenhain an der Arakhanküste.
- Auf der Insel Nan Thar wurden im Jahr 2009 nur vierzehn Löffelstrandläufer gesichtet.
- Löffelstrandläufer teilen die Nahrungsflächen im Winterlebensraum mit Winkerkrabben.
- Buddhastatue in der mittelalterlichen Tempelstadt Mrauk Oo.
- Mehrere tausend Streifengänse rasten auf den Flüssen und an der Küste im Norden von Arakhan.
- Irrawaddy Delphin und Braunkopfmöwe nahe der Insel Nan Thar.
- Typisches Nahrungshabitat des Löffelstrandläufers mit Turmschnecken auf Nan Thar.
- Saruskranich zählen zu den Beobachtungshighlights einer Reise nach Nord Arakhan.


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Quelle:
Der Falke - Journal für Vogelbeobachter 10/2009
56. Jahrgang, Oktober 2009, S. 376 - 380
mit freundlicher Genehmigung des AULA-Verlags
AULA-Verlag GmbH, Industriepark 3, 56291 Wiebelsheim
Tel.: 06766/903 141; Fax: 06766/903 320
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Erscheinungsweise: monatlich
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und Ausland für 49,- Euro zzgl. Porto erhältlich.


veröffentlicht im Schattenblick zum 28. November 2009