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VÖGEL/578: Kormoranbestände rückläufig, neue Verordnung unnötig und illegal (NABU BW)


NABU Baden-Württemberg und OGBW - Gemeinsame Pressemitteilung vom 19.03.2010

Kormoranbestände rückläufig, neue Verordnung unnötig und illegal

Neueste Zahlen der OGBW zeigen Rückwärtstrend beim Kormoranbestand
NABU fordert Abschuss der geplanten Kormoranverordnung


Stuttgart - Die Bestände der Kormorane in Baden-Württemberg sind stabil und in vielen Regionen sogar rückläufig. Mit einer Ausnahme: Ausgerechnet die umstrittenen Vergrämungsaktionen sorgten 2009 für einen Ausreißer nach oben: Tiere die andernorts verjagt wurden, siedelten sich im Ländle neu an. Das zeigen die neuesten Zahlen der Ornithologischen Gesellschaft Baden-Württemberg (OGBW), die diese am Freitag auf einer gemeinsamen Landespressekonferenz mit dem NABU vorgestellt hat. "Das Land möchte Kormorane künftig flächendeckend abschießen lassen. Das ist vor diesem Hintergrund unverständlich und offensichtlich unnötig. Die neue Kormoran-Verordnung ist nicht nur eine naturschutzfachliche Geisterfahrt, sie ist auch rechtswidrig", kritisiert der Vorsitzende des NABU Baden-Württemberg Dr. Andre Baumann.

Neueste Kormoran-Zahlen der OGBW 2009 lebten in Deutschland 23.913 Kormoranbrutpaare, davon 548 in Baden-Württemberg. Das entspricht 2,3 Prozent. "Der Kormoran ist in Baden-Württemberg ein heimischer Vogel und kein exotischer Einwanderer, wie oft behauptet wird. Trotzdem beginnen die Bestandskurven in den 1990er Jahren bei Null. Das liegt daran, dass der Kormoran in den Jahrzehnten davor mit härtesten Mitteln verfolgt und ausgerottet wurde - übrigens aus den gleichen Gründen, aus denen er auch heute wieder abgeschossen werden soll", erklärt der OGBW-Vorsitzende Dr. Martin Boschert. "Die Zahl der brütenden Kormoranpaare liegt in Baden-Württemberg seit einigen Jahren stabil bei knapp 450. Nur im Jahr 2009 gab es dann mit einem Plus von über 100 Paaren einen plötzlichen Sprung nach oben. Die Erklärung dafür ist einfach und eindeutig: Weil im Vorarlberger Rheindelta während der Brutzeit massiv nahezu täglich Kormorane abgeschossen wurden, ist ein Teil der Vögel zu uns ins Eriskircher Ried geflohen und hat sich dort niedergelassen. Für den Bodensee insgesamt hat sich dadurch an der Zahl der Kormorane nichts geändert. Die Zahlen beim Brut- und beim Winterbestand an Oberrhein und Bodensee zeigen deutlich, dass die Bestände nicht mehr anwachsen, sondern gleichbleibend bzw. rückläufig sind." (siehe Hintergrundpapier mit Bestandsgrafiken unter www.NABU-BW.de)

Für den NABU-Vorsitzenden Baumann sprechen die Zahlen eine deutliche Sprache: "Viele Angler und Fischer warnen davor, dass der Kormoran sich ungebremst weitervermehren würde, weil er keine natürlichen Feinde hat. Hier müsse der Jäger eingreifen. Das ist Unsinn. Sowohl die Theorie spricht dagegen, weil sich die Kormoran-Bestände durch die Verfügbarkeit der Beute regulieren, als auch die Praxis: Diese Zahlen sind eindeutig."

Gutachten: Neue Kormoran-Verordnung stellt das Recht auf den Kopf Ein vom NABU in Auftrag gegebenes Rechtsgutachten kommt zudem zu dem Schluss, dass die neue Kormoran-Verordnung - völlig abgesehen von der naturschutzfachlichen Unsinnigkeit - auch noch rechtswidrig ist. "Durch die europäische Vogelschutzrichtlinie ist der Kormoran geschützt und darf nur in Ausnahmefällen geschossen werden", erklärt Baumann. "Das Land stellt diese Vorgabe auf den Kopf: Der Abschuss soll zur Regel werden, der Schutz zur Ausnahme. Das ist absolut inakzeptabel und dagegen protestieren wir vehement." Laut Verordnungsentwurf sollen Kormorane an allen Gewässern im Land geschossen werden dürfen - außer in Schutzgebieten. Die bisherige Regelung sah vor, dass die Landratsämter ausnahmsweise einzelne Gewässerabschnitte aus besonderem Grund (Fischartenschutz oder erhebliche wirtschaftliche Schäden) zum Abschuss frei geben durften.

NABU bietet Kompromiss an Der NABU plädiert dafür, sowohl den Fischartenschutz voranzubringen, als auch den Vögeln einen echten Lebensraum zu bieten. "Wir schlagen vor, dass das Land Vorranggebiete für den Fischartenschutz ausweist. Also begrenzte Gebiete, in denen bedrohte Fischarten besonders geschützt werden- im Zweifel auch gegen ihren natürlichen Feind, den Kormoran. Zugleich muss es dann Ruhezonen für den Kormoran geben, in denen der Vogel des Jahres 2010 ungestört brüten, leben und jagen darf. Wer die Vögel an einzelnen Stellen vertreibt, muss ihnen natürlich an anderer Stelle einen Rückzugsraum zum Leben einräumen. Ich halte das für einen vernünftigen Vorschlag, um hier konstruktiv zu einem Ergebnis zu kommen", sagte Baumann. "Diese Lösung würde den gefährdeten Fischarten tatsächlich helfen - im Gegensatz zum aktuellen Verordnungsentwurf, die nur aufgrund wütender Proteste der Angler zustande gekommen ist. Ziel einer neuen Kormoranverordnung darf jedoch nicht sein, die Angler zufrieden zu stellen, sondern Fischen und Vögeln zu helfen. Auch hier gilt: Der Wurm muss dem Fisch schmecken, nicht dem Angler!"

Der NABU fordert Naturschutzministerin Tanja Gönner auf, die Kormoranverordnung so zu ändern, dass sie rechtskonform ist, tatsächlich dem Schutz der Fischarten dient und einem modernen Naturschutz entspricht. "Statt 'Feuer frei im ganzen Land' muss die Devise heißen 'Intakte Lebensräume für Fische und Vögel im ganzen Land'", fordert Baumann.

Ornithologische Gesellschaft Baden-Württemberg (OGBW) Die OGBW ist die landesweit tätige wissenschaftliche Vereinigung, die die Vogelwelt Baden-Württembergs erforscht. Die OGBW erfasst alljährlich landesweit Vogelbestände und verfügt somit über die aktuellsten und genauesten Zahlen. Keine andere Organisation erhebt die Daten - etwa zum Kormoran - in ähnlicher Seriosität. Die Zahlen der OGBW dienen als Grundlage u.a. für wissenschaftliche Grundlagenwerke des Landes oder zur Erstellung der Roten Liste der gefährdeten Brutvogelarten.


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Quelle:
Pressemitteilung, 19.03.2010
Herausgeber:
Naturschutzbund Deutschland (NABU) e.V.
NABU Baden-Württemberg - Pressestelle
Tübinger Str. 15, 70178 Stuttgart
Tel. 07 11/9 66 72-0, Fax 07 11/9 66 72-33
E-Mail: NABU@NABU-BW.de
Internet: www.NABU-BW.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 21. März 2010