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VÖGEL/663: Die Vogelwelt der bayerischen Alpen (Vogelschutz)


Vogelschutz - 4/2010
Magazin für Arten- und Biotopschutz

Die Vogelwelt der bayerischen Alpen

Von Hans-Joachim Fünfstück


In den bayerischen Alpen lebt eine Vielzahl hoch spezialisierter und leider auch vielfältig bedrohter Pflanzen und Tiere. Zahlreiche Arten des Anhangs I der europäischen Vogelschutzrichtlinie, wie z. B. die vom Aussterben bedrohten oder stark gefährdeten Raufußhühner, haben hier zum Teil ihre einzigen bayerischen oder im Falle des Alpenschneehuhns sogar deutschen Vorkommen.

Der Sonnenkopf im Winter bei klarem Himmel: Alpenlandschaft mit mehreren verschneiten Gipfeln und ein paar Nadelbäumen, schattig, zwei, drei Schönwetterwolken - Foto: © Henning Werth / LBV-Bildarchiv

Der Sonnenkopf im Winter
Foto: © Henning Werth / LBV-Bildarchiv

Für den Schutz der Vogelarten alpiner Lebensräume wurden deshalb in wenig erschlossenen Gebieten des deutschen Alpenraums zehn europäische Vogelschutzgebiete (SPA's) ausgewiesen. Diese haben insgesamt eine Fläche von 144.244 ha. Das größte davon, das Ammergebirge im schwäbisch/oberbayerischen Raum, hat 30.115 ha, während sich das SPA Geigelstein nur über 3.207 ha erstreckt. Je nach Lebensraum gibt es in den Alpen Vogelarten, die man im restlichen Bayern meist vergebens sucht oder allenfalls in den rauen Mittelgebirgen Nord- und Ostbayerns finden kann.


Urwaldarten

In den ausgedehnten Wäldern, die manchmal noch Urwaldcharakter besitzen, gibt es einige Arten, die manchen Vogelbeobachter jährlich in die Alpen locken. Die Ringdrossel bewohnt lichte Nadelholzwälder oder Mischwälder mit einem hohen Anteil an Nadelbäumen von der montanen bis zur alpinen Stufe. Obwohl sie kein reiner Alpenvogel ist - in Bayern brütet sie auch noch im Bayerischen Wald und im Fichtelgebirge - so ist die Mehrzahl der Brutpaare in den Alpen zu finden. Weitere Erschließungen der montanen und alpinen Regionen mit Eingriffen in die Lebensräume der Ringdrossel dürfen daher nicht mehr genehmigt werden, um den Bestand dieser seltenen Vogelart langfristig zu sichern.

Bis an die Waldgrenze besiedelt der Dreizehenspecht lückige Nadelwälder. In geschädigten und abgestorbenen Bäumen findet er seine Hauptnahrung: Bock- und Borkenkäfer sowie deren Entwicklungsstadien. In Revieren des Dreizehenspechtes findet man oft sog. "Ringelbäume", da er sehr gerne austretenden Baumsaft aufleckt. Diese Spuren müssen aber nicht immer vom Dreizehenspecht sein, da auch die anderen Spechtarten ringeln. Sie liefern aber bei Kartierarbeiten wichtige Hinweise auf potentielle Vorkommen.

Hoher Totholz- und Altholzanteil in naturnahen Mischwäldern sind lebenswichtige Requisiten im Lebensraum des Weißrückenspechtes. Sein Brutvorkommen ist wie das des Dreizehenspechtes nicht gänzlich auf den Alpenraum begrenzt, denn auch der Bayerische Wald ist angestammte Heimat dieser Spechtart. Regelmäßig gibt es auch im Alpenvorland Beobachtungen bis knapp südlich des Ammersees. Da sich im Zeichen der Klimaänderung auch die Wälder ändern, könnte, wenn die bayerischen Forstbetriebe es zulassen, sich der Weißrückenspecht langfristig weiter ausbreiten.

Auch wenn er kein reiner Alpenvogel ist, so sind in den bayerischen Alpen und im Schwarzwald, vereinzelt auch im Bayerischen Wald, die meisten Auerhühner Deutschlands zu finden. Gefährdungsursachen für das große Raufußhuhn sind nicht nur die Störungen durch allerlei verschiedene Freizeitaktivitäten im Bergwald. Auch durch den gewollten Umbau der Fichtenforste in Buchen- und Mischwälder wird sich der talnahe Lebensraum des Auerhuhnes durch das klimabedingte Aufkommen der Buche nicht mehr halten lassen können. Wir müssen uns also vermutlich auf die höher gelegenen Bergwälder konzentrieren, wenn wir diese faszinierende Vogelart langfristig in den bayerischen Alpen halten wollen.

Zitronenzeisig: kleiner, aufgeplusterter gelb-grauer Vogel (Gesicht, Kehle, Brust und Deckgefieder gelb) auf abgebrochenem Aststück mit wetterbeanspruchter Rinde - Foto: © Hans-Joachim Fünfstück / LBV-Bildarchiv

Zitronenzeisig
Foto: © Hans-Joachim Fünfstück / LBV-Bildarchiv

Almen, Matten und Latschengebüsche der subalpinen und alpinen Zone

Der kleine Zitronenzeisig (früher Zitronengirlitz) ist die vergessene Vogelart Europas, denn bei der Erstellung der Vogelschutzrichtlinie wurde es versäumt, ihn in den Anhang I zu übernehmen. Weltweit brütet er nur im Alpenbogen, im Schwarzwald, in den Pyrenäen und in einigen kleineren Regionen Nord- und Zentralspaniens. Selbst wenn man das Verbreitungsgebiet (Elba und Korsika) des mittlerweile als eigene Art abgespaltenen Korsenzeisigs mit einbezogen hätte, so ist er eine Art, für die Bayern mit seinem Alpenanteil besondere Verantwortung hat. Leider sind die Bestände in vielen Gebieten rückläufig, sodass man sich um diese kleine Art Sorgen machen muss.

Matten und Almwiesen oberhalb der Baumgrenze, die mit Felsblöcken, Büschen und Einzelbäumen durchsetzt sind, bilden den Lebensraum des Bergpiepers. Durch ein Ansteigen der Baumgrenze durch den Klimawandel werden wahrscheinlich langfristig Brutplätze dieser Art in Bayern verloren gehen.

Wie der Bergpieper bewohnt das Birkhuhn die Kampfzone im Bereich der Baumgrenze. Aber auch tiefer gelegene Almflächen bilden wichtige Bruthabitate für dieses Raufußhuhn, das in Bayern bis auf sehr kleine Restbestände nur noch in den Alpen vorkommt. Im Bayerischen Wald kommt es mit wenigen Brutpaaren in der Nähe von Phillipsreuth vor. Die LBV-Kreisgruppe Freyung-Grafenau hat hier ein großflächiges Schutzprojekt in die Wege gebracht. Der feuchte und kalte Mai und Juni in diesem Jahr hatten vermutlich einen sehr negativen Einfluss auf die Reproduktion, da genau um diese Zeit die Küken schlüpfen. Der Steinrötel könnte ein Gewinner des Klimawandels sein. Nachdem es im 20. Jahrhundert immer nur einzelne Beobachtungen und auch Brutnachweise gab, gelingen ab der Jahrtausendwende jährliche Brutnachweise im Allgäu. Ein weiterer Brutnachweis glückte 2008 bei Garmisch-Partenkirchen.


Felswände

Felswände in Talnähe oder in der alpinen Stufe sind Lebensraum für Arten, die in Bayern ausschließlich in den Alpen vorkommen. Mit geschätzten 100 - 200 Brutpaaren ist der Mauerläufer nicht nur eine der seltensten, sondern auch eine der attraktivsten Vogelarten. Seine Nester, die oft jahrelang hintereinander genutzt werden, baut er meist in unzugängliche Steilwände. Einer seiner bekanntesten Brutplätze ist Schloss Neuschwanstein, auch gleichzeitig der einzige Gebäude-Brutplatz in Bayern.

Erst seit knapp 100 Jahren brütet die Felsenschwalbe in Bayern. Wesentlich tiefer als der Mauerläufer besiedelt sie Felswände und in neuester Zeit auch Gebäude. Die höchsten Brutplätze wurden bei ca. 1.400 m NN gefunden. Der Bestand unterliegt starken Schwankungen, so dass nur ein langfristiges Monitoring ein Abschätzen der Situation erlaubt.

Der Bestand des Steinadlers ist stabil bis leicht rückläufig und umfasst ca. 40-45 Revierpaare. Mit Hilfe der Vereinbarung des Bayerischen Staatsministeriums für Umwelt und Gesundheit mit den Hubschrauberverbänden wird versucht, den Anteil der erfolgreichen Brutpaare zu erhöhen und damit den Bestand zu sichern. Das seltenste Huhn Bayerns, das Steinhuhn, war vielleicht nie aus den bayerischen Alpen verschwunden. Nachdem 1984 die letzten Nachweise erbracht wurden, gelangen erstmals 2002 wieder Nachweise. Obwohl die Beobachterdichte ungefähr gleich geblieben ist, war der Bestand wahrscheinlich stark ausgedünnt. Das Steinhuhn ist extrem schwer nachweisbar, kommt aber öfter in den bayerischen Alpen vor als man denkt. Vielleicht entdecken Sie auf einer Ihrer Bergtouren Federn oder Kot dieses Hühnervogels.

Zu jeder Jahreszeit ist das Alpenschneehuhn oberhalb der Latschenzone zu finden. Der Bestand wird auf ca. 300-600 Brutpaare geschätzt. Untersuchungen zur Siedlungsdichte fehlen in den bayerischen Alpen, da sie sehr schwer durchzuführen sind. Auch wenn sich Alpenschneehühner selbst an Massentourismus gewöhnen können, so sind besonders Wintersportarten wie Skitouren oder Schneeschuhwanderungen zu einem Problem für dieses an extreme Lebensbedingungen angepasste Raufußhuhn geworden.

Kräftiger Auerhahn in der Balz mit hochgerecktem Kopf und breitgefächerten Schwanzfedern, Seitenansicht - auffallend: ein breiter roter Bogen über dem Auge, der dieses betont - Foto: © Hans-Joachim Fünfstück / LBV-Bildarchiv

Auerhahn
Foto: © Hans-Joachim Fünfstück / LBV-Bildarchiv

Gipfelregion

Bis in die Gipfelregion dringen nur wenige Vogelarten vor und nur Spezialisten können in den extremen Bedingungen überleben. Der Bestand der lerchengroßen Alpenbraunelle ist als stabil einzustufen, jedoch dürfen keine weiteren Eingriffe in der Alpinstufe eintreten. Wie das Alpenschneehuhn bleibt auch der Schneesperling nahezu ganzjährig in seinem Lebensraum oberhalb der Baumgrenze. Durch Schneeverfrachtungen und Lawinenabgänge werden im winterlichen Lebensraum immer wieder flächig Grassamen freigelegt, die nicht nur für ihn ausreichend Nahrung bilden. Unter Umständen besucht er aber auch regelmäßig Futterstellen an Bergstationen, wo Trupps von bis zu 150 Individuen angetroffen werden können.

Alpenbraunelle, Seitenansicht: runder Vogel auf Felsen mit vereinzeltem Gras; er ist grau-schwarz-weiß-meliert, Seite mit rostbräunlicher Schattierung, wirkt wachsam - Foto: © Hans-Joachim Fünfstück / LBV-Bildarchiv

Alpenbraunelle
Foto: © Hans-Joachim Fünfstück / LBV-Bildarchiv

Jedem, der schon einmal an einem Gipfelkreuz seinen Rucksack geöffnet hat, sind die Bettler der Berge, die Alpendohlen, bekannt. Im Winter fliegen sie regelmäßig in die Täler, um sich hier ihr Futter an Winterfütterungen oder Pausenhöfen zu besorgen. Um den Erhalt der Art in den Alpen muss man sich keine Sorgen machen.


Gefährdungen

Ursachen der negativen Bestandsentwicklungen sind die zunehmende Erschließung und die Änderung der Land- und Forstwirtschaft auf leichter zugänglichen Flächen. Viele Lebensräume alpiner Vogelarten gehen zusätzlich durch die Aufgabe traditioneller Bewirtschaftungsformen und wirtschaftlich unrentabler Standorte verloren. Die ehemals größtenteils extensiv genutzten Lebensräume verändern sich dadurch erheblich. Die Lebensraumzerschneidung durch Straßen- und Wegebau sowie Bergbahnen, Skilifte und Skipisten geht einher mit einer Verstärkung der touristischen Nutzung, die inzwischen auch entlegene Gebiete erreicht hat. Selbst unzugängliche Steillagen sind in- und außerhalb ausgewiesener Schutzgebiete ganzjährig vor Störungen durch Trendsportarten nicht mehr sicher.

Auch die Folgen des Klimawandels sind unübersehbar. Bedingt durch die Klimaerwärmung haben bereits jetzt einige Arten ihr Brutareal in höhere Lagen ausgedehnt. Durch den Klimawandel werden die Gipfelstürmer wie Alpenschneehuhn und Schneesperling, aber wahrscheinlich auch die Alpenbraunelle in den Alpen große Probleme bekommen, denn Teile ihres Lebensraumes werden verloren gehen und den Bestand weiter schmälern.

Die Entwicklung der Bestände repräsentativer Vogelarten der Hauptlebensraumtypen - einer davon sind die Alpen - wird seit 15 Jahren im "Nachhaltigkeitsindikator für die Artenvielfalt" erfasst. Der Indikator soll auf einfache und anschauliche Weise den Zustand von Natur und Landschaft in Deutschland und dessen Veränderungen aufzeigen. In einer Arbeit zum Lebensraum Alpen, die der Dachverband Deutscher Avifaunisten 2009 veröffentlichte, werden die Bestände von Alpenbraunelle, Auerhuhn, Berglaubsänger, Dreizehenspecht, Kleiber, Ringdrossel, Rotkehlchen, Steinadler, Waldbaumläufer und Weidenmeise bewertet. Der Teilindikator Alpen weist für die Jahre 1998 bis 2007 einen stabilen Trend auf. Der Grad der Zielerreichung liegt nach starkem Abfall zwischen 2005 und 2007 jedoch nur noch bei 56 %, dem schlechtesten Wert aller sechs Hauptlebensräume. Von den Indikatorarten zeigten einige in den vergangenen zehn Jahren stabile Trends, wie Kleiber, Rotkehlchen und Weidenmeise. Signifikante Abnahmen zeigen dagegen Arten, die auf lichte Bergwälder angewiesen sind, wie Berglaubsänger und Ringdrossel. Starken Rückgang zeigt das Auerhuhn, das auf unzerschnittene, alte und störungsarme Wälder angewiesen ist. Mit der Alpenbraunelle findet sich unter den abnehmenden Arten auch eine Vertreterin der alpinen Zone. Als einzige der Indikatorarten zeigt der Dreizehenspecht eine positive Bestandsentwicklung.

Der Autor
Hans-Joachim Fünfstück
Mitarbeiter am LfU/Vogelschutzwarte Garmisch-Partenkirchen
Mitglied im Vorstand des Landesbundes für Vogelschutz
Autor zahlreicher ornithologischer Artikel und Fachbücher


Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:

Mauerläufer
Dreizehenspecht
Steinrötel

Steinhuhn
Das seltenste Huhn Bayerns, das Steinhuhn, war vielleicht nie aus den bayerischen Alpen verschwunden. Nachdem 1984 die letzten Nachweise erbracht wurden, gelangen erstmals 2002 wieder Nachweise. Obwohl die Beobachterdichte ungefähr gleich geblieben ist, war der Bestand wahrscheinlich stark ausgedünnt. Das Steinhuhn ist extrem schwer nachweisbar, kommt aber öfter in den bayerischen Alpen vor als man denkt. Vielleicht entdecken Sie auf einer Ihrer Bergtouren Federn oder Kot dieses Hühnervogels.

Alpenschneehuhn
Zu jeder Jahreszeit ist das Alpenschneehuhn oberhalb der Latschenzone zu finden. Der Bestand wird auf ca. 300-600 Brutpaare geschätzt. Untersuchungen zur Siedlungsdichte fehlen in den bayerischen Alpen, da sie sehr schwer durchzuführen sind. Auch wenn sich Alpenschneehühner selbst an Massentourismus gewöhnen können, so sind besonders Wintersportarten wie Skitouren oder Schneeschuhwanderungen zu einem Problem für dieses an extreme Lebensbedingungen angepasste Raufußhuhn geworden.


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Quelle:
Vogelschutz - 4/2010, S. 12-17
Magazin für Arten- und Biotopschutz
mit freundlicher Genehmigung von Redaktion, Autor und Bildautoren
Herausgeber:
Landesbund für Vogelschutz in Bayern e.V. -
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veröffentlicht im Schattenblick zum 25. Januar 2011