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VÖGEL/751: Schmutzgeier in Bulgarien - Rettungsaktion auf dem Balkan (Der Falke)


Der Falke - Journal für Vogelbeobachter 9/2011

Rettungsaktion auf dem Balkan: Schmutzgeier in Bulgarien

von Ivaylo Angelov


Der Schmutzgeier ist eine der am schnellsten zurückgehenden Vogelarten in ganz Europa. Der Gesamtbestand auf dem Balkan wird auf nur noch 100 Brutpaare geschätzt, die Art gilt als stark gefährdet. Natur- und Vogelschützer in mehreren Ländern haben sich vorgenommen, das Aussterben des Schmutzgeiers auf dem Balkan zu verhindern und die Bestände wieder aufzubauen. Einer der besten Kenner des Schmutzgeiers auf dem Balkan ist der in Bulgarien lebende Wissenschaftler Ivaylo Angelov, der für uns die Bemühungen zum Schutz des Schmutzgeiers in Bulgarien zusammenfasst.


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Vor etwa 140 Jahren veröffentlichten A. Alleon und J. Vian ihre Beobachtungen zum Vogelzug am türkischen Bosporus. Darunter waren auch Meldungen vorbeiziehender Trupps aus Tausenden Schmutzgeiern, die von den Vogelkundlern als eine der häufigsten Greifvogelarten während des Herbstzuges genannt wurden. Damals kamen alle diese Schmutzgeier aus dem Balkangebiet, Teilen Rumäniens, Moldawiens und der Ukraine, wo wahrscheinlich mehrere tausend Paare brüteten. In Istanbul nisteten etwa tausend Paare auf Bäumen und Gebäuden an den Stadträndern, während in Bulgarien eine Brutkolonie an den Klippen der Stadt Plodov bekannt war. Mittlerweile hat sich das Bild stark geändert, und die Brutbestandszahlen der Vergangenheit sind kaum mehr vorstellbar. Der derzeitige Bestand von weniger als 100 Brutpaaren auf dem gesamten Balkan nimmt weiter ab; in sieben Ländern ist der Schmutzgeier bereits ausgestorben. Nur in Albanien, Bulgarien, Griechenland und Mazedonien kommt die Art heute noch vor.

Im Gegensatz zu vielen anderen Geierarten ist der Kopf der Schmutzgeier befiedert, nur das gelbe Gesicht bleibt federfrei. - Foto: © I. Angelov

Im Gegensatz zu vielen anderen Geierarten ist der Kopf der
Schmutzgeier befiedert, nur das gelbe Gesicht bleibt federfrei.
Foto: © I. Angelov

Im Jahr 2003 wurde der Balkan Geier Aktionsplan (Balkan Vulture Action Plan) ins Leben gerufen, eine Initiative zum Erhalt und der Wiederherstellung der Geierbestände in dieser Region. Im Rahmen des ehrgeizigen Vorhabens übernahm im selben Jahr die Bulgarian Society for the Protection of Birds (BSPB), BirdLife in Bulgarien, die Koordination eines Pilotprojektes mit dem kurzfristigen Ziel, die Bestandssituation des Schmutzgeiers neu zu bewerten, das Wissen um die bestandsbegrenzenden Faktoren zu erweitern und zukünftige Schutzmaßnahmen in Angriff zu nehmen. Die zur Verfügung gestellten finanziellen Mittel erlaubten die Anschaffung eines Geländewagens und zweier Spektive, die Bezahlung eines Projektleiters sowie von Treibstoff und Tagessätzen - genug, um ein Team enthusiastischer Geierfans Hunderte von Felsen in ganz Bulgarien überprüfen zu lassen, darunter besetzte, alte und mögliche Brutplätze des Schmutzgeiers. Zu der Zeit nahm ich als ehrenamtlicher Mitarbeiter zusammen mit Marin Kurtev, dem damaligen Projektleiter, an den Freilandarbeiten teil. Die ersten beiden Jahre waren sehr vielversprechend, mehr als 100 ehrenamtliche Naturschützer verhalfen zu einem Einblick in die Gefahren in einzelnen Brutrevieren. Im Jahr 2007 übernahm ich die Leitung des Projektes. Wir konzentrierten uns zunächst auf die Suche nach Nestern und bisher unentdeckten Brutpaaren. Mit der gesteigerten Besorgnis, den Schmutzgeier in Bulgarien zu verlieren, nahm der Umfang der Projektarbeiten schnell zu. Gleichzeitig bedurften unsere Untersuchungen dringend wissenschaftlicher Untermauerung, so dass uns die Forschungsabteilung der Royal Society for the Protection of Birds (RSPB), BirdLife im UK, zur Hilfe kam. Im Jahr darauf wurde der von BSPB entwickelte Nationale Arten-Aktionsplan zum Schmutzgeier vom Umweltministerium angenommen, der erste Aktionsplan zum Schutz einer Vogelart in Bulgarien überhaupt. Der rapide Bestandsrückgang des Schmutzgeiers seit dem Jahr 2003 von 57 erfassten Brutrevieren auf knapp 30 war ausgesprochen beunruhigend. Ein ähnlicher Trend war auch in den Nachbarländern festgestellt worden.


Hohe Sterblichkeit als Hauptursache

Obwohl wir im Lauf der Jahre immer wieder mit finanziellen Schwierigkeiten zu kämpfen hatten, blieb das Monitoring zentrales und unersetzbares Element unserer Arbeit. Mit über 200 aus der Vergangenheit bekannten Brutrevieren in Bulgarien gibt es immer Flächen, die darauf warten, nach besetzten Neststandorten abgesucht zu werden. Daten aus mehr als sieben aufeinanderfolgenden Jahren zeigen einen für Europa annehmbaren Bruterfolg, der den rapiden Bestandsrückgang nicht erklärt: 90% der Brutpaare ziehen erfolgreich Junge groß, der Durchschnittswert liegt bei 0,83 Jungvögel pro erfasstem Paar. Über Computersimulationen fanden wir heraus, dass eine erhöhte Sterblichkeit der Hauptgrund für die Bestandsrückgänge sein muss. Für die letzten 18 Jahre sind die Todesursachen bei 20 Schmutzgeiern bekannt, von denen zehn durch Vergiftungen umkamen und vier erschossen wurden. Gift und Jagd sind demnach die Haupttodesursachen. Die Frage ist jedoch, wo die Vögel umkommen, innerhalb der Landesgrenzen oder außerhalb Bulgariens (während des Zuges und in den Überwinterungsgebieten), wo die Schmutzgeier etwa die Hälfte ihres Lebens verbringen? Die Antwort auf diese Frage sollte die geografischen Schwerpunkte für die Schutzarbeiten legen. Hierfür waren zunächst nochmals neue Erkenntnisse vonnöten, und wir starteten ein weiteres Projekt, das Farbberingungs-Programm, von dem wir uns wichtige Daten zur Überlebensrate erhoffen. In den letzten drei Jahren wurden 77 junge Schmutzgeier farbberingt, das entspricht 88,5% aller ausgeflogenen Jungvögel in Bulgarien.

Um die Gefahrenschwerpunkte für Schmutzgeier geografisch festlegen zu können, werden seit drei Jahren junge Geier mit Farbringen zur schnellen Wiedererkennung ausgestattet. - Foto: © I. Angelov

Um die Gefahrenschwerpunkte für Schmutzgeier geografisch festlegen zu
können, werden seit drei Jahren junge Geier mit Farbringen zur
schnellen Wiedererkennung ausgestattet.
Foto: © I. Angelov

Nahrung und Gesundheit

Das Wissen um den Bruterfolg und die Überlebensrate sind die Grundlagen für gute Planung im Geierschutz. Um die Frage zu beantworten, was genau die Vögel fressen und darauf aufbauend, wie sie vergiftet werden könnten, führten wir eine Untersuchung zur Nahrung durch. Dabei wurden in drei aufeinanderfolgenden Jahren aus nahezu 70 Nestern die Nahrungsrückstände eingesammelt, nachdem die Vögel gen Süden aufgebrochen waren. Die Auswertungen sind abgeschlossen, das Ergebnis ein weitreichendes Nahrungsspektrum: 1640 Beutetiere aus 106 Arten konnten identifiziert werden. Zu den Beutetieren zählen Landschildkröten (389 Individuen), landwirtschaftliche Nutztiere (197), Geflügel (166) und Kaninchen (24), Beutegreifer wie Füchse, Hunde, Marderartige, Katzen und selbst Wölfe (insgesamt 230), Igel (169), Feldhasen (71) und Schlangen (35). Die Zahlen lassen jedoch keine Rückschlüsse auf die Biomasse einzelner Beutetiere zu, und auch der Anteil einzelner Arten, z.Vieh, ist möglicherweise weitaus höher. Die meiste Nahrung finden die Geier auf Weiden und mit Gebüsch bewachsenen Flächen, in der Nähe von Dörfern, Abraumhalden und Müllkippen, dazu kommen Verkehrsopfer auf Straßen. Schmutzgeier jagen auch aktiv Landschildkröten, Echsen, Frösche, kleine Nagetiere und Insekten.

Analysen von Nahrungsrückständen in Nestern erbrachten ein weitreichendes Nahrungsspektrum der Schmutzgeier, von Landschildkröten über Haustiere bis hin zu Beutegreifern wie Wölfen. - Foto: © I. Angelov

Analysen von Nahrungsrückständen in Nestern erbrachten ein
weitreichendes Nahrungsspektrum der Schmutzgeier, von Landschildkröten
über Haustiere bis hin zu Beutegreifern wie Wölfen.
Foto: © I. Angelov

Eine wichtige zeitgleiche Ergänzung der Nahrungsstudie waren toxikologische Untersuchungen, die von Kollegen des Naturhistorischen Museums in Madrid angeregt worden waren, die auch die Analysen der Proben durchführten. In den Jahren 2008/09 sammelten wir Blutproben von 32 jungen Schmutzgeiern. Erste Ergebnisse zeigen eine hohe Anfälligkeit gegenüber Krankheiten sowie Vergiftungen mit Antibiotika und Schwermetallen und einen insgesamt schlechten Gesundheitszustand der Jungvögel.


Geier-Restaurants

Die Zufütterung von Geiern gilt weltweit als grundlegende Maßnahme beim Schutz der Vögel. In sogenannten Geier-Restaurants wird den Tieren unbelastete Nahrung angeboten. Hierdurch steigert sich zum einen der Bruterfolg, zum anderen werden durch leicht mögliche Beobachtung das Monitoring vereinfacht sowie Möglichkeiten zur Entwicklung von Ökotourismus gegeben und Aufmerksamkeit für den Geierschutz geweckt. Da die brütenden Schmutzgeier stark revierbezogen leben, können nur wenige benachbarte Paare von einer größeren Futterstation profitieren. Tatsächlich ist die höchste Dichte besetzter Brutreviere um regelmäßig bestückte Geier-Restaurants zu finden. Ein Großteil der über zehn Tonnen Kadaver, die in Bulgarien auf zwei Stationen verteilt jährlich verfüttert werden, stammen von ortsansässigen Bauern, die den Geierschützern Bescheid geben, wenn ihnen Vieh verendet.

Das Prinzip der individuellen Zufütterung an einzelnen Neststandorten hat sich bewährt und soll in Zukunft ausgeweitet werden. - Foto: © I. Angelov

Das Prinzip der individuellen Zufütterung an einzelnen Neststandorten
hat sich bewährt und soll in Zukunft ausgeweitet werden.
Foto: © I. Angelov

Im Jahr 2010 entwickelten wir eine Methode, um gezielt in der Nähe von Nestern kleine Mengen Futter auszubringen. Es stellte sich heraus, dass von den zehn Brutpaaren der Testreihe einige das Futter sehr schnell annahmen, andere eher zögerlich. Interessanterweise zog eines der zusätzlich gefütterten Geierpaare ein für sein Alter schwerstes und am besten ernährtes Junges auf. Die Methode wird nun als Schwerpunktmaßnahme beim Schutz des Schmutzgeiers angesehen. Sie soll in Zukunft weitergeführt und auf mehr Paare angewandt werden.


Rettung bedrohter Nester

Die Bedrohungen einzelner Nester genauer zu definieren und abzuwenden, stellte sich als schwierig heraus. Die einzige Chance, den Bruterfolg bestimmter Gelege zu sichern, schien in der Bewachung der Nester zu liegen. In einem Herbst wurde ohne unser Wissen eine 40 Meter lange Eisenbrücke als Zugang zu einem Kloster aus dem 14. Jahrhundert - dem angestammten Brutplatz eines der letzten Schmutzgeierpaare im Norden Bulgariens - gebaut, und zwar im Rahmen eines Municipality PHARE Projektes zur "Entwicklung von Ökotourismus".

Eine 40 Meter lange Eisenbrücke als Zugang für Touristen zu einem mittelalterlichen Kloster blieb nicht ohne Folgen für die Schmutzgeier. - Foto: © I. Angelov

Eine 40 Meter lange Eisenbrücke als Zugang für Touristen zu einem
mittelalterlichen Kloster blieb nicht ohne Folgen für die
Schmutzgeier.
Foto: © I. Angelov

Ein komplizierter bürokratischer Prozess kam in Gang, das ultimate Paradoxum. Entsprechend der Projektrichtlinien muss die Einrichtung nach deren Errichtung mindestens fünf Jahre lang im Einsatz sein. Obwohl der Bau der Brücke dem Biodiversitätsakt widerspricht, genehmigte die zuständige Behörde für Umwelt den Abriss nicht, da die Gemeinden eine Geldstrafe gemäß der PHARE Richtlinien befürchteten - mit Folgen für die Schmutzgeier. Im ersten Jahr wurde das Ei von Besuchern zerstört. In der folgenden Brutsaison zogen die Geier zu einer anderen Felsklippe. Im dritten Jahr kehrten sie zu ihrem alten Nest an der Brücke zurück, wo sie zwei Eier legten. Tagtäglich wurde das Nest von Naturschützern bewacht, und in 122 Tagen wurden über 700 Touristen nach dem Besuch des Klosters umgeleitet. Das Geierpaar zog ein Junges groß. Im vierten Jahr gab es dann eine Fehlbrut, da aufgrund mangelnder Finanzierung das Nest nur teilweise bewacht werden konnte und die Vögel durch Fotografen so stark gestört wurden, dass sie das Gelege verließen. Während der diesjährigen, fünften Brutsaison zogen die Geier wiederum an einen anderen Brutplatz. Wir warten darauf, die Forderung nach dem Abbau der Brücke erneut stellen zu können.

In einem anderen Fall von Nestbewachung - diesmal zum Schutz vor Trophäensammlern - konnten unsere Bemühungen den Bruterfolg sichern, als fünf Tage vor dem Schlupf das Männchen plötzlich verschwand. Intensive Zusatzfütterung half dem Weibchen dabei, das Junge großzuziehen. Erstaunlicherweise kam das Männchen nach 20 Tagen mit einem verletzten Flügel fast flugunfähig zurück. Das Männchen wurde dann ebenfalls gefüttert und erholte sich innerhalb der folgenden Monate, wobei es nur gelegentlich flog und sonst lieber zu Fuß ging. Im darauffolgenden Jahr kehrte das Geierpaar zurück und begann sogar fünf Tage früher als im Vorjahr mit der Eiablage.


Öffentlichkeitsarbeit

Soweit es unsere Mittel erlauben, versuchen wir die lokale Bevölkerung auf die Seite des Geierschutzes zu bekommen. Im Laufe der Jahre sind mehr als zehn unterschiedliche Poster, Kalender, Aufkleber, Faltblätter und populärwissenschaftliche Bücher mit insgesamt über 10000 Exemplaren unter Interessenten verteilt worden.

Zahlreiches Informationsmaterial soll helfen, die lokale Bevölkerung auf die Seite der Naturschützer zu holen. - Foto: © I. Angelov

Zahlreiches Informationsmaterial soll helfen, die lokale Bevölkerung
auf die Seite der Naturschützer zu holen.
Foto: © I. Angelov

Über mehr als zehn Fernsehreportagen im nationalen Fernsehen, zahlreiche Radiointerviews sowie Artikel in Zeitschriften und Magazinen wurde Interesse auf den Schutz der Geier gelenkt. Informationen finden sich auch auf der Schmutzgeier-Internetseite unter www.neophron.bspb.org.


Gefahren in Afrika?

Die nach wie vor sehr wenigen Daten über Schmutzgeier während des Zuges weisen auf zahlreiche Gefahren zu dieser Zeit hin. Unser Augenmerk lenkte sich dementsprechend Richtung Afrika und den Nahen Osten, in den vergangenen zwei Jahren fanden drei Expeditionen nach Äthiopien und in den Sudan statt. Unser Team unterstützte zweimal Kollegen in der Türkei bei Feldarbeiten zum Start von Langzeituntersuchungen von Bestandsdichten in der Nähe von Ankara. In Äthiopien besuchten wir zusammen mit der Ethiopian Wildlife and Natural History Society die größte bekannte Ansammlung von Schmutzgeiern im Afar-Dreieck, wo 1400 Geier überwintern. In Äthiopien, dem traditionellen Paradies für Greifvögel, wurden alarmierende Zeichen sichtbar. Der Einsatz von vergifteten Ködern gegen streunende Hunde und andere Beutegreifer steigt an, vor allem im Süden des Landes. Letztes Jahr wurden alleine in Negelle in nur wenigen Tagen über 300 Hunde vergiftet - die toten Kappengeier, von denen man annimmt, dass ihre Bestandszahlen zurückgehen, die jedoch noch immer zu Hunderten vorkommen, wurden gar nicht erst gezählt.

Durch vergiftete Köder gegen Hunde kommen in Äthiopien neben Schmutzgeiern auch andere Vögel wie Kappengeier (Mitte) um, deren Zahl jedoch unbekannt ist. - Foto: © I. Angelov

Durch vergiftete Köder gegen Hunde kommen in Äthiopien neben
Schmutzgeiern auch andere Vögel wie Kappengeier (Mitte) um, deren
Zahl jedoch unbekannt ist.
Foto: © I. Angelov

Zudem werden im gesamten Land das Elektrizitätsnetz ausgebaut und neue, schlecht konstruierte Strommasten in Betrieb genommen, die für große Vögel hochgefährlich sind. Stromschlagtod war auch der Grund für einen Besuch im Sudan, wo in den frühen 1980er Jahren mehr als 50 Schmutzgeier auf diese Weise ums Leben kamen. Im September 2010, nahezu 30 Jahre später, zählten wir gemeinsam mit der Sudanese Wildlife Society 17 durch Stromschlag getötete Schmutzgeier in derselben Gegend. Die Stromleitung befindet sich an der Küste des Roten Meeres in der Nähe der großen Stadt Port Sudan, direkt auf der Vogelzuglinie. Geeignete Rastplätze liegen in der umgebenden kargen Wüste nahe eines Schlachthauses, bei extensiv bewirtschafteten Bauernhöfen und Müllhalden - alles Anziehungspunkte für Geier. Da die Stromleitung bereits in den 1950er Jahren gebaut wurde, ist anzunehmen, dass ihr bisher möglicherweise über tausend Geier zum Opfer fielen, die die Gegend als Rastplatz nutzten.

Der Ausbau des Elektrizitätsnetzes und die Errichtung schlecht konstruierter Strommasten bergen ein hohes Gefahrenpotenzial für Großvögel wir Geier. - Foto: © I. Angelov In einem Gebiet im Sudan wurden nur im September 2010 17 durch Stromschlag umgekommene Schmutzgeier erfasst. - Foto: © I. Angelov

Links: Der Ausbau des Elektrizitätsnetzes und die Errichtung schlecht konstruierter Strommasten bergen ein hohes Gefahrenpotenzial für Großvögel wir Geier.
Rechts: In einem Gebiet im Sudan wurden nur im September 2010 17 durch Stromschlag umgekommene Schmutzgeier erfasst.
Fotos: © I. Angelov

Im Jahr 2010 erreichte Spartacus, ein junger, mit einem Satellitensender ausgestatteter Geier, den zentralen Tschad, wo er überwinterte. Das Signal verlor sich jedoch im Januar. Das Tschad-Team vor Ort machte sich auf die Suche und fand heraus, dass der Geier von ortsansässigen Nomaden des Goran Stammes erlegt worden war. Sie glaubten, dass sich ein böser Zauberer in den Geier verwandelt hätte - eine Warnung beim zukünftigen Einsatz von Satellitentelemetrie. Ängstlich fragten wir uns, was wohl die Reaktion mancher Afrikaner auf einen Vogel mit Farbring sei, und bekamen ernsthafte Zweifel über ein Fortsetzen des Farbberingungsprogramms. Die nächste Expedition in den Tschad und nach Kamerun ist für Januar 2012 geplant mit dem Ziel, überwinternde Geierbestände zu erfassen und zu kartografieren sowie die Gefahren für Geier in Teilen Schwarzafrikas zu identifizieren.


Neue Gefahren - neue Herausforderungen

Zu den bisher bestehenden Gefahren kommen neue Bedrohungen hinzu, z.B. durch Windkraftanlagen in Europa. Vielleicht am beunruhigendsten ist die gesteigerte Nachfrage nach Körperteilen von Geiern in Westafrika. Letztere hatte zur Folge, dass in Nigeria, Kamerun, Niger, Mali und wahrscheinlich Tschad (wo die meisten Geier vom Balkan überwintern) sämtliche Geierarten aufgrund von Nachstellungen in weiten Gegenden komplett ausgelöscht worden sind und ihre Zahlen andernorts weiter abnehmen. In Nigeria erzielt der Kopf eines Sperbergeiers als Schutz vor Hexen und schwarzer Magie etwa 20 US Dollar - für Einheimische viel Geld. Ein ganzer Katalog neuer Maßnahmen ist hier gefordert und wir werden nicht aufhören, unsere Anstrengungen beim Rettungsversuch für Schmutzgeier, zu verbessern.

Der Handel mit Körperteilen von Geiern, wie beispielsweise deren Köpfe, ist in Westafrika weit verbreitet und schwer zu unterbinden. - Foto: © I. Angelov

Der Handel mit Körperteilen von Geiern, wie beispielsweise
deren Köpfe, ist in Westafrika weit verbreitet und schwer zu
unterbinden.
Foto: © I. Angelov

Im Jahr 2011 beschäftigten wir uns mit der Entwicklung von Methoden zur Erfassung des Überlebens territorialer Schmutzgeier, das auf individueller Erkennung der Gesichter mithilfe von Fallenkameras beruht. Weiterhin sollen in nächster Zukunft jedes einzelne besetzte Nest und auch Felsen mit Kameras ausgestattet werden, um im Falle krimineller Aktivitäten die Anwesenheit von Menschen festzuhalten.

Ein weiteres Schwerpunktthema ist die Nistplatzwahl der Geier. Geeignete Neststandorte könnten ein begrenzender Faktor sein, da sie manchmal komplett fehlen. Geeignete Felsen in ansonsten hervorragenden Lebensräumen, angrenzend an besetzte Reviere sind selten. Aus diesem Grund wurde aufbauend auf den Erfahrungen aus Deutschland mit Wanderfalken damit begonnen, Nischen an Felsen anzulegen, die sonst keine geeigneten Neststandorte aufweisen. Bleibt zu erwähnen, dass jedem einzelnen Schmutzgeierpaar Bewacher zugeteilt werden.

Manchen Gefährdungen für Schmutzgeier ist jedoch nur schwer entgegenzuwirken. Der illegale Einsatz von Gift zur Bekämpfung von Beutegreifern ist ein Beispiel für eine große Herausforderung, da er schwer in den Griff zu bekommen und häufig eine ausgefeilte Lösung von Fall zu Fall vonnöten ist. Die Frage, wie sich die Verfolgung von Geiern in Westafrika unterbinden lässt, ist noch schwerer zu beantworten.

Obwohl das Verschwinden traditioneller Brutplätze ausgesprochen entmutigend ist, sind wir optimistisch was die Rettung der Schmutzgeier betrifft. Im Laufe der Zeit hat sich ein Kernteam von etwa zehn jungen, engagierten Naturschützern gebildet, durch überwundene Schwierigkeiten sind dabei enge Freundschaften entstanden.

Foto: © Ivaylo Angelov
Ivaylo Angelov leitet die Forschungsarbeiten und Schutzbemühungen zum Schmutzgeier bei der Bulgarian Society for the Protection of Birds. Schutz und Biologie des Schmutzgeiers sind auch Themen seiner Doktorarbeit, an der er seit 2010 arbeitet.
Foto: © I. Angelov

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Naturerlebnis Schmutzgeier

In den frühen 1990er Jahren wurde in Bulgarien ein sehr schönes Buch über die Greifvögel Europas von dem französischen Autor Michel Cuisin veröffentlicht und begründete meine große Begeisterung für diese Vögel. Der Wunsch, diese majestätischen Vögel zu sehen und zu studieren, führte mich mindestens zweimal wöchentlich, meist alleine, aber mit Fernglas und Notizbuch ausgestattet, zu den atemberaubenden südlichen Abhängen des Sinite kamani - dem Berg direkt über meiner Heimatstadt Sliven. Genau dort erlebte ich meine erste und erinnerungswürdige Begegnung mit Schmutzgeiern, während ich im Alter von 16 Jahren mit dem Fahrrad zu einem der bevorzugten Greifvogelplätze fuhr, ein Jahr nachdem ich BSPB beigetreten war. Im Jahr darauf fand ich ihr Nest, wo ich fast hundert Stunden mit der Beobachtung zum Verhalten bei der Jungenaufzucht zubrachte. Das Nest war gut versteckt auf einem Vorsprung hinter einer Eiche, sodass meine Überraschung groß war, als ich eines Morgens, gleich nach dem verheerenden Erdbeben im türkischen Adapazari, eine enorme Holzleiter zum Nest vorfand und der Baum fehlte. Nach geraumer Zeit erschien ein Altvogel mit Futter, landete im Wald darunter, und ich hörte die Bettelrufe des Jungvogels. Am nächsten Morgen fanden wir das Küken am Boden und brachten es ins Nest zurück, wo es vor Füchsen und Schakalen sicher war. Unter Mühen holten wir die acht Meter lange Leiter ein und zerstörten sie. Sie war von Schatzsuchern errichtet worden, die verzweifelt illegal nach Gold in der Umgebung der größeren Kliffs in Bulgarien suchten. Die Schatzsucher brachten das Junge zwar nicht ins Nest zurück, aber wenigstens schadeten sie ihm auch nicht. Erst Mitte September wurde ich Zeuge der ersten Flugversuche des jungen Schmutzgeiers.


Unterstützung aus Deutschland

Aus Deutschland kamen bisher drei große Beiträge zum Schmutzgeierschutz in Bulgarien: Die Frankfurter Zoologische Gesellschaft (FZG) und die Deutsche Bundesstiftung Umwelt (DBU) förderten große Teile der Arbeit in den Anfängen und bauten die Basis aus. 2009 erhielt ich ein sechsmonatiges Stipendium zu Studien am Schmutzgeier in Frankfurt, gefördert durch das DBU und betreut durch die FZG, wodurch die Ideen zu Arbeiten in Afrika entstanden. Nicht zuletzt hat mir ein Opel Astra gute Dienste geleistet, den ich 2007 nach meiner Übernahme des Projektes gebraucht in Nürnberg erstanden hatte. Bis 2011 fuhr ich damit etwa 200.000 km, das entspricht mindestens 80er gesamten im Rahmen des Projektes gefahrenen Strecke.


Unser Dank für finanzielle Unterstützung gilt dem African Bird Club, Black Vulture Conservation Foundation, DBU, European Association of Zoos and Aquaria, Frankfurt Zoological Society, Mike Madders Field Research Award, Mohammed bin Zayed Species Conservation Fund, Mtel Eco grant, Rhodope Project, Royal Society for the Protection of Birds, Rufford Small Grants Foundation, Vulture Conservation Foundation, Barbara Cross & Michael Roberts (RSPB), David Broadly (Richmond & Twickenham RSPB group), Ed Keeble, Svetoslav Spasov (BSPB).


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Quelle:
Der Falke - Journal für Vogelbeobachter 9/2011
58. Jahrgang, September 2011, S. 372-378
mit freundlicher Genehmigung des Autors und des AULA-Verlags
AULA-Verlag GmbH, Industriepark 3, 56291 Wiebelsheim
Tel.: 06766/903 141; Fax: 06766/903 320
E-Mail: falke@aula-verlag.de
Internet: www.falke-journal.de

Erscheinungsweise: monatlich
Einzelhelftpreis: 4,80 Euro
Das Jahresabonnement für 12 Hefte ist im In-
und Ausland für 49,- Euro zzgl. Porto erhältlich.


veröffentlicht im Schattenblick zum 4. November 2011