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VÖGEL/762: Die Dohle - Vogel des Jahres 2012 (DER RABE RALF)


DER RABE RALF
Nr. 165 - Dezember 2011 / Januar 2012
Die Berliner Umweltzeitung

NATUR
Die Dohle - Vogel des Jahres 2012
Natur- und Vogelschützer küren fliegende Intelligenz

von Christoph Vinz


Nach verdienter Würdigung von Gartenrotschwanz, Kormoran oder Eisvogel in den letzten Jahren haben NABU Deutschland und sein bayerischer Partner, der Landesbund für Vogelschutz, am 14. Oktober wieder einen unserer gefiederten Freunde gekürt.

Für das Jahr 2012 wurde die Dohle (Coloeus monedula) zum Vogel des Jahres 2012 ausgerufen. Die Vogelfreunde wollen damit die öffentliche Aufmerksamkeit auf ein zu wenig beachtetes und historisch belastetes Mitgeschöpf lenken. Galt doch der schwarze Vogel lange als Unglücksbringer, der im Mittelalter Pest und sogar den Tod ankündigte. Alte Abbildungen zeigen häufig die Dohle auf der krummen Schulter einer gräulichen Hexe.

Laut NABU gehört die Dohle zur Elite unter den heimischen Singvögeln und wird als gesellige, soziale Vogelart mit Stimmtalent charakterisiert. Und der bekannte Verhaltensforscher Konrad Lorenz lobte die schlauen Tiere wegen ihrer Intelligenz, Lernfähigkeit und ihres hoch organisierten Soziallebens.

Der Gattungsname führt den Beinamen monedula, im Deutschen "Mönchlein", aufgrund des schwarzen Gefieders mit grauer "Kapuze", das dem früheren Habit von Dorfpriestern ähneln soll. In der Nähe reflektiert das scheinbar schwarze Federkleid die Sonnenstrahlen in schillernden Farben, während Hinterkopf, Nacken und Ohrdecken silbergrau sind. Mit ihrem kurzen Schnabel und ebensolchem Schwanz wirkt die Dohle klein und kompakt. Ihr Lautrepertoire ist recht vielseitig und wird im Laufe des Lebens noch erweitert. Während des Brutgeschäfts beruhigt das Männchen die Dame seines Herzens mit einem leisen, schwätzenden Gesang.

Fliegen die Vögel in größeren Trupps über die städtischen Dächer oder sind sie beim Aufsuchen des Schlafplatzes, ist ein eindrucksvolles, vielstimmiges "Chorkonzert" vernehmbar.

Während der Balz zeigt das Männchen ein typisches Imponiergehabe, das durch einen stolzen Gang mit hoch aufgerichtetem Kopf und gestrecktem Nacken auffällt. Schaut das umworbene Weibchen interessiert, neigt das Männchen auch schon mal zu Rempeleien mit echten oder vermeintlichen Nebenbuhlern.

Meist jedoch gibt sich das Weibchen scheinbar ganz unbeeindruckt und schaut weg. Dennoch verraten sekundenschnelle Seitenblicke ihr gewecktes Interesse. Hat sie sich entschieden, duckt sie sich vor dem Erwählten und zittert mit Flügeln und Schwanz - ein immer wieder zu beobachtendes Begrüßungsritual des Paares, das lebenslang zusammen bleibt. Gern krault sie ihm die Nackenfedern, während er sie im Gegenzug mit Leckerbissen verwöhnt.

Die Nistplatzsuche beginnt im zweiten Lebensjahr, und die Brutnische wird gemeinsam erkämpft und verteidigt. Von Ende März bis Anfang April legt das Weibchen vier bis sechs Eier, die von ihm 16 bis 19 Tage bebrütet werden, während der treusorgende Partner sie in dieser Zeit fleißig füttert. Nach Schlüpfen der Jungen kümmert sich das Paar gemeinsam um den Nachwuchs, der nach 30 bis 35 Tagen das Nest verlässt und dann noch bis zu vier Wochen von den Eltern versorgt wird.

Das Gros dieser Vögel ist als Standvogel auch im Winter anzutreffen, nur ein Teil der gefiederten Jugend zieht in der kalten Jahreszeit südwärts an die Ufer des Mittelmeers oder nach Südfrankreich. Dohlen lieben die Gemeinschaft und bilden Gruppen bis zu mehreren hundert Tieren. In ihrer Kolonie herrscht Ordnung, es gibt klare Rangfolgen. Bei neuen Paarungen steigt das Weibchen in den Rang seines Partners auf.

Verlassen Jungdohlen ihre Nester, fühlen sich neben den Eltern auch andere Altvögel für sie verantwortlich. Und sogar kranke Vögel werden von der Gemeinschaft umsorgt. Beim Angriff von Feinden wehrt sich die gesamte Kolonie in geschlossener Formation sehr erfolgreich.

Der ursprüngliche Steppenbewohner hat sich seit langem in menschlicher Nachbarschaft gut eingerichtet. Trotz nachweislich hoher Anpassungsfähigkeit kommt Coloeus monedula in unserer Zeit öfters in Wohnungsnot und hat Probleme bei der Nahrungsbeschaffung.

Dohlen finden im urbanen Raum immer weniger Nistmöglichkeiten, da alte Fabrikschornsteine verschwinden, Kirchtürme häufig durch Anti-Taubengitter versperrt sind und Gebäudesanierungen das Nisten auf Dachböden verhindern.

So ist es nicht verwunderlich, wenn sich allein in Baden-Württemberg der Dohlenbestand innerhalb von 25 Jahren um 80 Prozent reduziert hat. Im Land Brandenburg ist dieser Vogel sogar schon vom Aussterben bedroht. Allerdings ist es der Naturschutzstation Linum erstmals 2011 gelungen, durch geeignete Nisthilfen Erfolge zu erzielen. Gegenwärtig werden in Deutschland insgesamt noch rund 100.000 Brutpaare gezählt. Gab es für Dohlen früher im Umfeld der Städte auf Feldern und Wiesen ausreichend Nahrung, hat sich das tierische Futter durch immer mehr Flächenversiegelung (zum Beispiel Bau neuer Einkaufszentren auf der "grünen Wiese") und dem großflächigen Anbau von Energiepflanzen unter gleichzeitigem Pestizid-Einsatz deutlich reduziert. Als Folge ist die Dohle zunehmend im urbanen Bereich auf Nahrungssuche, wo sie in Parks und Gärten aber auch bei Siedlungsabfällen fündig wird.

Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass die Dohle ganz sicher ein Vogel ist, der mehr als nur einen Blick verdient!


Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:

Geselliges Beisammensein

Kluger Kapuzenträger


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Quelle:
DER RABE RALF - 22. Jahrgang, Nr. 165 - Dezember 2011 / Januar 2012
Herausgeber:
GRÜNE LIGA Berlin e.V. - Netzwerk ökologischer Bewegungen
Prenzlauer Allee 230, 10405 Berlin-Prenzlauer Berg
Redaktion DER RABE RALF:
Tel.: 030/44 33 91-47, Fax: 030/44 33 91-33
E-mail: raberalf@grueneliga.de
Internet: www.raberalf.grueneliga-berlin.de

Erscheinen: zu Beginn gerader Monate
Abonnement: jährlich, 20 Euro


veröffentlicht im Schattenblick zum 25. Dezember 2011