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VÖGEL/838: Unbemerkter Abgang - Moderne Landnutzung lässt Schreiadlern keine Chance (NATURMAGAZIN)


naturmagazin
Berlin - Brandenburg
25. Jahrgang - Nr. 2, Mai bis Juli 2012

Unbemerkter Abgang
Moderne Landnutzung lässt Schreiadlern keine Chance

von Peter Wernicke
Leiter des Naturparks Feldberger Seenlandschaft



Während See- und Fischadler seit Jahrzehnten im Fokus von Öffentlichkeit und Naturschutz stehen, führen Schreiadler geradezu ein Schattendasein. So verwundert es nicht, dass bis auf den kleinen Kreis der Schreiadlerkenner bislang kaum jemand Notiz davon genommen hat, dass die Art in Deutschland kurz vor der Ausrottung steht.

Ursprünglich waren Schreiadler in Deutschland weit verbreitet - in einigen Regionen waren sie vermutlich sogar die häufigsten Adler überhaupt. Doch bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts wurden Greifvögel hierzulande massiv verfolgt, die Schreiadler wurden dadurch zumindest in den westlichen Teilen des Landes ausgerottet. Nach dem Zweiten Weltkrieg begann mit der Intensivierung der Land- und Forstwirtschaft dann der nächste, bis heute anhaltende Vernichtungsfeldzug gegen die kleinen Adler:

Mit dem vorläufigen Ergebnis, dass Schreiadler in Deutschland nur noch im östlichen Teil Mecklenburg-Vorpommerns und Nordbrandenburgs brüten - von einem isolierten Brutplatz in Sachsen-Anhalt abgesehen. Und was besonders besorgniserregend ist - der negative Trend ist ungebrochen. In Zahlen ausgedrückt: Mitte der 1990er Jahre brüteten in Deutschland noch rund 130 Paare. Rund 15 Jahre später waren es im Jahr 2010 nur noch 102 - ein Verlust von mehr als 20 Prozent innerhalb so kurzer Zeit! Die weitere Entwicklung scheint daher vorgezeichnet. Denn im Unterschied zu Wanderfalke und Seeadler, bei denen vor allem Pestizide als Verantwortliche für Bestandseinbrüche ausfindig und zum Teil ausgemerzt werden konnten, sitzt das Übel beim Schreiadler tiefer: Für seinen Lebensraum scheint es in der modernen Kulturlandschaft keinen Platz mehr zu geben.

Brutplatz im Wald

Schreiadler bauen ihre Horste in abgelegenen, alten und dichten Laubwäldern. Doch im heutigen Forstalltag werden Bäume mit dem Erreichen eines bestimmten Alters geerntet. Einst dichte Wälder verwandeln sich somit schnell in lichte Bestände. Für die Schreiadler sind diese jedoch kaum noch als Lebensraum zu gebrauchen - viele von ihnen geben ihren angestammten Brutplatz auf.

In Deutschland brüten die meisten Schreiadler in Wäldern, die das Erntealter bereits erreicht oder schon überschritten haben. Größere Holzentnahmen stehen damit kurz bevor oder sind in vollem Gange. Die jedem Brutplatz durchschnittlich zur Verfügung stehende Fläche an dichtem "Schreiadlerwald" reduzierte sich in Mecklenburg-Vorpommern auf diese Weise zwischen 2003 und 2008 von gut 60 Hektar um rund ein Drittel.

Wiesen als Nahrungsflächen

Noch katastrophaler sieht die Entwicklung bei den Nahrungsflächen des Schreiadlers aus. Die Vögel benötigen im Umfeld ihrer Brutwälder ausreichend große Flächen zum Fang ihrer Hauptbeutetiere: Mäuse und Frösche. In dichten Mais-, Raps- oder Wintergetreidekulturen, die heute die Ackerflächen bestimmen, können die Greifvögel keine Beute fangen. Dem Grünland kommt daher eine entscheidende Rolle zu. Fachleute haben ermittelt, dass Schreiadler im 1-Kilometer-Umfeld ihres Brutplatzes eine Grünlandfläche von etwa 100 Hektar benötigen, damit für eine erfolgreiche Brut sehr gute Chancen bestehen. Sind es nur 40 bis 50 Hektar, wird die Situation bereits sehr kritisch. Doch in Mecklenburg-Vorpommern wird diese kritische Schwelle bereits bei etwa jedem zweiten Schreiadlerbrutplatz deutlich unterschritten. Die Umwandlung von Grün- in Ackerland und der Wegfall der obligatorischen Flächenstilllegung haben dazu geführt, dass die Aufgabe der entsprechenden Brutplätze nahezu vorprogrammiert ist.

Schwierige Aufgabe

Die letzten Schreiadlerpaare Deutschlands werden nur dann zu erhalten sein, wenn es gelingt, sowohl die Brutwälder zu sichern als auch gleichzeitig die Nahrungsflächen der Art auszudehnen. Die Deutsche Wildtierstiftung wird dieses in den kommenden Jahren in Mecklenburg-Vorpommern an fünf Brutplätzen im Rahmen eines Projektes versuchen. Förderprogramme, die es den Naturschutzbehörden ermöglichen, im notwendigen Umfang Schreiadler-Lebensräume zu erhalten sind allerdings bisher nicht in Sicht. Die Rahmenbedingungen stimmen daher für die Zukunft des kleinen Adlers alles andere als optimistisch.

Das Projekt der Deutschen Wildtierstiftung zur Verbesserung von Schreiadlerlebensräumen
Projektpartner sind der Naturpark Feldberger Seenlandschaft und der Schreiadlerexperte Dr. Wolfgang Scheuer. Gefördert wird das rund 1,5 Millionen Euro umfassende Vorhaben vom Bundesamt für Naturschutz. Sein Ziel ist die Vergrößerung der Grünlandfläche im Umfeld von fünf Schreiadlerbrutplätzen, sowie die Sicherung der Schreiadlerwälder auf jeweils etwa 50 Hektar/Brutplatz. Dies bedeutet für die betreffenden Landnutzer eine erhebliche Verringerung der Einnahmen und Nutzungsmöglichkeiten auf den betreffenden Flächen. Daher werden Entschädigungen für diese Landwirte und Förster gezahlt, die die Grundlage für spätere, im größeren Umfang angebotene Vertragsnaturschutzprogramme bilden können.
Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:

Die Eiablage erfolgt beim Schreiadler meistens Anfang bis Mitte Mai. Nach rund 40 Tagen Brut schlüpfen dann im Abstand von einigen Tagen aus meistens zwei Eiern die Jungen. Allerdings tötet das zuerst geschlüpfte Junge aufgrund eines angeborenen Verhaltens in der Regel das nachfolgende, so dass nur eines heran wächst. Foto: Peter Wernicke

Schreiadler errichten ihre Horste in alten, dichten Wäldern. Diese werden in Deutschland jedoch immer seltener. Foto: Peter Wernicke

Schreiadlerjunge sehen einer ungewissen Zukunft entgegen. Foto: Peter Wernicke


Weiterführende Literatur:
Wernicke, P.: Schreiadler - Vogel ohne Lebensraum.
Hinstorff Verlag 2009, 80 Seiten
ISBN 978-3-356-01306-1

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Quelle:
NATURMAGAZIN, Ausgabe 2/2012, Seite 10-12
Herausgeber: Naturschutzzentrum Ökowerk Berlin /
Naturschutzbund Deutschland (NABU) e.V., Landesverband
Brandenburg / Natur & Text in Brandenburg GmbH
Redaktion: Natur & Text in Brandenburg GmbH
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veröffentlicht im Schattenblick zum 8. August 2012